Die Unternehmer sorgen sich um die Attraktivität des Investitionsstandorts Deutschland. Foto: dpa

Die Südwest-Wirtschaft hofft, dass es bald handlungsfähige Bundesregierung gibt – Die Start-ups im Land fühlen sich nicht wahrgenommen.

Stuttgart - Am Sonntag stimmen die Delegierten auf dem außerordentlichen SPD-Bundesparteitag darüber ab, ob die Sozialdemokraten in Gespräche über eine große Koalition eintreten. Wenige Tage vorher macht sich in der Südwest-Wirtschaft Unmut breit. „Das Wort Start-up kommt in dem 28-seitigen Papier zu den Sondierungsergebnissen genau null Mal vor“, sagt etwa Adrian Thoma von der Regionalvertretung des Bundesverbands Deutsche Start-ups. „Das ist enttäuschend.“ Er begrüßt jedoch, dass sich SPD und Union auf ein Einwanderungsgesetz geeinigt haben, das den Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften nach Deutschland regelt. „Aus Start-up-Sicht ist das nur zu begrüßen, da vibrierende Start-up-Hotspots immer auch stark von ihrer Internationalität leben.“

Er hoffe, dass es möglichst bald zu einer handlungsfähigen Regierung kommt, sagte Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer Arbeitgeber in Baden-Württemberg. „In dem Sondierungspapier sehen wir allerdings sehr viele Punkte, die diese Erwartung nicht erfüllen, etwa in der Rentenpolitik, der Finanzierung des Gesundheitswesens oder den sehr detaillierten Festlegungen zur befristeten Teilzeit“, so Peer-Michael Dick. „Sollte sich die Schlagseite zur Umverteilung durch Nachforderungen und Nachverhandlungen noch weiter vergrößern, wäre dies für uns kein akzeptables und zukunftsfähiges Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre“, sagt er.

Wolfgang Grenke, der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags, sagte: „Wie die Parteien sich einigen, bleibt ihnen selbst überlassen.“ Ziel sollte aber sein, dass nicht noch mehr Zeit verloren geht. „Denn die Verzögerungen im Bund wirken sich auf Entscheidungen der übrigen föderalen Ebenen aus“, so Grenke.

Harald Marquardt, Chef des Automobilzulieferers Marquardt in Rietheim-Weilheim

„Ich hoffe, dass auf dem Parteitag am Sonntag dafür gestimmt wird, dass die Sozialdemokraten mit der Union in Koalitionsverhandlungen eintreten. Die Regierungsbildung dauert nun schon viel zu lange an. Eine weitere Hängepartie täte der Wirtschaft nicht gut. Dennoch gäbe es an vielen Stellen der Sondierungsergebnisse Kritik anzubringen: etwa an der fehlenden Entschlusskraft beim Thema Digitalisierung, an höheren Steuern, den weiteren Eingriffen in die Tarifautonomie oder an den teuren Ausgabenversprechen, die Unternehmen zusätzlich belasten und damit ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit schwächen. Auch das Ziel einer schwarzen Null ist mir aus unternehmerischer Sicht zu wenig ambitioniert. Was mir aber viel wichtiger ist als die Nachbesserung einzelner Details, das ist eine klare Vision der Sondierer, die den Menschen eine klare Orientierung gibt und aufzeigt, wohin die Reise unseres Landes gehen soll. Wenn dies nicht geschieht, birgt eine Neuauflage der großen Koalition das Risiko, dass die radikalen Parteien weiter gestärkt werden und dringend notwendige Reformen auf der Strecke bleiben. Ich wünsche mir deshalb von den Akteuren in Berlin, dass sie den Mut zur Gestaltung aufbringen und an das große Ganze denken, statt sich im Klein-Klein zu verlieren. Denn es ist aktuell nicht die Stunde der Parteien, sondern die Stunde der Zukunft Deutschlands als Teil Europas und der Welt.“

Wolfgang Grupp, Inhaber und Geschäftsführer von Trigema in Burladingen

„Mir wäre es recht, wenn die SPD-Delegierten der großen Koalition am Wochenende ein Ende setzen und dass es dann zu Neuwahlen kommt. Ich habe die CDU zwar gewählt, bin aber mit vielen Punkten nicht einverstanden. Ich plädiere dafür, dass die Christdemokraten wieder zu ihrer ursprünglichen Politik zurückkehren. Dann würden auch die Abtrünnigen von der AfD zurückkehren. Das, was im Moment in Berlin läuft, hat jedenfalls mit einer Demokratie nichts mehr zu tun. Die CDU und die SPD sind die Parteien, die vom Wähler am stärksten abgestraft wurden. Wie soll es denn gerechtfertigt werden, dass ausgerechnet diese Parteien nun regieren? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Mir geht es dabei eher um das demokratische Prinzip als um das Ergebnis der Sondierungsgespräche – wie beispielsweise der Beschluss, dass die Krankenversicherung künftig wieder von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu gleichen Teilen bezahlt werden soll. Es wird mir doch kein Unternehmer ernsthaft sagen können, dass er Insolvenz anmelden muss, weil die Krankenversicherung seiner Mitarbeiter für ihn jetzt etwas teurer wird, denn sind wir doch mal ehrlich: Die Wirtschaft kann sich nicht beklagen. Die Geschäfte laufen gut! Das tun sie allerdings nicht wegen, sondern trotz der Politik. Die Politik hat mich ehrlich gesagt noch nie gerettet. Ich muss meine Probleme selbst lösen.“

Nikolas Stihl, Vorsitzender des Beirats beim Motorsägenhersteller Stihl in Waiblingen

„Das Sondierungspapier walzt den Satz der Kanzlerin, sie wisse nicht, was sie hätte anders machen sollen, auf 28 Seiten aus. Wir hätten uns mehr erhofft, haben aber nicht wirklich mehr erwartet. Das größte Lob ist, dass es auch hätte schlimmer kommen können. Das Sondierungsergebnis ist enttäuschend und lässt eine schlüssige Antwort auf das Ziel vermissen, wie Vollbeschäftigung erreicht werden und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gestärkt werden kann. Der Verzicht auf Steuererhöhungen ist angesichts von Rekordeinnahmen viel zu wenig. Während die USA, Großbritannien und Frankreich die Unternehmensbesteuerung in den nächsten Jahren deutlich senken werden, fehlt im Sondierungspapier ein deutliches Signal, Unternehmen, insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe, zu entlasten. Zu erwarten sind weitere Belastungen. Die Wiedereinführung der paritätischen Krankenversicherung sowie die geplante Freigrenze bei der Reduzierung des „Soli“ führen zu Wettbewerbsnachteilen und treffen insbesondere den Mittelstand. Für die Wirtschaft bedeutet die neue Groko den alten Stillstand. Die bisherigen Verhandlungsergebnisse geben keine schlüssigen Antworten auf die Herausforderungen von Digitalisierung, Globalisierung und demografischen Wandel. Union und SPD müssen die Soziale Marktwirtschaft erneuern, statt den Status quo zu konservieren.“