Die Mitarbeiter der Rettungsdienste beeilen sich. Trotzdem sind sie oft nicht innerhalb der vorgegebenen Zeit beim Patienten. Foto: Anspach

Im Südwesten kommen viele Retter nach wie vor nicht rechtzeitig zum Einsatzort. Rotes Kreuz: Immer mehr Einsätze.

Villingen-Schwenningen/Stuttgart/Lörrach -  Wer die 112 wählt, erwartet schnelle Hilfe. Doch bis der Rettungswagen und der Notarzt im vergangenen Jahr am Einsatzort waren, vergingen in Baden-Württemberg öfter mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen 15 Minuten, die in 95 Prozent der Fälle erreicht werden müssen. Die sogenannte Hilfsfrist verstreicht.

37 Rettungsdienstbereiche gibt es in Baden-Württemberg. Bei den Notärzten ist die Hilfsfrist 2013 nur in fünf Bezirken eingehalten worden. Bei den Rettungswagen waren es 15. Die Werte sind deutlich schlechter als 2012, als sie noch 8 und 25 betragen hatten. Zu oft kommen die Retter zu spät beim Patienten an.

Schlusslichter sind die Bereiche Waldshut (Notärzte: 82,9; Rettungswagen: 90,0), Lörrach (87,4; 92,1), Sigmaringen (85,0; 93,3), Freudenstadt (87,5; 94,1) und Hohenlohe (87,3; 93,3). Tausende Einsätze haben die Vorgaben damit verfehlt. Gerade in ländlichen Gebieten sackt der Wert auf bis zu 85 Prozent ab. Am Landkreis Lörrach zeigt sich aber, dass die alarmierende Entwicklung Gründe hat – und ein Stück weit relativiert werden kann.

Ein weiterer Rettungswagen steht bereit

Im äußersten Südwesten des Landes sank die Einhaltung der Hilfsfrist bei Notarzteinsätzen von knapp 91 auf gut 87 Prozent. Die Hilfsfrist der Rettungswagen reduzierte sich hingegen nur um ein gutes halbes auf rund 92 Prozent. Denn: Mitte des Jahres reagierten die Verantwortlichen bereits auf das deutliche Einsatzplus und stellten einen weiteren Rettungswagen in der Kreisstadt Lörrach bereit – täglich zehn Stunden von Montag bis Freitag. Damit habe man die Einsatzsteigerung bei den Rettungswagen kompensieren können, erklärt Svend Appler, Geschäftsführer des Rettungsdiensts des Deutschen Roten Kreuzes (DRK).

Er ist Vorsitzender des mit der Einhaltung der Hilfsfristen befassten Bereichsausschusses für den Landkreis Lörrach – und er kennt auch problematische Strukturen und Rahmenbedingungen. "Die Einhaltung der Hilfsfrist ist zurückgegangen, da wir einfach keine Notärzte bekommen", verweist er einerseits auf die Schweiz als finanziell attraktiven Arbeitsort für Mediziner im Dreiländereck.

Andererseits will er die doppelte Hilfsfrist infrage stellen – und kippen. Im Gegensatz zu fast allen Bundesländern, wo nur das Eintreffen qualifizierter Hilfe am Einsatzort maßgebend ist, müssen in Baden-Württemberg sowohl Rettungswagen als auch Notarzt in 95 Prozent der Fälle innerhalb von 15 Minuten nach dem Notruf am Einsatzort sein. Im Landkreis Lörrach würde bei der ansonsten in der Bundesrepublik üblichen Messlatte der Wert steigen, da die Notärzte längere Zeit benötigen als die Rettungswagen.

"Es gibt keine nachgewiesenen Vorteile für die in Baden-Württemberg ausschlaggebende Art der Berechnung", sagt Appler. "Ich kann mir nicht erklären, warum man an der doppelten Hilfsfrist festhält." Da er sich keine Notärzte "schnitzen" könne, solle der Fokus auf die Hilfsfrist bis zum Eintreffen des Rettungswagens gelegt werden.

Die Lörracher versuchen auch auf anderen Wegen, schneller zu werden. Während die erst vor Kurzem digital aufgerüstete Integrierte Leitstelle in der Stadt nur wenige Sekunden Zeitersparnis beim Kampf gegen die Uhr bringt, erhoffen sich die Verantwortlichen vom Neubau der DRK-Rettungswache in Weil am Rhein einen deutlicheren Zeitgewinn für den dortigen Rettungswagen. Statt an der Grenze zu Basel rückt die Einrichtung einige Kilometer weiter ins Landesinnere nach Binzen, liegt damit zentraler. Für dieses Jahr ist der Baubeginn geplant.

Mit den Einsatzzeiten, aber auch mit den Einsatzsteigerungen will sich der Bereichsausschuss schon Ende dieses Monats befassen. Mehr ältere Menschen und höhere Ansprüche an Hilfeleistungen sieht der DRK-Rettungsdienstgeschäftsführer übrigens als Ursache dafür, dass Rettungssanitäter und Notärzte häufiger gerufen werden. Es sei aber richtig, dass in den DRK-Ersthelferkursen dazu aufgerufen wird, besser einmal zu viel als zu wenig die 112 zu wählen.

Dass die Lebensretter auch im ländlichen Raum flott unterwegs sein können, zeigt das Beispiel Schwarzwald-Baar-Kreis. Dort wurden die Hilfsfristen eingehalten – trotz des weitläufigen Kreisgebietes. Die Entwicklung ist dort laut dem DRK bereits seit Jahren positiv. "Wir sind hier gut aufgestellt", erklärt Dirk Sautter, Leiter der Integrierten Leitstelle in Villingen-Schwenningen. Der Bereich rund um die Doppelstadt sei aber auch nicht ganz so ländlich, wie es andere Rettungsdienstbereiche in Baden-Württemberg sind.

"Hubschrauber ist Garant für das Einhalten der Fristen"

"Wir haben vor allem in Villingen-Schwenningen dank dem Schwarzwald-Baar-Klinikum optimale Bedingungen", berichtet Sauter über einen zentralen Standort für zwei Notärzte. Denn vom Klinikum, das zwischen Villingen und Schwenningen liegt, startet nicht nur ein bodengebundener Notarzt, sondern auch der Rettungshubschrauber Christoph 11. "Der Heli ist natürlich ein Garant für das Einhalten der Fristen", hebt Sautter die Hilfe aus der Luft hervor, die auch abgelegene Orte schnell erreicht. Christoph 11 darf jedoch nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fliegen.

Wichtig für die Abdeckung des 1025 Quadratkilometer großen Rettungsdienstbereichs, in dem mehr als 211 000 Menschen leben, ist auch die optimale Verteilung der Notarzt- und Rettungswagenstandorte. Neben den Notärzten in Villingen-Schwenningen sorgten vier weitere Standorte dafür, dass im Schwarzwald-Baar-Kreis in 95,7 Prozent der Fälle schnelle ärztliche Notarzthilfe innerhalb von 15 Minuten vor Ort ist. Die Hilfsfrist für Rettungswagen lag bei 95,1 Prozent. So hat etwa Blumberg am südlichsten Zipfel des Landkreises trotz geringer Einwohnerdichte einen eigenen Notarzt, der bis an die Schweizer Grenze agiert. Zusätzlich sorgen die neun Rettungswagen-Standorte im Schwarzwald-Baar-Kreis für die gute Quote.

Doch nicht überall sieht es gut aus. Unter der vorgegebenen Hilfsfrist bei den Notärzten liegen unter anderem auch die Rettungsdienstbereiche Calw (89,4), Emmendingen (91,5), Mittelbaden (90,1), Ortenau (88,5), Rottweil (91,9), Tuttlingen (89,8) und Zollernalb (91,5).

Beim Innenministerium ist man über die neuen Zahlen alles andere als glücklich. »Sie entsprechen nicht dem, was wir erwartet haben«, sagt ein Sprecher. "Wir müssen die Ergebnisse jetzt analysieren, Ursachenforschung betreiben und gemeinsam mit unseren Partnern von den Rettungsdiensten nach Lösungen suchen."

"Wir würden gerne noch schneller retten", sagt auch Udo Bangerter vom DRK. Der Sprecher des Landesverbands beklagt: "Der Schwachpunkt liegt im System. Wir fahren überall auf Kante." Ohne zusätzliches Geld von den Kassen könne man keinen Puffer für Schwankungen erreichen und hinke angesichts steigender Einsatzzahlen zwangsläufig hinterher. »Wir möchten, dass die Hilfsfrist ernstgenommen wird«, appelliert Bangerter an Politik und Krankenkassen. Zwar sei sie neben der Qualität nur eines von mehreren Merkmalen einer guten Notfallrettung, aber "eine wichtige, maßgebliche Größe" – deren Rückschritt niemandem gefallen kann.