Die Wohnungsnot ist groß. (Symbolfoto) Foto: Zinken

Angst vor Totalabsturz steigt. Leben mit Ratten. Keine Arbeit, keine Wohnung. Wartelisten lang.

Villingen-Schwenningen - Ratten und Schimmel in der Wohnung, etwas Besseres weder in Sicht noch bezahlbar. Eine Wohnung, verzweifelt gesucht von einer alleinstehenden arbeitslosen Frau, die  Angst vor dem völligen Absturz hat. Doch ein Einzelfall ist sie nicht.

Axel Rieger liest die  Mail  der  Frau aus  der Doppelstadt und nickt immer wieder mit dem  Kopf.  Trotz der dramatischen Schilderung   legt er das Schreiben beiseite und bemerkt: "Das ist leider nichts  Neues,  das ist ein  allgemeines  Problem",  so der  Vorsitzende des  Deutschen Mieterbundes, Außenstelle Villingen-Schwenningen.

Leben mit Ratten

Eine allgemeine Problematik ihm zu Folge, dass  zunehmend Menschen mit niedrigem  Einkommen immer größere Schwierigkeiten damit haben,   eine  Wohnung zu finden, die zu  ihren finanziellen Möglichkeiten passt.    Nicht immer müssen  Mieter aus ihren Wohnungen raus, weil Eigenbedarf  eine Rolle spielt oder  Räumungsklagen anstehen. Manchmal, bestätigt Rieger die Mailschreiberin, treiben auch desolate Zustände die Bewohner aus dem Haus, wenn sie sich ihre wenigen Quadratmeter mit Mäusen und Ratten teilen oder zwischen schimmligen Wänden hausen müssen.

Viele Wohnungen zu teuer

Zwar entstehen  überall neue Wohnungen, so Rieger, doch  Einkommensschwache können sich die wenigsten davon leisten.  Mehr als  beraten könne  sein Verein bei Wohnungsnöten ohnehin nicht, allenfalls Wege aus der Misere aufzeigen, aber auch deutlich machen,  dass  es nicht ohne Abstriche gehe. "Manchmal fließen bei  unseren  Sprechzeiten auch die Tränen." Schwieriger werde es auf dem Wohnungsmarkt nicht nur für  Arbeitslose, Hartz IV-Empfänger oder Bürger mit kleinem Budget. Mit Haustieren, Hund oder Katze,  sinken die Chancen auf ein neues Zuhause.   

Mehr als Gespräche oder Telefonate, sei es eine Beratung zur Existenzsicherung oder zur Bewerbung bei den örtlichen Baugenossenschaften, kann auch Anita Neidhardt-März nicht anbieten. Wichtig, so die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks für den Kreis, sei es, sich  rechtzeitig einen Termin zu holen.  Generell sieht auch sie eine Verschärfung des Problems im Sog der Corona-Krise. Alarmierend  ist für sie und ihr Berater-Team,  dass die Verschuldung  steige und damit die Zahl von besorgten wie verzweifelten Menschen,  die Existenzangst und  Furcht vor dem Absturz haben.   Für sie kann  die Lösung nur bedeuten,  dass  noch stärker als bisher in  den sozialen Wohnungsbau investiert werde. Mit Blick auf diese Entwicklungen dürfte das, was in VS in Planung  sei,  nicht ausreichen.

Lange Wartelisten

Seit zwölf Jahren arbeitssuchend, alleinstehend,  Behörden abgeklappert,  Wohnungsbaugesellschaften kontaktiert:  Was die  Frau in ihrer Mail beschreibt, spiegelt nicht nur für Axel Rieger eine traurige Realität wider. Die Stadt VS kann direkt nicht helfen,  "denn die  Stadt besitzt keine eigenen  Wohnungen", stellt Pressesprecherin Oxana Brunner klar, um Notfälle unterzubringen. Über Wohnungsbaugesellschaften könne man  allenfalls unterstützend von städtischer Seite aus wirken. "Doch die Wartelisten sind lange."

Wie lange sind die von Brunner ins Spiel gebrachten Wartelisten?  Das  kann  Sebastian  Merkle von der Baugenossenschaft Familienheim konkretisieren. Rund 1500 Bewerber sind es im Schnitt. Die verzweifelte Suche der arbeitslosen Frau sei "leider kein Einzelfall". Merkle relativiert jedoch etwas die Zahlen und weist darauf hin, dass manche Wohnungssuchenden bei  mehreren  Baugenossenschaften in der Kartei stehen, also zusätzlich bei WBG (Wohnungsbaugesellschaft VS) und Baugenossenschaft Villingen. Ähnlich vorgegangen will auch die arbeitslose Mail-Schreiberin gewesen sein, allerdings ohne Erfolg.

Mehrere Faktoren erschweren Merkles Erfahrungen nach die Suche: Zum einen ziehen weniger Menschen aufgrund der Corona-Krise um, andererseits haben einige ganz bestimmte Wohngebiete im Fokus, vorzugsweise die Villinger Innenstadt oder die Südstadt. Zudem wollen fast alle das eine:  Eine kleine preisgünstige Wohnung zwischen 45 und 60 Quadratmetern. Was heißt preisgünstig beispielsweise für die verzweifelte Hartz-IV-Bezieherin? Nach Angaben der  Pressestelle der Agentur für Arbeit VS sind 45 Quadratmeter angemessen, in Zahlen bedeutet dies,  finanzielle Hilfen zur Unterkunft  in Höhe von 317 Euro (Kaltmiete),  zuzüglich Mittel  für Heizungskosten knapp 70 Euro und für Fernwärme/Strom 85 Euro.

Mieten steigen

Merkles Fazit: "Der Bedarf an günstigen Wohnungen steigt."  Im Gegensatz dazu stehe die  Entwicklung  der letzten Jahre: In den Neubaugebieten sei vor allem hochpreisiger Wohnraum, auch zur Vermietung, entstanden. Mit der Konsequenz,  dass  die Mieten in VS sehr gestiegen seien. Mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen am ehemaligen  Villinger Klinik-Areal hofft  er,  dass  die Familienheim 85 günstige Wohnungen an der Vöhrenbacher Straße bauen kann.  Wie berichtet, regt sich aber Widerstand von Seiten der Anwohner.  

Welche Rolle spielt die Stadt bei der Förderung?

Grundsätzlich zeige sich die Stadt im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchaus aktiv, würdigt der Geschäftsführer das Engagement. Werde auf städtischen Grundstücken gebaut, seien 30 Prozent für den "öffentlich geförderten Wohnungsbau" reserviert. Doch viele Grundstücke hat die Stadt nicht mehr an der Hand.