Thomas Jensen, Veranstalter des Wacken Open-Air Festivals (WOA) vor einem Bild des Festivalgeländes. Foto: dpa

Ein Dorf trägt Schwarz: Im norddeutschen Wacken verwandeln bereits Tausende Festivalbesucher den Ort in ihre „Metal Town“. Für die Wackener selbst bedeutet das Ausnahmezustand. Die meisten wissen ihn für sich zu nutzen.

Wacken - In Wacken geht „Mutti“ gerade ein Geschäft durch die Lappen. „Vergangenes Jahr war sie noch hier und hat Zwiebelmettbrötchen verkauft. Wo ist Mutti hin?“, fragt sich Vincent Göbel. Der 30-Jährige mit dem kahlrasierten Kopf trägt eine schwarze Mönchskutte und eine dunkle Sonnenbrille. Kein Outfit, das Mütter in der Regel gutheißen. Aber „Mutti“ ist auch nicht Göbels Mutter, sondern eine Wackenerin. Eine von vielen, die sich während das Wacken Open Airs (W:O:A) mit einem Stand etwas Geld dazu verdienen - nur heute noch nicht, zwei Tage vor dem offiziellen Start. Also keine Mettbrötchen für Festivalbesucher Göbel und seinen Kumpel Malte. Macht nichts - Bier ist ja noch genug da.

Das kleine 1800-Einwohner-Dorf erlebt an diesem Tag den Einzug der „Metalheads“. Rund 75.000 werden zum 24. Wacken Open Air erwartet - es ist nach Angaben der Veranstalter das größte Heavy-Metal-Festival der Welt. Schwarz dominiert in den Straßen, hier und da schlängelt sich ein Traktor an den meist langhaarigen Gästen vorbei. Vielleicht fährt er nach Nutteln oder Moorhusen, das ist in der Umgebung. Wacken ist Provinz. Doch Anfang August ist alles anders, dann strömt die weltweite Metal-Szene in den kleinen schleswig-holsteinischen Ort. Die Ur-Wackener haben sich damit arrangiert - sie nutzen es sogar.

Einer der Profiteure ist Torge, elf Jahre alt. Er sitzt in einem kleinen Tretauto, hinten hat er einen Anhänger montiert. „Fünf Euro, das geben die meisten“, sagt Torge, wenn er nach dem Preis für einen Transfer vom Wackener Ortskern rüber zum 220 Hektar großen Festivalgelände gefragt wird. Meist fährt er mit seinem Tretauto Bierdosen oder Campingausrüstung umher. Manchmal auch einen Metal-Fan, dann geht es etwas langsamer voran. Torge trägt ein T-Shirt, auf dem „50 Prozent Mama, 50 Prozent Papa, 100 Prozent Wacken“ zu lesen ist.

Zur ersten Wacken-Ausgabe 1990 kamen rund 800 Leute

Einige Meter weiter steht Birgit Reimers in ihrem Schreibwaren- und Spielzeuggeschäft. Etwa 100 Wacken-Postkarten gehen am Tag über den Ladentisch, schätzt Reimers. Das Besondere an den Karten: In einer Dose kann der Wacken-Fan Erde vom Festivalgelände in die Heimat schicken. „Heilige Erde“, betont Reimers. Zum größten Teil des Jahres gehört diese Erde Kühen. Das Wacken Open Air spielt sich auf einer Weide ab - ist es vorbei, kehren die Tiere zurück.

„Das Festival-Bändchen hat mir der Bürgermeister an den Arm gemacht“, sagt Gerhard Breiholz und zeigt es nicht ohne Stolz hervor. Der 53 Jahre alte Breiholz ist in Wacken geboren und war schon 1990 bei der ersten Ausgabe dabei. In der Rückschau ein geradezu historisches Privileg: Nur rund 800 Leute kamen damals. Nun sitzt Breiholz auf einem Hocker an der Straße, beobachtet die Blechlawine und die Gäste in ihrer umfangreichen Metal-Montur. Das Festival ist für viele Wackener auch eine Art Kinofilm, der sich in jedem Jahr wiederholt.

Einer der beiden Festival-Gründer, Thomas Jensen, sitzt derweil auf dem Festivalgelände. Damals rief er das Wacken Open Air mit seinem Kumpel Holger Hübner aus einer Bierlaune heraus ins Leben. Heute ist Jensen eine Art Bürgermeister von „Metal Town“. Jensen nippt an einem Becher Brühe, um ihn herum werden die letzten Kabel verlegt. „Hier weiß jeder, was er zu tun hat“, sagt der 47-Jährige beruhigt. Am Donnerstag soll es auf dem Festivalgelände offiziell los gehen. In Wacken selbst hat der Heavy-Metal-Zirkus aber längst begonnen.