Im Übergangswohnheim in VS bereiten sich ehemalige Häftlinge auf einen Neuanfang vor. Foto: Eich

Ehemalige Strafgefangene bereiten sich auf neues Leben vor. Stempel bleibt: "Einmal Knacki, immer Knacki."

Villingen-Schwenningen - Schwerer Raub, zehn Jahre Knast: "Diesen Stempel wirst du nie mehr los." Marco M. (Name von der Redaktion geändert) hat rasanten Aufstieg und Absturz erlebt. Weihnachtlich ist dem 50-Jährigen nicht zumute. Er träumt vom Frühling, "dann habe ich meinen Führerschein wieder und kann arbeiten." Träume von einem Neuanfang in einem Haus in VS, in dem sich ehemalige Strafgefangene auf einen Neuanfang vorbereiten.

Was geht in den Köpfen von Menschen vor, die im Gefängnis saßen, wie Marco M., alles verloren haben, weil sie in den Augen von Familie und Freunden Verbrecher sind? Wie stehen die Chancen, nach den maximal zwölf Monaten in den geschützten Räumen des Bezirksvereins für soziale Rechtspflege, wieder Fuß zu fassen und eine bezahlbare Wohnung auf dem so angespannten Wohnungsmarkt in der Doppelstadt zu finden? Ex-Häftlinge wie Marco, die zehn Jahre wegen schweren Raubs und Körperverletzung in Haft waren, haben es schwer. "Ich muss diese zehn Jahre kaschieren, den Bruch in der Biografie mit allem Möglichen erklären, mit Auslandsaufenthaltenm nur nicht mit meiner Haftzeit.

Marco ist einer von elf Bewohnern, die im Übergangswohnheim der Anlaufstelle untergebracht sind. Wer hier ein Doppel- oder Einzelzimmer bezieht, ist männlich, mindestens 18 Jahre, stammt aus dem Kreis und hat Knasterfahrung. Zwölf Monate können sie bleiben, so Wohnheimleiter Sebastian Kopp und Horst Belz, Leiter der Einrichtung.

Nur wenige ohne Obdach

Und danach? Die meisten finden eine Arbeit, denn "der Arbeitsmarkt ist gut, und wenn man nicht gerade zwei linke Hände hat, dann bekommt man auch etwas", so Belz. Der Nachweis einer Arbeitsstelle wirke auch wie ein Sesam-Öffne-Dich bei Vermietern. Trotz der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt seien die meisten bei der Suche erfolgreich, berichten die beiden Sozialarbeiter, der eine vier Jahre in seinem Job, der andere, Urgestein Horst Belz, 40 Jahre. "Natürlich unterstützen wir unsere Klienten bei ihren Bemühungen, aber der Antrieb muss von ihnen selbst kommen." Und der erfolglose kleine Rest? Wenige verschwinden, kommen bei Freunden oder Familie unter, die "allerwenigsten rutschen sozial ab und werden obdachlos".

Im Raum nebenan wird renoviert, Männer mit Malerkitteln streichen Wände. Auf dem Kerbholz haben sie alle etwas, die einen wurden verurteilt wegen Diebstahls oder Raub, aber auch wegen Kapitalverbrechen wie Mord oder Totschlag. Wie gehen die Männer vor bei der Wohnungssuche? Reden sie Klartext mit möglichen Vermietern oder verschweigen sie die Knast-Vergangenheit? Belz und Kopp skizzieren ein gemischtes Bild: "Es gibt welche, die sagen zu unseren Schützlingen: Ich gebe dir eine Chance." Vor allem, wenn es um schlechter bezahlte Sparten gehe, interessieren sich Arbeitgeber weniger für das Vorleben.

Ehrlichkeit hat Grenzen

Marco M. unterbricht seine Arbeit und kommt in das Büro der beiden Sozialarbeiter. Er ist einer der wenigen, die an diesem Tag mit der Besucherin sprechen möchten. "Die meisten sind hier eher verschlossen." Was Ehrlichkeit anbelangt, stößt er an seine Grenzen. Zehn Jahre wegen schweren Raubs: "Wenn ich das erzähle, geht sofort bei allen der Rollladen runter. Ich muss meinen Lebenslauf immer kaschieren", gibt er zu. "Mit der Wahrheit kommen die Leute nicht klar, die fragen auch nicht nach den Hintergründen. Der Justizstempel bleibt: einmal Knacki, immer Knacki. Die Spanne von zehn Jahren erkläre er mit Auslandsaufenthalten.

Sprungbrett ins Leben

Wie sieht sein Leben vor den Raubüberfällen aus? In jungen Jahren, erzählt er, wird er selbstständig, verdient viel Geld, "zu viel", sinniert er. Er taucht ab, nimmt Drogen, die Absturzspirale beginnt: Um das finanzielle Fiasko zu vermeiden, schnappt er sich eine Spielzeugpistole und zieht los. "Ich hatte nie vor, einen Menschen zu verletzen, aber ich habe nicht daran gedacht, was ich mit der vorgehaltenen Waffe an psychischen Schäden anrichte." Im Frühling bekommt er seine Fahrerlaubnis zurück. Dann sei der Weg frei, seine "alte Arbeit" wieder aufzunehmen, Geld zu verdienen und eine Wohnung zu finden. "Dann geht das Leben wieder los. Ich habe mich nicht aufgegeben."

Sein deutlich jüngerer Mitbewohner Thomas H. hat mehrere kurze Haftstrafen bereits als Heranwachsender abgesessen: Diebstahl und Körperverletzung. Die Arbeitssuche gestaltet sich für ihn eher schwierig. Immer mehr Arbeitgeber, schildert er seine Erfahrungen, pochen auf ein Führungszeugnis. "Wenn da was von Diebstahl und Körperverletzung steht, verdrehen die gleich die Augen. Da fragt keiner mehr nach, warum das alles passiert ist." Und dabei hätte der junge Mann einiges zu seiner Biografie zu sagen: Der Vater verlässt die Familie, als er ein Kleinkind war, bei der Mutter zieht ein neuer Mann ein und ich muss ins Heim..da kam eines zum anderen." Sicher begegnet er auch vorurteilsfreien Menschen, aber meistens haben die "Ähnliches in ihrem Umfeld erlebt".

Ein sehr persönliches Stimmungsbild, das die gemischten Emotionen vor der Verabschiedung in ein neues Leben widerspiegelt. "Die meisten sehen die Zeit hier als Chance und sind motiviert", beobachten Belz und Kopp. "Es ist eine Art Sprungbrett hier", findet Thomas. Wie Marco M. hofft auch er darauf, wieder ein normales bodenständiges Leben zu führen. Vielleicht schafft er es heute, beim Probearbeiten in einem Betrieb.