Spurensicherung im Jahr 2010 in Pforzheim. Foto: Becker

Ehemaliger Polizist Stefan Schubert schreibt Buch über die Gefahr, die von rockerähnlichen Gruppen ausgeht.

Villingen-Schwenningen - Am 23. Dezember 2012 überfiel eine Gruppe junger Männer elf andere Männer vor einer Shisha Bar in Esslingen. Nach der Attacke blieben am Ende sieben Leicht-  und vier Schwerverletzte zurück. Einer davon, Aytac C., erlag seinen Verletzungen. Ermittlungen ergaben, dass es sich um einen Überfall der Streetgang Red Legion auf eine Gruppe Black Jackets handelte.

Zahlreiche ähnliche Vorfälle beschreibt der frühere Polizist Stefan Schubert, um die Gefahr deutlich zu machen, die von Streetgangs ausgeht. Diese haben im Großraum Stuttgart und auch im Schwarzwald bereits feste Strukturen gebildet. Fesselnd schildert der Autor die Parallelwelt von den rockerähnlichen Gruppen, wie sie im offiziellen Sprachgebrauch von Polizei und Justiz genannt werden. Dabei macht er durch seine Recherchen deutlich, wie groß die Gefahr ist, die von den rockerähnlichen Gruppen ausgeht.

So zählt nach Schuberts Recherchen die mächtigste dieser Gruppen, die Black Jackets, die sich 1985 in Heidenheim gründeten, allein etwa 1000 Angehörige. Hinzu kommen Gruppen wie die inzwischen vom Innenministerium verbotene Red Legion, die United Tribuns und andere. Detailliert stellt der Autor die Entstehungsgeschichte, die Struktur und die Aktivitäten der zweitgrößten organisierten rockerähnlichen Gruppe dar – der United Tribuns. Ein Schwerpunkt ihrer Machenschaften liegt im Schwarzwald.

Mitglieder aus dem Rotlichtmilieu, aus der Türsteher- und Kampfsportszene

Unter dem Dach der rockerähnlichen Gruppe United Tribuns sind laut Schubert etwa 500 Mitglieder organisiert. Der bosnische Bürgerkriegsflüchtling Almir Culum, bekannt und gefürchtet unter dem Spitznamen »Boki«, gründete die United Tribuns im Jahr 2004 in Villingen-Schwenningen. Schubert schildert, wie die Organisation nach der Gründung innerhalb weniger Jahre schnell wuchs. Ein Großteil der Mitglieder, die die Gang rekrutierte, stammte aus dem Rotlichtmilieu sowie aus der Türsteher-, Kampfsport- und Bodybuilderszene. Fast alle hatten sie einen bosnischen Migrationshintergrund oder stammten vom Balkan. 

Allein in Villingen-Schwenningen hatte die Gruppe 40 Mitglieder. Aber auch in Städten wie Rottweil, Tuttlingen, Freudenstadt und Pforzheim entstanden Ortsgruppen, Chapter genannt.Sie waren bestrebt, Einfluss im Rotlichtmilieu und in der Türsteherszene zu erhalten. Spannend zeigt der Autor auf, wie die Ermittler der Polizei erst auf die Bande aufmerksam wurden, als der Boss der United Tribuns, Almir Culum, die Kaufsumme in Höhe von 112 000 Euro für seinen Ferrari bar beglich, ein Zweifamilienhaus in Villingen-Schwenningen kaufte und gleichzeitig eine Villa in Bosnien errichten ließ.

Die Villa in Bosnien sollte sich später als Zufluchtsort erweisen. So viel Geld in kurzer Zeit zu verdienen, war aus der Sicht der Ermittler nur durch kriminelle Handlungen möglich. Das Geld stammte laut Erkenntnissen der Polizei hauptsächlich aus  zwei von den United Tribuns betriebenen Bordellen  in Villingen-Schwenningen. Die ermittelten Fakten führten schließlich zur bis dahin größten Polizeiaktion in der Geschichte  Villingen-Schwenningens. Bei einem Großeinsatz von Spezialeinsatzkommandos, Einsatzhundertschaften, Kriminalermittlern und Steuerfahndern mit mehr als 250 Beamten waren seinerzeit 32 Bordelle, Wohnungen und Geschäftsobjekte in Villingen-Schwenningen, anderen Orten des Schwarzwald-Baar Kreises sowie in Freudenstadt, Rottweil und Tuttlingen durchsucht worden.

Die Polizeibeamten beschlagnahmten Limousinen, Bargeld, Schmuck, Anabolika und Waffen. Almir Culum und seine rechte Hand, ein Cousin, konnten sich rechtzeitig vor dem Großeinsatz und dem bestehenden Haftbefehl ins heimatliche Bosnien absetzen, von wo Culum ursprünglich nach Deutschland geflüchtet war. Anhand seiner Recherchen enthüllt der Autor, wie die United Tribuns ihre Kontaktmöglichkeiten als Türsteher nutzten.

Sie taten dies, um  junge Frauen aus der Region anzusprechen, die bis dahin oft keine Kontakte zum Rotlichtmilieu hatten oder aber bereits andernorts im Milieu tätig waren. Ziel laut Schubert: die Frauen   mit einem System aus Gewalt, Ausbeutung, Psychoterror zur Prostitution zu zwingen und auszubeuten.

Jungen Mädchen gaukeln sie Liebe vor, um sie in die Prostitution zu treiben

"Viele Frauen wurden gezielt in Diskotheken von Türstehern und Gangmitgliedern angesprochen. Dann dauerte es nicht mehr lange, bis sich die Spuren der oft naiven jungen Mädchen nach einer kurzen Phase der vorgegaukelten Liebe, einkalkulierter Geschenke, der Drogen oder skrupellosen Gewalt in einem Bordell verloren", erklärt Schubert.Weigerten sich die jungen Frauen, sich zu prostituieren, schreckte die Bande nach Schuberts Erkenntnissen auch vor brutaler Gewalt nicht zurück.

Die Frauen fürchteten insbesondere, nachts in den Wald gebracht und dort von mehreren Mitgliedern der United Tribuns fast ins Koma geprügelt zu werden. Auch auf eine unrühmliche Geschichte geht der Autor in seinem Buch ausführlich ein: die juristische Aufarbeitung des Vorgangs vor dem Landgericht Konstanz ab Juli 2010. Obschon schwere Vorwürfe wie ausbeuterische Zuhälterei, gewerbsmäßiger Menschenhandel, vorsätzliche Körperverletzung und andere Anklagepunkte mehr im Raum gegen die angeklagten Mitglieder der United Tribuns standen und auch bewiesen werden konnten, erhielten von fünf Hauptangeklagten nur zwei Haftstrafen.

Die anderen kamen mit Bewährungsstrafen davon. Almir Culum und sein Cousin »Dado« konnten sich bis heute erfolgreich in Bosnien, wo sie ein beschauliches Leben führen, der Strafverfolgung entziehen. Die bosnische Polizei liefert sie trotz internationalen Haftbefehls nicht aus. Schubert mutmaßt, dass sie ihren Lebensstil, zu dem weiterhin Limousinen mit deutschen Kennzeichen gehören, mit Geldern finanzieren, die in Deutschland mit Prostitution verdient werden.Wie die Gewalt aufgrund von Verteilungskämpfen im Türsteher- und Rotlichtmilieu eskalieren und große Polizeikräfte binden kann, die dann anderswo fehlen, macht der Autor anschaulich an etlichen Ereignissen fest.

Vor allem zwischen den Black Jackets, die ihren Einflussbereich im Rotlicht- und Türstehermilieu aus dem Großraum Stuttgart in Richtung Schwarzwald-Region ausdehnen wollten, und den dort etablierten United Tribuns kam es immer wieder zu Konflikten.Schubert schildert Ereignisse aus dem Jahr 2010, die sich in Pforzheim zutrugen.

Dort kam es zu gewalttätigen Übergriffen von 20 Mitgliedern der United Tribuns gegenüber vier Mitgliedern der Black Jackets. Der Polizei gelang es nur mit Mühe und unter Zusammenziehung größerer Einsatzkräfte, die etwa 400 anrückenden Black Jackets an der Fahrt nach Pforzheim zu hindern und eine größere Eskalation der Gewalt zu verhindern. Beängstigend sind die sich durch das Buch ziehenden Schilderungen von grenzüberschreitender Gewalt, die sich immer wieder auch gegen Unschuldige richtete und das Image der rockerähnlichen Gruppen nachhaltig beschädigte.

DAS BUCH:
Stefan Schubert, »Gangland Deutschland«, Riva Verlag München, 240 Seiten, 19,99 Euro.