Jakob Springfeld las den Zuhörern aus seinem Buch „Unter Nazis“ vor und tauschte sich mit seinem Publikum zu diesem Thema aus. Foto: Barbara Rennig

Angepöbelt, angeschrien, angespuckt zu werden und noch weit heftigere Anfeindungen bis zu Morddrohungen gehören seit Jahren zum Alltag des 21-jährigen Jakob Springfeld, für den Zivilcourage keine Floskel, sondern permanenter Kampf ist. In Nagold war er zu einer spannenden Lesung zu Gast.

Nun war der gebürtige Zwickauer mit seinem Buch „Unter Nazis – jung, ostdeutsch, gegen rechts“ (Co – Autor Issio Ehrich) im Rahmen der zweiten Nagolder Literaturtage zu Gast in der brechend voll besetzten Buchhandlung Zaiser, die vorsichtshalber Polizeikräfte an der Eingangstür postieren ließ.

Für Burhan Mutlugöz, neben der Volkshochschule Oberes Nagoldtal und Stadtbibliothek Mitveranstalter der Literaturtage, war die Einladung des seit seinem 16. Lebensjahr politisch engagierten jungen Autors eine Herzensangelegenheit.

Und Jakob Springfeld, Student der Politik und Soziologie, setzte nach, er freue sich, durch solche Begegnungen „aus der Studiblase rauszukommen“. Begegnung und Dialog sind dem Autor weitaus wichtiger als mögliche anfeindende Gegenoffensive, auch wenn er den Finger fest in die Wunden einer brüchigen Demokratie legt.

Milieu des politischen Aktivismus

An die 100 Zuhörende ließen sich fesseln vom Einblick in ein Milieu des politischen Aktivismus, vor allem in Springfelds Geburtsstadt Zwickau, die für ihn gleichzeitig Heimat und Hölle ist. Denn es ist die Schumannstadt mit idyllischer Umgebung, aber auch die Autostadt mit rechts orientierten Betriebsräten, neonazistischen Gruppen - und ehemaliges Schlupfloch des NSU.

In einem offenen Elternhaus aufgewachsen, bekommt der Musikbegeisterte zwar schon in seiner Grundschulzeit durch die in Vietnam gebürtige Mitschülerin Linh neonazistische Bewegungen im Hintergrund zu spüren. Doch erst einige Jahre später werden ihm Zusammenhänge ganz anders bewusst, und er gerät, inzwischen Schülersprecher, durch seine Ortsgruppe von „Fridays for Future“, Aktionen zum Gedenken an die Opfer von Anschlägen, seine Freundschaft mit dem gebürtigen Afghanen Mostafa schnell als „Nestbeschmutzer“ ins Visier der Neonazis.

Diese werden nicht müde, Springfeld und seine Freunde anzugreifen. Aber, so Springfeld, der Neonazismus und die Ereignisse in Sachsen sind nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs, unter dem auch der Schwelbrand der so genannten sekundären Viktimisierung lodert oder des institutionellen Rassismus – das heißt, dass auch Polizei, Behörden und Politik vieles verschweigen oder verschleppen würden.

Nicht nur mit dem Aufzeigen solcher Strukturen oder den Passagen aus seinem Buch riss Springfeld die Zuhörenden mit, sondern ebenso mit sprachlich brillant verknüpften ungeschönten Schilderungen seiner Erlebnisse und Recherchen.

Er bleibt im Herzen gerne Sachse

Trotz zunehmender Anfeindungen steht der junge Autor zu klarer politischer Positionierung, zu „Gefühlen statt stahlharter Männlichkeit“ und zu Mut machender Solidarität.

Und er bleibt im Herzen gerne Sachse: Er könne, im Gegensatz zu anderen Diskriminierten, seinen Antifa-Pulli ablegen oder weit weg ziehen, in eine andere „Blase“, doch will er besonders in seiner Region aktiv dazu beitragen, dass aus der klaffenden Wunde etwas Neues entstehen kann. Die Zuhörenden sparten nicht mit Beifall, und gerne tauschte sich der angenehm authentische junge Autor nach der Gesprächsrunde noch persönlich mit ihnen aus.