CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart bleibt dabei: »Das Thema Wahlrecht ist entschieden.« Foto: Stein

In der Landes-CDU kracht es nach dem Beschluss der Landtagsfraktion.

Stuttgart - Die Diskussion über die Änderung des Landtagswahlrechts sorgt weiter für Zündstoff – und das nicht nur bei den Grünen, sondern auch innerhalb der Landes-CDU.

Ein neues Wahlrecht, damit mehr Frauen in den Landtag kommen? Unter dem Deckmantel dieser Frage geht es nicht nur um den Machtkampf zwischen dem CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl und Wolfgang Reinhart, Vorsitzender CDU-Landtagsfraktion. Es geht auch um Fundamentalpositionen, die nun öffentlich aufeinanderprallen. Mit ihrem Alleingang hat die Landtagsfraktion eine bisher nur parteiintern schwelende Diskussion zum Kochen gebracht.

Nur einen Tag nach dem Entschluss der Fraktion feuern führende Vertreter der Frauen Union in einem Brief an die Landtagsfraktion eine Breitseite in Richtung Stuttgart ab: "Es ist eine Tatsache, dass der Frauenanteil im baden-württembergischen Landtag im bundesweiten Vergleich viel zu niedrig liegt", und "erstaunt, befremdet, empört und enttäuscht haben wir von der gestrigen Entscheidung erfahren". Signiert ist das geharnischte Schreiben von den FU-Bezirksfürstinnen Susanne Wetterich (CDU Nordwürttemberg), Silke Kurz (Hohenzollern) und Helga Gund (Südbaden). Auf den Brief angesprochen, lässt Letztere kein gutes Haar an der Landtagsfraktion: "Warum versucht man, das Thema in Form eines Vertragsbruchs zu thematisieren, wo die Frauen Union doch schon seit Jahren für eine Änderung des Wahlrechts kämpft?"

Die Landeschefin der Frauen Union, Inge Gräßle, schlägt in die gleiche Kerbe: "Ohne Not hat die Fraktion einen Riesenkonflikt ausgelöst, der der gesamten Partei und unserem Ansehen gerade auch bei den Wählerinnen enorm schadet", sagt sie. "Als zerstrittene, in einer wesentlichen Frage rückständigen Gruppierung rücken wir von der Option, stärker zu werden und den nächsten Ministerpräsidenten stellen können, doch immer weiter weg."

Aus informierten Kreisen ist derweil zu hören, dass der mögliche Bruch mit dem Koalitionsvertrag mit perfider Perfektion geplant worden sei: Nicht alle Fraktionsmitglieder – unter ihnen sollen Strobl und weibliche Abgeordnete gewesen sein – haben wegen des Termins anwesend sein können.

Auf Nachfrage unserer Zeitung gibt Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (Balingen), Vorsitzende der CDU Zollernalb, zu: Die Fraktion "war bei der Abstimmung nicht vollzählig". Zudem betont sie die Zusammenarbeit zwischen Grünen und CDU in der Landesregierung: "Mir war und ist wichtig, dass die erfolgreiche Arbeit der grün-schwarzen Regierungskoalition weiterhin fortgesetzt werden kann. Deswegen habe ich immer darauf hingewiesen, dass keinesfalls ein Signal gegen die Koalition und unseren gemeinsam ausgehandelten und beschlossenen Koalitionsvertrag gesetzt werden sollte." Damit distanziert sich sich von Reinhart. Über die weiblichen Abgeordneten, die dem Vertragsbruch sehenden Auges zugestimmt haben, meint Gund: "Das Vorgehen der Frauen der CDU-Fraktion stößt bei der Frauen Union auf überwiegendes Unverständnis."

Viele Verbände sind für die Reform

Auch die Frage, warum die Frauen ihrem Fraktionschef gefolgt sind, weiß Gund mit schlagender Offenheit zu beantworten: "Weil sie selbst vom jetzigen Wahlrecht profitieren und offenbar kein Interesse daran haben, mehr Frauen den Weg ins Parlament zu ermöglichen!" Gund weiter: "Sie blenden aus, wie zufällig die jetzige Zweitauszählung ist und dass wichtige Gruppen überhaupt nicht in der CDU- Fraktion vertreten sind und mit diesem bisherigen System auch keine Chance in der CDU haben." Sie fordert: "Wir wollen Teilhabe: der Frauen, weiterer wichtiger Gruppen und der Großstädte".

In einer E-Mail an alle CDU-Ortsverbände im Südwesten vom Freitag gibt sich die Fraktionsspitze dagegen rätselhaft verschleiernd bis schmallippig: "Gerade auch alle zehn Frauen in unserer Landtagsfraktion haben sich mit starken Argumenten für unser bisheriges Wahlrecht ausgesprochen." Ganz auf Linie des CDU-Fraktionsvorsitzenden ist Thomas Blenke, Abgeordneter und CDU-Vorsitzender im Landkreis Calw: "Wir hören aus allen Landtagsfraktionen die Rückmeldung: Jawohl, wir sehen das genauso wie ihr." Auch Stefan Teufel, Kreisvorsitzender in Rottweil und Vize-Fraktionschef im Landtag, will seinem Fraktionschef nicht widersprechen: Eine Änderung des Landtagswahlrechts würde "keine Verbesserung, sondern eher das Gegenteil gewirken".

Der Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei (Donaueschingen), Kreisvorsitzender der CDU Schwarzald-Baar und stellvertretender CDU-Landesvorsitzender, gibt sich unwissend: Er kenne die Erklärung der Landtagsfraktion nicht, würde eine solche aber auch nicht unterstützen. "Allerdings ist auch die Position der Landtagsfraktion zu respektieren und das derzeitige Wahlrecht das bürgernähste, das es gibt. Dies sollte nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden."

Und Reinhart? In einem E-Mail-Rundschreiben an alle Ortsverbände stellt er klar, dass das Nein seiner Fraktion zu einer Reform nicht verhandelbar sei – und heizt die Stimmung damit weiter an: Ebenfalls am Freitag wird eine Erklärung veröffentlicht, welche die vereinbarte Reform im grün-schwarzen Koalitionsvertrag einfordert. Unterzeichner der Erklärung sind der Bundestagsabgeordnete und Stuttgarter CDU-Kreischef Stefan Kaufmann, Landesvorstandsmitglied Erik Bertram, der CDU-Chef des Verbands Stuttgart-Mitte, Romen Link, die CDU-Kreischefs Willi Streit (Konstanz) und Peter Kleefass (Freiburg) sowie die Ulmer Stadtverbandsvorsitzende Barbara Münch.