Den Angeklagten Nicolo M. (sitzt) erwartet nach derzeitigem Stand wohl die höchsten Haftstrafe im Mafia-Prozess vor dem Konstanzer Landgericht. Er zeigt sich bislang wenig kooperativ. Foto: Eich

Auch Angeklagte scheinen Interesse an vorzeitigem Ende zu haben. Kammer äußert sich zu Strafmaß.

Konstanz/Villingen-Schwenningen - Ist das Ende des Mafia-Prozesses vor dem Konstanzer Landgericht langsam in Sicht? Die Kammer hat sich erstmals zu den erwartenden Strafen geäußert. Und auch die Angeklagten scheinen Interesse an einem vorzeitigen Ende zu haben.

Mehr als zwei Jahre ist es her, als die deutschen und italienischen Ermittlungsbehörden eine Bande mit möglichen Verbindungen zur italienischen Mafia in einer groß angelegten Durchsuchungsaktion hochgenommen haben, die nicht nur für einen schwunghaften Drogenhandel im Schwarzwald-Baar-Kreis verantwortlich gemacht wird, sondern bei der unter anderem auch ein versuchter Mord im Raum steht.

Beim mittlerweile 64. Verhandlungstag am Mittwoch gab der Richter Arno Hornstein nun erstmals Einblick in den Verfahrensstand – und machte bei der "vorläufigen Einschätzung" auch deutlich, dass zumindest die führenden Köpfe mit empfindlichen Haftstrafen zu rechnen haben.

Da wäre zum einen Placido A., der in Rottweil und Villingen-Schwenningen Gaststätten betrieben hatte. Er habe laut der Kammer bei den Machenschaften "das Heft in die Hand genommen" und sei ein "Mann der Tat". Allerdings müsse man ihm zu Gute halten, dass er vor Gericht einige Vorwürfe eingeräumt hatte – auch wenn ihn sein Anwalt anfangs noch als "unbescholtenen Pizzabäcker" bezeichnete. Ihm wird unter anderem der Handel mit mehr als 120 Kilogramm Marihuana, 20 Kilogramm Haschisch sowie 1 Kilogramm Kokain vorgeworfen.

Als mutmaßlicher Kopf der Bande hatte der 54-Jährige wohl gemeinsam mit seinem zuletzt in Donaueschingen (Schwarzwald-Baar-Kreis) wohnhaften Kompagnon Nicolo M. agiert. Neben dem Handel mit einer etwa ähnlichen Menge an Rauschgift muss sich dieser auch wegen eines Mordversuchs verantworten. Richter Hornstein machte vor Gericht deutlich, dass seine fünf abgefeuerten Schüsse auf eine Gaststätte in Hüfingen (Schwarzwald-Baar-Kreis) nach derzeitigem Stand als "bedingter Tötungsvorsatz" gelten können.

Zweistellige Haftstrafen sind möglich

Das Motiv liege, auch wenn die Anklage von einem "Abstrafen von Kontrahenten" ausgeht, noch eher im Dunkeln. Vieles spreche jedoch dafür, dass der 50-Jährige heimtückisch töten wollte. Doch im Gegensatz zu A. sieht sich M. weiterhin als Unschuldslamm. "Es ist unglaubwürdig, dass sie behaupten, nichts mit den Drogen zu tun gehabt zu haben – wir haben da in vielen Fällen keinen Zweifel", macht der Richter deutlich. Sowohl bei A. als auch bei M. könne es auf eine zweistellige Haftstrafe hinauslaufen.

Beim dritten im Bunde handelt es sich ebenfalls um einen Gastronomen. Der 51-jährige Giovambattista S. aus Donaueschingen soll mit rund 160 Kilogramm Rauschgift gehandelt und als Mitglied der Bande agiert haben. Dieser wird jedoch eher als "Handlanger" charakterisiert, der in der Hierarchie unter A. und M. stand. Nach den derzeitigen Abwägungen könnte es auf eine achtjährige Freiheitsstrafe hinauslaufen. Die weiteren, noch verbliebenen Angeklagten, dürften milder davon kommen. Für den 27-jährigen Sohn von Nicolo M. geht man derzeit von einer Haftstrafe von knapp vier Jahren aus, ein überwiegend geständiger 51-Jähriger, der seine Haftstrafe in Italien absitzen muss, muss momentan mit sieben Jahren rechnen, ebenso wie ein 53-Jähriger, der mit knapp 60 Kilogramm Rauschgift gehandelt haben soll.

Die Hoffnung der Kammer besteht darin, das Verfahren durch weitergehende Angaben der Angeklagten verkürzen zu können. Deshalb wurden dafür auch "Rabatte" bei den Strafen versprochen. Die Verteidiger signalisierten in diesem Zusammenhang Gesprächsbereitschaft – es könnte also durchaus sein, dass der Mammut-Prozess gegen die Drogenbande tatsächlich noch in diesem Jahr einen Abschluss findet.

Die Mär der unschuldigen Pizzabäcker

Schwarzwald-Baar-Kreis - Siegessicher präsentierten sich die Angeklagten vor rund einem Jahr noch beim Auftakt des Mafia-Prozesses vor dem Konstanzer Landgericht. Von dieser Haltung ist längst nichts mehr zu sehen. Denn den Drogenhändlern wird deutlich, dass auf sie vermutlich lange Haftstrafen warten.

Es gab Zeiten, da kam Placido A. lächelnd in den Gerichtssaal, winkte in den Zuschauerraum und fläzte sich dann neben seine beiden Verteidiger. Doch die mittlerweile zweijährige und kräfte- sowie nervenzehrende Untersuchungshaft geht auch an ihm nicht spurlos vorbei. Sie sorgte gar dafür, dass der 54-Jährige erst vor wenigen Wochen die Mitangeklagten dazu animierte, endlich Angaben in dem Mammut-Prozess gegen die Drogenbande mit möglichen Verbindungen zur italienischen Mafia zu machen. Damit diese Sache nun endlich mal zu Ende gehe. Der Gastronom, der in Villingen-Schwenningen und Rottweil Restaurants betrieb, wirkt nun – am 64. Verhandlungstag – eher genervt und müde.

Seine Aufforderung dürfte in Richtung der Mitstreiter Giovambattista S. (51) und insbesondere Nicolo M. (50) aus Donaueschingen gehen. M. zeigte sich während des gesamten Prozesses kaum kooperativ, wobei ihn seine Verteidigung in dieser Haltung wohl auch noch unterstützte. Fakt ist jedoch: Bei allen drei Angeklagten – bei denen A. und M. wohl als Kopf und S. als Handlanger der Bande agierten – sind die Richter davon überzeugt, dass sie jeweils mit rund 150 Kilogramm Rauschgift gehandelt haben. Dies machte der Vorsitzende Richter Arno Hornstein bei seiner "vorläufigen Einschätzung" am Mittwoch deutlich. Aus seiner Sicht dürften sowohl A. als auch M. mit zweistelligen Haftstrafen rechnen, S. käme nach derzeitigem Stand mit acht Jahren davon. "Das ist zumindest die Bewertung, die sich aus der Beweisaufnahme ergibt", so Hornstein, der mehrmals betont, dass mit weitergehenden Einlassungen der Angeklagten "Rabatte" rausspringen könnten. Das gilt im Übrigen auch für die weiteren drei Angeklagten, darunter der Sohn von M., die nach derzeitigem Stand mit Strafen zwischen vier und acht Jahren rechnen können.

Oberstaatsanwalt Joachim Speiermann konnte sich dabei einen Seitenhieb gegen die Verteidigung, die teilweise mit zeitraubendem Taktieren und dem Stellen von Anträgen für Verzögerungen sorgte, nicht lassen: "Anfangs hieß es ja noch, dass es sich hier um unschuldige Pizzabäcker handelt." Dies habe man nun "eindrucksvoll widerlegt" – so seien die Angeklagten in einen "umfangreichen Rauschgifthandel" involviert. Er folgte dabei größtenteils den Vorstellungen der Richter bei der vorläufigen Einschätzung. "Jetzt ist es an den Angeklagten, sich zu bewegen", erklärt Speiermann. So könne man auch dafür sorgen, dass das Verfahren verkürzt wird.

Angerechnet wurde A. übrigens, dass er sich bereits recht früh zu den Vorwürfen geäußert und auch einige Taten eingeräumt hatte. Er habe laut Hornstein "keinen schlechten Eindruck" bei der Kammer hinterlassen. Ganz im Gegensatz zu Nicolo M.

Den Donaueschinger Gastronom wird es vermutlich am heftigsten treffen. Das liegt auch insbesondere an dem versuchten Mord, den der 50-Jährige in Hüfingen verübt haben soll. Auf diese Tat am 27. Mai 2017, die im Rahmen des Prozesses vor Ort nachgestellt wurde, ging man im Rahmen der vorläufigen Einschätzung besonders umfangreich ein. Wobei der Schütze als auch seine Verteidiger sich – im Gegensatz zu sonst – anschließend recht wortkarg gaben. Denn man sieht bei den Schüssen auf eine Gaststätte, in der sich an jenem frühen Morgen noch der Gastwirt sowie ein Stammgast befanden, durchaus einen bedingten Vorsatz. Hornstein: "Die Kammer tendiert dazu, von einem versuchten Mord auszugehen." Man habe "viele Punkte, die dafür sprechen", zudem sei die Heimtücke gegeben. So würde bei der Tat die "echte Spontanität" fehlen: Der Anschlag auf das Lokal – in dem Kontrahenten vermutet wurden – sei in gewisser Weise geplant gewesen, wenn auch nur im Laufe des Abends. Man habe sich verabredet und von einer "Mission" gesprochen. M., der sich zu der Gaststätte hat chauffieren ließ und über den Fahrer hinweg die Schüsse abgab, müsse sich als Gastronom bewusst sein, dass auch am frühen Morgen noch Menschen in einer Bar sein können.

Die Innenraumüberwachung hätte zudem deutlich gemacht, dass ohne Vergewisserung in die Fenster geschossen wurde. Hornstein: "Man hat einfach reingeballert." Der 50-Jährige habe sich außerdem in der Kneipe ausgekannt und müsse ebenso – aufgrund des Schussverlaufes – damit gerechnet haben, dass jemand getroffen wird. Letztlich hatten die Beiden in der Kneipe Glück, denn die fünf Schüsse, denen eine hohe Durchschlagskraft nachgewiesen wurde, verfehlten sie. Die starke Alkoholisierung würde aus Sicht der Kammer die Schuldfähigkeit nicht tangieren, weil beim Schützen Kraft und Koordination noch vorhanden gewesen seien.

In den nächsten Wochen möchten die Angeklagten beziehungsweise ihre Verteidiger nun zum Teil umfangreiche Stellungnahmen abgeben. Es scheint, als wenn die meisten Verfahrensbeteiligten – und nicht nur Placido A. – tatsächlich ein baldiges Ende des umfangreiches Prozesses herbeisehnen. Ob dies aber tatsächlich Wirklichkeit wird, zeigt sich erst noch.