Sexueller Missbrauch: Nach wie vor ein Thema, das die Gesellschaft gerne tabuisiert. (Symbolfoto) Foto: Symbolfoto: Hildenbrand

Nur jeder zehnte Fall gelangt zur Anzeige. Vergehen an Kindern nach wie vor Tabuthema. Täter kommen meist aus dem Umfeld.

Villingen-Schwenningen - An jedem dritten Tag passiert im Bereich des Polizeipräsidiums Tuttlingen ein sexueller Übergriff an Kindern. Aber nur jeder zehnte Fall gelangt zur Anzeige.

Starke Worte von einem, der die Delikt-Zahlen kennt und die Dunkelziffer erahnen kann. Präventionsarbeit ist Josef Bronners Aufgabe beim PP. Dabei ist der Grat schmal, Eltern für das Thema zu sensibilisieren, ohne Panik zu schüren.

"Wenn das Thema in den Medien ist, erinnern sich die Leute daran, dass da ja etwas ist", analysiert Bronner im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten, der im Vorfeld der Figurentheater-Veranstaltung "Pfoten weg" im Fidelisheim Villingen am 22. März (ab 14.30 Uhr) über seine Präventionsarbeit fürs Präsidium sprach. "Meistens wird das brisante Thema verdrängt", erzählt er. Die meisten Eltern, die in die Kindergärten und Grundschulen zu Elternabenden kommen, "sind einfach nur platt". "Platt", weil diese mit ihren "Klischeevorstellungen" aufräumen müssen, "dass eben nicht der böse fremde Mann im Spiel ist".

Es ist für viele starker Tobak, dass sich 80 Prozent aller Übergriffe im privaten Umfeld der Kinder abspielen. Mal ist es der Stiefvater, ein Bekannter der Familie oder eine andere Bezugsperson aus der Freizeit. "Der Angriff kommt meistens aus dem privaten Umfeld", so Bronner. "Und das ist nach wie vor schwer zu vermitteln."

Um so mehr begrüßt das PP Projekte wie "Pfoten weg" der Konstanzerin Irmi Wette, die mit ihrem Fugurentheater Kinder darin stärken möchte, "sich gegen unangenehme Nähe von Menschen zu wehren und Nein zu sagen". Dieses Selbstbewusstsein und diese Standhaftigkeit müsse auch in der Erziehung vermittelt werden, ergänzt Bronner. "Wenn eine Achtjährige den Schmatz der Tante oder der Oma nicht mag, dann hat sie ein Recht dazu, Nein zu sagen."

Josef Bronner beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Prävention und tut sich schwer damit, Zahlen zu nennen. Im gesamten Einzugsgebiet des Präsidiums liegen die Übergriffszahlen zwar bei über 100, aber der erfahrene Polizeibeamte weiß, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. "Die Dunkelziffer ist sehr hoch", den Erfahrungen nach liegt die tatsächliche Zahl um ein Zehnfaches höher. "Damit hätten wir in unserem Einzugsgebiet an jedem dritten Tag einen Übergriff." Auf den Schwarzwald-Baar-Kreis bezogen läge die Zahl aus dem Jahr 2014 damit bei etwa 230 Vorfällen. (Info).

Seit Jahren betreibt Bronner Präventionsarbeit, auch um Panikmache zu verhindern. Eltern sollten Kinder dazu ermutigen, zu Erziehern und Lehrern zu gehen, falls sie von Fremden angesprochen werden. "Kinder haben ein gutes Gespür dafür, wenn etwas nicht stimmt und ein gutes Gedächtnis." Auch was Erwachsenen nicht tun sollten, spricht er an: "Auf keinen Fall sollten sie mit Plakaten selbst ermitteln. Das schürt Panik und hilft nicht weiter."

Wie schwierig es ist, den schmalen Grat zwischen Information und Panikschüren zu gehen, weiß auch er. Gerade überbesorgte Eltern neigen dazu, "ein Angstgebäude aufzubauen". Dann sei der Weg nicht weit, "manche Berufsgruppen wie Betreuer oder Trainer unter Generalverdacht zu stellen. Und damit tut man diesen Menschen sehr Unrecht."

Info: Dunkelziffer hoch

Sexueller Missbrauch schwarz auf weiß: Das bedeutet "in der Tendenz gleichbleibende Zahlen", wenn auch über die Jahre Schwankungen zu beobachten sind. Im Einzugsbereichs des Polizeipräsidiums Tuttlingen liegt die Zahl im Jahr 2014 bei 103 Fällen. Die meisten Fälle wurden 2003 erfasst, insgesamt 169; die wenigsten im Jahr 2010 mit 81 Fällen. Im Schwarzwald-Baar-Kreis wurden voriges Jahr 23 Fälle angezeigt, 2010 waren es 14 Fälle, im Spitzenjahr 2003 waren es 30 Fälle. Die Dunkelziffer gilt jedoch als sehr hoch und liegt laut Experten um ein etwa Zehnfaches höher als die offiziellen Zahlen.