Justiz: Cannabis, Colaweizen und eine letzte Chance

Rottweil/Villingendorf (apf). Zurück bleiben zwiespältige Empfindungen nach einer nicht alltäglichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Rottweil, die sich um Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, in diesem Fall mehrere Polizisten, gedreht hat.

Zuerst der nüchterne Tatbestand. Als die Rottweiler Polizei am Sonntagabend, 10. Juni, wegen Streitigkeiten in einem Haus zum dritten Mal nach Villingendorf fahren musste und schließlich einen 34-jährigen Mann mitnahm, wehrte sich dieser, spuckte sogar, im Polizeiwagen sitzend, Richtung einer Polizistin, traf sie am Unterarm, und beschimpfte die Vollstreckungsbeamten. Das Niveau seiner Wortbeiträge lässt sich in die Kategorie unterste Schublade einordnen, "Kostproben" gibt er vor Gericht.

Er räumt sein Fehlverhalten bereitwillig ein. Er entschuldigt sich. Da er kein unbeschriebenes Blatt ist und sich in den vergangenen zwei Jahren bereits sechs Eintragungen im Bundeszentralregister angesammelt haben – wegen Beleidigung, Sachbeschädigung und Anbau von Betäubungsmitteln –, dreht sich schließlich beim Urteil die Frage darum, ob die geforderte Freiheitsstrafe von sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden soll (Verteidiger) oder nicht (Staatsanwaltschaft). Sie wird. Plus 30 Stunden gemeinnützige Arbeit. Versehen mit der Anmerkung der Richterin, dass diese Verurteilung ihm als Warnung dienen soll, dass die Bewährungszeit (drei Jahre) ihm noch einmal eine Chance gebe. (Die Betonung liegt auf "noch einmal".) Dafür bedankt er sich dann auch artig.

Im Laufe der Verhandlung zeigt sich ein Schicksal, das in heutiger Zeit selbst in der Raumschaft Rottweil kein Einzelfall ist. Seine Persönlichkeit vielleicht doch.

Er sei ständig in Angst und Demut aufgewachsen. Er beschreibt sich einerseits als "sehr sensibel", er habe zwei Katzen gehabt. Er sagt aber auch, dass er – zum Beispiel in Gegenwart seiner damaligen Mitbewohner in Villingendorf – "sehr vulgär" sei. "Diese Wortwahl verstehen sie." Sie hätten ihn immer wieder provoziert. Seit Juni arbeite er nicht mehr; arbeiten könne er nicht, wenn er nicht schlafen könne; und besagte Nachbarn hätten ihn immer wieder getriezt.

Die Hanfplantage in seinem Zimmer sei für ihn allein und diente einem medizinischen Zweck. Er habe in jungen Jahren einen Tritt in die Leistengegend bekommen und Schmerzen. Aggressionen habe er "nur bei Alkohol". Und an dem fraglichen Abend habe er acht Colaweizen ("Zehn ist mein Limit") innerhalb von etwa vier Stunden getrunken. Bei der Blutentnahme stellte das medizinische Fachpersonal in der Nacht einen Promillewert von 1,93 fest, teilt die Richterin mit. Auch sei er positiv auf Cannabis getestet worden.

Mittlerweile, so der Mann, habe sich sein Lebenswandel geändert. Er nehme keine Drogen mehr (was er künftig mindestens dreimal im Jahr mit einem Test nachweisen muss). Er habe seinen Frieden mit den Eltern gemacht. Er lebe von einer Erwerbsminderungsrente. Er sei dabei, sich eine Arbeit zu suchen. Doch er habe keinen Führerschein, und deshalb könne er nicht jede Arbeit annehmen.

Er wird vor Gericht laut und klagt anschließend, dass ihm sein rechtes Ohr schmerze. Er stellt fest, dass er überfordert sei. Sein Verteidiger konstatiert, dass er das "immer sind andere schuld" für Verzweiflung hält, nicht für Uneinsichtigkeit. Der Mann sei psychisch angeschlagen.

Und er ist vor Gericht zuerst nicht erschienen. Nach kurzer Zeit entschließen sich Verteidiger und Richterin, ihn von der Polizei holen zu lassen. Was auch geschieht. Als er etwa eine halbe Stunde später in den Gerichtssaal hineingeführt wird, entschuldigt er sich. Er habe geschlafen. Und dabei hätte ihn seine Mutter am frühen Nachmittag noch an den Termin per Telefon erinnert.