Fasnet 2018: Das Wellendinger Strohbärenteam bindet ein besonders schönes Exemplar. Foto: Schwarzwälder Bote

Premiere: Narrenzunft Wellendingen fühlt sich der Pflege eines Brauchtums auf besondere Art verpflichtet

Strohbären sind imposante Wesen: ihre Gestalt riesiger als der Lemberg, ihr Appetit mächtiger als der eines Allgäuers, ihr Durst größer als jener eines Stammtisches. Aber sie verkörpern zuallererst ein traditionelles Brauchtum.

Wellendingen. Um dieses Brauchtum der Öffentlichkeit zu zeigen, zu erklären und vorzuleben, haben Hartmut Ratz und Guido Hermann den ersten Strohbärentag in Wellendingen ins Leben gerufen. Er ist an Mariä Lichtmess, am Samstag, 2. Februar. Er beginnt um 11.30 Uhr mit dem Vortrag eines Experten aus Empfingen und endet mit dem Narrenbaumstellen pünktlich zum Betzeitläuten.

Die beiden Wellendinger halten die Tradition der einheimischen Fasnet hoch. Seit Jahrzehnten in der Narrenzunft engagiert, die ihrerseits 2019 seit 95 Jahren als Verein existiert, fühlen sich Hermann und Ratz dem Brauchtum verpflichtet. Besser: Es liegt ihnen sehr am Herzen.

Deshalb ist der Strohbärentag der Narrenzunft Wellendingen bewusst nicht als "Party-Event" konzipiert. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass sittsam bei Wasser und Brot dem Strohbärenbinden und dem gemeinsamen Umzug zugeschaut werden soll. Zwar ist sittsam generell ratsam, doch jenseits von Wasser und Brot offerieren Wirtschaften und Besen rund um den Schlossplatz und im weiteren Umkreis mehr als diese Grundnahrungsmittel. Sowohl vor dem Betzeitläuten, als auch danach.

Zur Wellendinger Fasnet gehört der Strohbär. Doch nicht nur in Wellendingen. Deshalb gingen beide Initiatoren seit längerer Zeit mit dem Gedanken schwanger, ein Strohbärentreffen ins Leben zu rufen. Die ersten Ideen gab es vor etwa zwei Jahren. Mit Blick auf die Vereinigung schwäbisch-alemanischer Narrenzünfte, Fasnetslandschaft Neckar-Alb, deren Mitglied die Wellendinger Narrenzunft ist, und das Landschaftstreffen 2020 in Bad Cannstatt bot sich die Premiere in diesem Jahr an.

Sechs Bärenfreunde

Zwölf Zünfte, die Strohbären in ihren Reihen haben, wurden angeschrieben, sechs wollen kommen und ihren Strohbären präsentieren: Poppele-Zunft Singen, Narrenzunft Böttingen, Narrenzunft Binsdorf, Habermuszunft Bubsheim, Butzenzunft Kiebingen und Narrenzunft Empfingen. Kleiner Wermutstropfen: Die unmittelbaren Nachbarn aus Wilflingen haben wegen einer anderweitigen Verpflichtung abgesagt.

Wer nun denkt, dass Strohbär gleich Strohbär ist, täuscht sich. Es gibt sie in verschiedenen Strohvarianten – langhalmiges Weizen-, Roggen- und Haferstroh sowie Stroh aus der Futtererbse – und mit unterschiedlichem Aussehen und diversen Accessoires.

Blick in die Überlieferung

Wo der allererste Strohbär einst gelaufen ist, lässt sich durch keine fundierte Quelle belegen. Bekannt ist auf jeden Fall, dass einst Wellendinger Holzfuhrleute, die in einer Gemeinde auf dem Heuberg Holz rückten, sich mitten im Sommer einen Strohbär anfertigten und durch diese Ortschaft getrieben haben. Dies hat Karl Fehr geschrieben und ist in dem kleinen Bildband "Am Anfang war das Stroh" notiert. Stroh war für ärmere Leute ein billiges Verkleidungsmaterial.

Weiter heißt es: "So soll in der Zeit um 1900 der Strohbär am Fasnetsdienstag in einem Handleiterwagen liegend durch das Dorf transportiert worden sein. Im Gefolge begleitet von Bauern mit Dreschflegeln, Sensen, Rechen und Gabeln. Endstation war das ehemalige Gasthaus zur Sonne. Dort wurde der Bär von seiner Last befreit. Das Stroh durfte aber erst nach dem Betzeitläuten verbrannt werden. So endete früher in Wellendingen das fastnächtliche Treiben."

Sorgsam und mit Bedacht

Dass das Strohbärenbinden eine zeitaufwendige Angelegenheit und eine Kunst ist – es muss sorgsam und mit Bedacht geschehen –, kann in Wellendingen am besten "Strohbärvater" Guido Hermann erzählen oder es lässt sich am 2. Februar ab 13.30 Uhr an den vier vorgesehenen Lokalitäten in der Lembergstraße/Ecke Robert-Bosch-Straße/Bei der Kirche bei der öffentlichen Demonstration aller anwesenden Strohbärgruppen verfolgen.

Dass überhaupt Stroh zum Strohbärenbinden vorhanden ist, liegt daran, dass sich traditionell verwurzelte Jugendliche und Erwachsene am Ende des Sommers auf einem Weizenfeld in Wellendingen von Heinz Hermann zur Ernte treffen, mit der Sense das Getreide ganz unten abschneiden und so den Grundstein für das Binden eines Strohbären legen.

360-Grad-Aufnahmen

Jenseits dieser Traditionen zieht in Wellendingen aber auch die Moderne am Strohbärentag ein. Avisiert sind vom Verein Narrenschopf 360-Grad-Aufnahmen, die dann in Bad Dürrheim archiviert und gezeigt werden. Nicht auszuschließen ist ebenfalls der Besuch eines Teams vom SWR und ein entsprechender Beitrag im Fernsehen.

Programm des Tages

Neben dem angesprochenen Start des Tages mit dem Vortrag von Werner Baiker im Bürgerhaus (ab 11.30 Uhr) und dem Strohbärenbinden (ab 13.30 Uhr) zeigen ab 14 Uhr Klepfer auf dem Schlossplatz ihr Können. Um 16.30 Uhr startet der gemeinsame Umzug aller Strohbären mit den Treibern zum Rathaus und deren Präsentation von einem Fachmann. Für 17.15 Uhr ist die Ansprache des Wellendinger Zunftmeisters, Robert Baier, terminiert. Präsentation der Hänsele und der Hoorig-Bären-Tanz folgen. Mit dem Narrenbaumstellen um 18 Uhr endet der Tag. Anschließend ist Ausklang in allen Wirtschaften und Besen.

Da zur Fasnet und zu den verschiedenen Strohbären Musik dazugehört, werden Wellendinger Musiker, Gößlinger Musikanten, der Fanfarenzug Singen und andere Künstler dabei sein.

Ein Bier pro "Bär"

Die Narrenzunft Wellendingen sieht es als Pflicht an, das Brauchtum weiterzugeben. Zwar mag ein Strohbär jungen Narren gehörigen Respekt einflößen – Hartmut Ratz kann sich noch gut erinnern, wie sich einst Kinder erschraken, als ein Strohbär in der Wirtschaft auf sie zukam –, und mögen Jugendliche Partys vorziehen, doch mit fortgeschrittenem Alter besteht die Möglichkeit, dass das Brauchtum zu seinem Recht kommt und geschätzt wird. Sonst, ja sonst, hat es die Fasnet in bewährter Form schwer.

Mit dem Strohbärentag setzt die Narrenzunft somit ein Ausrufezeichen. Und dahinter verbergen sich etwa 80 Helfer, die sich um den Ablauf kümmern: der Narrenrat und seine Damen, die Fasnets-GmbH (Torkelkeller), Mitglieder und Freunde der Narrenzunft, die Narrenbaumsteller, die Feuerwehr und viele mehr.

Da der Strohbärentag unter freiem Himmel stattfindet, hoffen die Organisatoren auf entsprechendes Wetter. Am besten trocken und kalt. Allenfalls konveniert noch Schnee. Regen? Nein. Hohe Temperaturen mögen Strohbären ebenfalls nicht. Unter der schweren Last von Weizen, Hafer, Roggen oder Stroh der Futtererbse wird es sowieso ziemlich heiß. Dies geht an die Substanz und macht sowieso schnell durstig.

Darum sind Strohbären – in der Regel – kräftige Kerle (wobei er für Frauen per se nicht verboten ist). Um noch einmal Karl Fehr zu zitieren, der über einen Wellendinger Mann schrieb, der jahrelang diese Strapazen auf sich nahm, der "Bär" genannt und damit das Jahr über geneckt wurde: "Kam man in das Gasthaus, in dem er saß, und einer sagte ›Bär‹ zu ihm, war seine Antwort, ›ein Glas Bier‹. So soll er ab und zu auf zehn bis 20 Glas Bier gekommen sein. Und er ging nicht heim, bevor all diese Spenden verquantet waren." Doch, wie gesagt, dies ist eine Geschichte von anno Tobak. Dass jene Tradition ebenfalls fortgeführt wird, ist nicht bekannt.