Fotos: Fahrland Foto: Schwarzwälder Bote

Elisa Wittig will mehr sein als das Down-Syndrom-Mädchen / Mutiger Auftritt beim "OberndorfSLAM"

Die Teilnahme am "OberndorfSLAM" ist für Elisa Wittig die Gelegenheit, mal woanders aufzutreten, als in ihrem unmittelbaren Umfeld. Ihr Ziel ist es, als Elisa wahrgenommen zu werden – und nicht als "das Down-Syndrom-Mädchen".

Vöhringen. Die 34-Jährige ist in Vöhringen als älteste von vier Geschwistern geboren, lebt und arbeitet bei Herrenberg in einer anthroposophischen Dorfgemeinschaft und liebt das Theater. Sie hat viele Aufführungen des Landestheaters Tübingen (LTT) besucht, tritt selbst gern auf und spielt seit zehn Jahren in Deckenpfronn beim integrativen Theater.

Wenn Elisa Wittig am 2. Oktober als eine von fünf Teilnehmer im Café Paula vor das Publikum tritt, nimmt sie eine Pionierfunktion ein. "Die Menschen sollen jemanden mit Down-Syndrom besser kennenlernen", wünscht sie sich. Außerdem wolle sie an den verstorbenen Künstler Rio Reiser erinnern.

Die Aufführung des biografischen Musicals "König von Deutschland" vor etlichen Jahren am LTT hat sie schwer beeindruckt, erinnert sie sich. Die Texte kann sie immer noch auswendig. Drei Titel sind in der Auswahl.

Es steckt mehr in der kleinen Person, als es den Anschein macht

I hrem Auftritt sieht die 34-Jährige recht unbekümmert entgegen. Als ihre Mutter Ursula Sackmann-Wittig beim Pressegespräch im heimischen Wohnzimmer eine Kostprobe vorschlägt, kostet das Elisa offenbar trotzdem Überwindung. Schließlich traut sie sich – auf ihre individuelle Art, in ihrem Tempo. "Junimond" in einer Art Sprechgesang, intensive Worte – zum Teil mit geschlossenen Augen und geballten Fäusten, die sie an die Brust presst. Es steckt mehr in dieser kleinen Person, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.

Für ihren Auftritt in Oberndorf wünsche sie sich "viel Power" und möchte "gern ein bisschen wild sein", sagt sie. "Als ich heute gesungen habe, war es, wie wenn ein Feuer brennt, und die Sonne kam durchs Fenster", erklärt Elisa ihre Empfindungen. Ob sie a cappella singen wird oder mit musikalischer Begleitung, ist noch offen. Dietmar Danner vom Kulturforum hätte vor Ort einen Klavierspieler an der Hand. Vielleicht könne diesen Part aber auch einer von Elisas Betreuern mit der Gitarre übernehmen, um noch üben zu können, schlägt ihre Mutter vor. Doch Elisa scheint es zu genügen, ihre Lieblingslieder im Alltag vor sich hinzusingen.

Sie arbeitet als Bäckerin in der betreuten Backwerkstatt ihrer Einrichtung. "Teig ausrollen, Kekse eintüten und Dauergebäck schokolieren" gehören zu ihrer Aufgaben. Auf die Frage nach ihren Hobbys nennt Elisa an erster Stelle: Musik hören. Es folgen Stricken, Malen, Fahrradfahren und Schwimmen. In ihrem Geburtshaus in Vöhringen hängt das Plakat einer Kunstausstellung mit ihren Bildern.

Dorfgemeinschaft in Deckenpfronn ist ihr zweites Zuhause

Wenn Elisa im Hotel einen dicken Schmöker oder eine Zeitung an den Frühstückstisch mitnehme, ernte sie anerkennende Blicke, berichtet ihre Mutter. "Sie hat alle Harry-Potter-Bände gelesen. Ihre Geschwister haben sogar am Abend den Inhalt abgefragt, weil sie erst Zweifel hatten", erinnert sie sich.

"Schreiben kann ich auch", sagt Elisa stolz. Gelernt hat sie es mit zwölf Jahren, angetrieben von der Sehnsucht nach dem Können ihrer jüngeren Geschwister.

Seit zehn Jahren ist die Dorfgemeinschaft Tennental in Deckenpfronn ihr zweites Zuhause. Ihre Tochter habe eine ausgeprägte Sehnsucht nach Weiterbildung und den starken Wunsch, Teil der Gesellschaft zu sein, meint Ursula Sackmann-Wittig. Mit einigen Schauspielern vom Landestheater Tübingen und Künstlern aus Rosenfeld habe Elisa Freundschaft geschlossen, erklärt ihre Mutter. Und hebt hervor: Der Inklusionsgedanke müsse sich weiter durchsetzen.

Ihr als Mutter falle es trotzdem schwer, für den Auftritt Kontrolle abzugeben, weil sie zum Perfektionismus neige und wisse, "dass es nicht nur wohlwollendes Publikum gibt". Es sei ein Sprung ins kalte Wasser. "Vielleicht bin ich aufgeregter als meine Tochter. Ich werde Freundinnen mitbringen und versuchen, mich zurückzuhalten."

Ihre Tochter formuliert es unverblümt. "Ich bin erwachsen. Kein Kindergartenkind mehr, das man anschaut wie ein Äffchen im Zoo." Ihre Verletzlichkeit, "wenn mir einer blöd kommt", macht Elisa mit einer schützenden Geste deutlich. Viel lieber mag sie nette Menschen und lächelt zurück. Manches lässt sich eben besser in Gestik und Mimik als in Worten ausdrücken.