Die Gemeinde Zimmern hat ein Facelifting erhalten. Foto: Schickle

Freie Ortsdurchfahrt Etappenziel für Neue Mitte. Nachbarn sprechen schon von "Verzimmernerung".

Zimmern o. R. - Durch Zufall ist Werner Erath zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Ausgerechnet am Mittwoch gegen 17.15 Uhr bringt er seinen Biomüll raus – und bemerkt, dass sich am Kreisverkehr am "Adler"-Eck in Zimmern etwas tut. Der Hauptstraßen-Anwohner erlebt den Moment mit, auf den viele gut ein Jahr lang gewartet haben: Die Ortsdurchfahrt geht auf.

"Der allgemeine Eindruck ist sehr positiv", kommentiert Erath die Neue Mitte oder das, was er bisher davon gesehen hat. Denn noch ist der Dorfplatz nicht ganz fertig, noch fehlen die Bäume, die die Hauptstraße säumen sollen.

Begonnen haben die Bauarbeiten im September 2013. Seither erhält Zimmern ein neues Gesicht. Am Mittwochabend hat der Ort, so formuliert es Bürgermeister Emil Maser, das Ziel erreicht. "Es wurde in Zimmern nun eine schöne und ansprechende, überaus repräsentative Ortsmitte geschaffen." Zumindest er ist sehr zufrieden: Seine Vorstellungen als Bürgermeister seien damit in vollem Umfang erreicht worden.

Die Neue Mitte ist ein ehrgeiziges Projekt. Zwischen dem Kreisel am "Adler" und dem zweiten neuen an der Ecke Alte Schulstraße/Im Wolf soll der frische Kern des Dorfes wachsen. Herz des Ganzen ist ein Dorfplatz auf Höhe des neuen Dienstleistungszentrums. Er soll zum Treffpunkt werden für die Zimmerner, ein Sprudlerfeld Kinder zum Spielen einladen.

Eigentlich hatte sich die Gemeinde eine 20er-Zone von Kreisverkehr zu Kreisverkehr gewünscht. Danach sieht es allerdings zumindest derzeit nicht aus. Die Voraussetzungen dafür seien laut Straßenverkehrsbehörde nicht gegeben, erklärt Hauptamtsleiter Johannes Klingler. Es liege kein sogenannter verkehrsberuhigter Geschäftsbereich vor. Immerhin: Zwischen Adler und Zwischenweg gilt ab sofort Tempo 30. Das findet Tanja Fiedler, die gemeinsam mit Werner Erath am Straßenrand steht, super. Sie wohnt in der Horgener Straße, die Baustelle hat sie damit praktisch vor der Haustür. "Der Sommer war schlimm", sagt sie. Der Baulärm war manchmal nur schwer zu ertragen. Nun ist ein Ende in Sicht.

Noch 2014 muss alles fertig sein, damit die Gemeinde die Zuschüsse erhält. Und die, das betont der Schultes auch in anderem Zusammenhang immer wieder, sind die Voraussetzung, dass Zimmern Großprojekte überhaupt anpacken kann. Zu prekär war die finanzielle Lage in den vergangenen Jahrzehnten. Für die Mitte rechnet die Verwaltung derzeit mit knapp 1,3 Millionen Euro an Zuschüssen, die Gesamtkosten für die Maßnahme liegen bei voraussichtlich 3,2 Millionen Euro.

Viel Verkehr, zu hohes Tempo: Umleitungen belasten die Anwohner

Die Finanzierung ist freilich nicht die einzige Belastung, die der Bau der Neuen Mitte mit sich bringt. Umleitungen prägten den Ort in den vergangenen 13 Monaten. Von der Winterpause einmal abgesehen, ging es nur auf Umwegen durch Wohngebiete von einem zum anderen Ende Zimmerns. "Ich bin froh, wenn es fertig ist", sagte eine Anwohnerin der Flözlinger Straße noch am Dienstag auf Nachfrage. Trotz zweigeteilter Umleitungsstrecke war die Verkehrsbelastung hoch, und das Tempo vieler Autos höher als die erlaubten 30 Stundenkilometer. "Für die Auswärtigen ist 30 absolut ein Fremdwort", berichtete die Frau. Manches Mal hatte sie Angst um ihren im Garten spielenden Enkel. Ein Anwohner der Alten Straße meinte gar: "Ich bin gottfroh, wenn die Ortsdurchfahrt offen ist." Sogar große Lastwagen schoben sich an seinem Haus vorbei. Dass ihnen die Straße nicht ausreichte, davon zeugen die tiefen Spuren, die ihre Reifen im Gras neben dem Bankett hinterlassen haben. Zumindest damit ist jetzt Schluss.

Was nicht abgeschlossen ist, ist Zimmerns Facelifting, denn nicht nur die Mitte der Gemeinde verändert sich. Den nackten Zahlen nach ist Zimmern eigentlich ein Dorf. Insgesamt kommt die Gemeinde nach eigenen Angaben auf 5914 Einwohner (Stand: 31. September 2012). 700 entfallen auf den Ortsteil Horgen, 690 auf Flözlingen und Stetten kommt auf 682. Selbst im Hauptort leben lediglich 3842 Einwohner. Dennoch hat er eine Infrastruktur wie eine Stadt: Im "Steinhäuslebühl" finden sich Filialen großer Supermarktketten, ein Baumarkt und diverse weitere Geschäfte, auch die Verkehrspolizeidirektion des Präsidiums Tuttlingen sitzt dort. Dazu kommt das interkommunale Gewerbegebiet Inkom mit zahlreichen Unternehmen.

Ein kleines Dorf ist Zimmern längst nicht mehr. Das hinterlässt Spuren. Es gab schon Monate, in denen der Gemeinderat in bald jeder Sitzung einen Bauantrag oder eine -voranfrage für Mehrfamilienhäuser auf der Tagesordnung hatte. Was viele verbindet, ist die Architektur: mehrstöckig, klare Strukturen, Flach- oder Pultdächer mit geringer Neigung – ganz anders als die noch üblichen Einfamilienhäuser. "Das passt nicht", findet mancher Gemeinderat und befürchtet, der dörfliche Charakter gehe verloren. Mit gleicher Regelmäßigkeit betont der Schultes, wie wichtig es sei, Wohnraum zu schaffen und wie groß die Nachfrage.

Einem Großvorhaben in der Rottweiler Straße hat das Gremium allerdings zugestimmt. Auf dem einstigen Gelände der Galvantotechnik von Au, jahrzehntelang ein Schandfleck, entsteht derzeit ein viergeschossiges Mehrfamilienhaus. Die tatsächlichen Dimensionen allerdings dürften manchen überraschen.

Die Diskussionen und Veränderungen des Ortsbilds sind auch außerhalb der Gemeinde ein Thema. In Rottweil-Hausen etwa sorgt der geplante Bau eines viergeschossigen Mehrfamilienhauses in der Ortsmitte für Unruhe. Auch im Bauausschuss des Rottweiler Gemeinderats fielen kritische Worte zu dem Vorhaben: Jürgen Mehl (SPD), nicht nur Mitglied im Rat, sondern auch im Geschichts- und Altertumsverein, der sich in Rottweil um die Wahrung der historischen Wurzeln und der städtischen Identität bemüht, urteilte gar: "Die Verzimmernerung von Hausen hat begonnen." Auch ein Dunninger Leserbriefschreiber greift den Begriff auf und spricht wiederum von "verstädternden" Eingriffen in die dörfliche Bebauung.

Hotel-Bau hängt von erfolgreicher Suche nach Betreiber ab

Solch ein markanter Eingriff ist auch das Dienstleistungszentrum mit Apotheke, Sparkassenfiliale und Arztpraxis in der Hauptstraße. Vis-à-vis feilt der Bürgermeister an einem ähnlichen Neubau. Auf dem ehemaligen Hemag-Gelände soll ein zweites Wohn- und Geschäftshaus entstehen: mit Café und Veranstaltungsräumen, aber vor allem 22 Hotelzimmern. Maser verspricht sich vom Neubau in Verbindung mit dem Dienstleistungszentrum eine Torwirkung: Links und rechts sollen die Gebäude die Einfahrt zum Dorfplatz flankieren. Der Wunsch nach einem Hotel sei "ein Anliegen, das schon länger an mich und die Gemeinde herangetragen wurde", von Unternehmen, hatte der Schultes voriges Jahr im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt.

Fast zwei Jahre ist es her, dass der Rathaus-Chef das Vorhaben publik machte. Der Entwurf, der auf einer Tafel in der Ortsmitte zu sehen ist, hat gut anderthalb Jahre auf dem Buckel. Dennoch: Während die übrigen Bauarbeiten laufen, tut sich in Sachen Hotelbau nichts. Interessenbekundungen von einem Investor seien da, erklärt Bauamtsleiter Otto Haller. Allerdings sei die Gemeinde nach wie vor auf der Suche nach einem Betreiber für das geplante Hotel. Bis die erfolgreich ist, bleibt das Hemag-Gelände in der Ortsmitte eine unschöne Brache.

Auf die blicken Tanja Fiedler, Werner Erath und die anderen Schaulustigen allerdings nicht, als sie am "Adler"-Eck stehen und schauen. "Oh, der erste Lkw!", ruft Fiedler. Ihres und die anderen Augenpaare richten sich auf den grünen Riesen, der sich vom Dorfplatz her nähert. Ohne Probleme fährt der 40-Tonner in den Kreisel ein und auf der anderen Seite wieder hinaus – auf seiner Fahrspur, ohne übers Bankett zu holpern. "Der kommt durch!", kommentiert Fiedler zufrieden, Hauptamtsleiter Johannes Klingler streckt gegenüber den Daumen in die Höhe. Jetzt, meint die Zimmernerin, bleibe nur noch die Frage, ob auch zwei Lastwagen aneinander vorbeikommen. Mit Sicherheit nicht die einzige, die Zimmern in Zukunft bewegen wird.