Nachdem die Schultheiß’schen Emaillierwerke abgebrannt waren, richtete man die teilweise erhaltene Struktur noch provisorisch her, später wichen die Notgebäude allerdings einem Parkplatz. Heute ist hier das Postgebäude zu finden. Foto: Archiv

Nach dem Abriss des "Adler" muss ein neuer Standort gefunden werden. Baracken weichen. Mit Glosse

St. Georgen - Für das heutige Postgebäude müssen in den 1970er-Jahren nur einige Baracken weichen, der Platz ist damals so gut wie ungenutzt. Doch eine Straße am Winterberg verrät noch heute, wer dort im 19. Jahrhundert seiner Arbeit nachging.

Wer um 1900 eine Universität in der Region besuchen wollte, musste nicht den weiten Weg nach Freiburg auf sich nehmen. Bereits im Schwarzwald wurde man fündig, genauer gesagt auf dem Areal des heutigen Postgebäudes in St. Georgen. "Genau da ist sie, das schmucklose Haus", sagt Geschichtsexperte Otto Rapp und tippt mit dem Zeigefinger auf den äußersten Rand eines Bildes, das die Gewerbehallestraße zeigt. "Zu diesem Haus hat man als Witz Städtische Universität gesagt, weil es so furchtbar war." Tatsächlich war in dem Gebäude seinerzeit die Bürgerschule untergebracht, ehe 1905 die Robert-Gerwig-Schule fertigstellt wurde.

Doch einen Schritt zurück: Wo heute Beton und die Farbe Grau dominieren, standen einst die Schultheiß’schen Emaillierwerke. 1841 von Johannes Schultheiß gegründet, befand sich die Fabrik zuerst auf dem heutigen Platz des Postgebäudes und dem Postparkplatz. Brände in den Jahren 1885 und 1901 zerstörten die Fabrik allerdings so stark, dass man einen Neubau auf der gegenüberliegenden Straßenseite plante. Währenddessen wurden die abgebrannten Häuser provisorisch wieder hergerichtet. Die Stadt St. Georgen erhielt ihre "Universität".

Die Familie Schultheiß konnte sich bei ihrem Neubau derweil auf die Unterstützung ansässiger Unternehmen verlassen. Denn vor allem die Uhrenindustrie hatte ein begründetes Interesse daran, dass es in St. Georgen auch künftig günstige Zifferblätter aus Email gibt. Dabei produzierte die Fabrik nicht nur Zifferblätter: Dank des sogenannten Bonderverfahrens, das Johann Georg Schultheiß in die Bergstadt gebracht hatte, war auch die Herstellung von Haus- und Straßenschildern möglich.

Die Nutzung von Eisen anstelle des teuren Kupferblechs brachte der Firma einen riesigen Aufschwung. Bis in die 1930er-Jahre konnten die Emailleure von ihrer Arbeit leben – dann wurde Insolvenz angemeldet. 1940 zog dort die Firma A. Maier ein.

In den 70er-Jahren rückte das Areal, auf dem einst die ersten Schultheiß’schen Werke standen, erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Da dem "Adler" der Abriss bevorstand, war die Post auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Die Stadt versprach der Post im Gegenzug für den Verkauf des Gasthauses ein Grundstück an anderer Stelle – dem heutigen Standort. "Und da sag noch einer, das war schön", kommentiert Rapp und greift nach einem weiteren Bild, das den damaligen Zustand zeigt. Die unschöne "Universität" ist einem tristen Parkplatz gewichen, im Hintergrund sind Baracken und das Nebengebäude des "Adlers" zu sehen.

1968 wurden die Verträge unterzeichnet. Während das Postamt als Übergangslösung im ehemaligen Fabrikgebäude der Firma Mathias Bäuerle in der Gerwigstraße untergebracht war, begannen die Planungen für das neue Gebäude. 1979 erfolgte der Spatenstich, drei Jahre später wurde das Postamt feierlich eingeweiht.

Das Interessante daran: Die Entscheidungen von damals wirken sich in diesem Bereich Jahrzehnte später auf die nun anstehende Sanierung aus. Denn das Postgebäude und die Tiefgaragen, die jüngst im Fokus der Planungen standen, weisen komplizierte Eigentumsverhältnisse auf.

Während in einer Festschrift von einem Grundstückskauf zwischen der Stadt und der Deutschen Bundespost im Jahr 1968 die Rede ist, ist mehr als ein halbes Jahrhundert später weder das Gebäude noch das Grundstück im Besitz der Post. Bis heute gehört das Areal der Stadt, inklusive der darunter liegenden Tiefgaragen. Für die hat die Post, die die darüberliegenden Räumlichkeiten wiederum von einem Privateigentümer mietet, ein uneingeschränktes Dauernutzungsrecht. Der Wohnteil des Hauses gehört indes der Familienheim.

Alte Baupläne sowie die heutige Erscheinung belegen auch, das ein Anbau an das Postgebäude geplant war. Einige Meter weiter befand sich Ende der 70er-Jahre noch ein altes Haus, das einst zu den Emaillierwerken gehörte. Direkt daneben stand das Wohnhaus der Gebrüder Schultheiß, das später von Paul Hermann gekauft wurde und der darin ein Geschäft für technische Uhrwerke betrieb.

Das Haus, das künftig den Namen seines Besitzers trug, verschwand wenig später. Was blieb, war das Gebäude Am Markt 1 – vorerst. Mitte September wird das letzte Bauwerk, das in diesem Bereich die erste Sanierung überstand, abgerissen.

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Glosse: Lauf, Forest, lauf!

Von Nadine Klossek

"Meine Mutter hat immer gesagt: Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt." Das ist wohl das bekannteste Zitat aus "Forrest Gump". Der Film über das Leben eines Mannes, der zufällig in den kuriosesten Situationen landet, könnte eigentlich von einem St. Georgener inspiriert sein: Johann Georg Schultheiß.

Er wurde unter anderem wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, flüchtete als Mönch vor dem bayerischen König und freundete sich mit Napoleon III. an. In St. Georgen wiederum setzte er sich als Protestant für den Bau einer katholischen Kirche ein, verklagte den Staat, als der Gemeindewald in dessen Hände fiel, und sicherte der Bergstadt eine Zuganbindung.

Soweit, so lobenswert. Sollte man meinen. Die St. Georgener betonen lieber, dass er nie wirklich etwas zu Ende gebracht hat. In die Geschichtsbücher ging er als "der ewige Student" ein. Wäre also tatsächlich Schultheiß’ Leben verfilmt worden, wäre es wohl nicht das Pralinen-Zitat geworden. Er säße nicht wie Tom Hanks auf einer Bank, sondern würde lässig an einem Baum des durch ihn zurückerlangten Gemeindewaldes lehnen. "Meine Mutter sagt immer: Nit gschimpft isch gnug globt".

Mit der geplanten Innenstadtsanierung hat sich St. Georgen einem Millionenprojekt angenommen. In den kommenden Jahren wird gebaggert, gespachtelt und gebaut. Die Bergstadt, wie man sie heute kennt, wird damit auch ein Stück weit verschwinden. Grund genug, zurückzublicken: In unserer Sommerserie Zeitreise veröffentlichen wir wöchentlich eine Geschichte über die Gebäude und Areale, die bereits nach der ersten Sanierung für immer verschwanden – vom Zünderschlössle über das Kaufhaus Raff bis hin zum Café Schöner.