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Schnell, einfach, direkt und effizient lautet die Devise / Notwehrparagraf sieht Verhältnismäßigkeit der Mittel vor

Als "Kampfkäfig" könnte man die Trainingsräumlichkeiten der Kampfsportschule von Ralph Fischer bezeichnen. Oder aber als ziemlich authentische Lernumgebung. An den Wänden hängen teils gemalte Bilder, teils Fotografien, auf denen Ralph Fischer oder andere Kämpfer in Aktion abgebildet sind. Durch die Gitter des Käfigs sind schwarze und rote Schaumstoffmatten zu sehen. Der weiche Untergrund ist insbesondere bei Fallübungen von Vorteil. Linker Hand befindet sich ein Boxring, geradeaus eine Spiegelfläche, in der jeder seine Übungsausführungen selbst analysieren kann.

Nach einer kurzen Begrüßung legt Ralph Fischer los. "Jeet Kune Do" steht an. Dabei handelt es sich um ein Selbstverteidigungskonzept, das von Bruce Lee entwickelt wurde. "Das Ziel ist es, euch schnell, einfach, direkt und effizient zu verteidigen", erläutert Fischer. Er erklärt, welche Kampfdistanzen es gibt, in welche drei Angriffsebenen der Körper eingeteilt wird. Er zählt auch die "Körperwaffen", beispielsweise Fuß, Ellenbogen oder Faust, auf und beschreibt verschiedene Angriffswege. Und er nennt gleich zu Beginn die vier Angriffspunkte, die empfindlich und gleichzeitig einfach erreichbar sind. "Unterleib, Kehlkopf und Augen sind bei allen gleich. Diese Bereiche kann man nicht trainieren." Die Kehle sollte aber nur in echten Extremfällen angegriffen werden. Denn ein Schlag auf den Kehlkopf könne tödlich enden, warnt Fischer. Hauptangriffspunkt Nummer vier: das Knie. Mit einem gezielten Tritt auf das Gelenk des Standbeins bringe man den Angreifer nicht nur aus dem Gleichgewicht. Vielmehr könne man ihm auch bleibende Schäden zufügen.

"Erst müsst ihr lernen, euch zu verteidigen. Und dann müsst ihr lernen, den Angreifer zu analysieren." Bevor es mit den Technikübungen los geht, nehmen die Teilnehmer die übliche Kampfstellung "Bai Jong" ein. Ralph Fischer nennt sie auch Wachsamkeits- oder Aufmerksamkeitsstellung. "Durch diese Kampfstellung räumt ihr eure wunden Punkte aus dem Weg. Das ist quasi ein Komplettschutz, bei dem ihr die Hauptangriffspunkte vor dem Gegner schützt", erläutert er und nimmt selbst die Stellung ein.

Bevor es an die Übungen im Team geht, heißt es: Techniken üben. Fischer zeigt einige Tritte und Schläge, erklärt, wie die Teilnehmer diese am besten ausführen. Er erklärt auch, in welcher Situation die Kampftechniken am besten eingesetzt werden können, und durch welche Taktik am meisten Wucht aufkommt. Hoch konzentriert ahmen die Kursteilnehmer die Techniken und Bewegungen Fischers nach.

Mit dabei ist der Frontkick. Und der Sidekick, ein langer, peitschenartiger Tritt. Beide haben das Knie als Ziel. Für den Unterleib zeigt Fischer, wie ein Kurventritt ausgeführt wird. "Tritte werden auf der langen Kampfdistanz eingesetzt", sagt er zu seinen Schülern. Für die mittlere Kampfdistanz sei ein Fingerstich zu den Augen ein probates Mittel. "Ihr müsst euch das vorstellen wie bei einem Pfeil und Bogen", untermalt er die Bewegung. Handflächen, aber auch Faustschläge eignen sich ebenfalls, beispielsweise auf Stirn, Nase, Jochbein oder Kinn. In der nächsten Kampfdistanz, dem Infight, können Ellenbogen, Knie- und Kopfstöße sowie Schulterstöße oder Stampftritte zum Einsatz kommen. Zum Beispiel, wenn mit viel Wucht die Ferse auf den Mittelfußknochen des Angreifers getreten wird. "Zehn, neun", zählt Fischer herunter, während seine Schützlinge die Technikübungen ausführen. "Bei einem Kniestoß ist es wichtig, diesen mit Power aus der Hüfte auszuführen", erläutert der Jeet Kune Do Lehrer, als er diesen vormacht.

"Die Kampfdistanz, die ihr unbedingt vermeiden solltet, ist der Bodenkampf. Zum einen wisst ihr nicht, wie der Untergrund beschaffen ist. Zum anderen können immer andere dazu kommen – und dann seid ihr auf dem Boden im Nachteil", schildert er und untermalt die Situation mit Beispielen, bei denen beispielsweise mehrere Angreifer auf eine Person eintreten.

Wenn es hart auf hart komme, sei alles erlaubt. "In den reinen Selbstverteidigungssystemen gibt es keine Regeln. Denn im Ernstfall auf der Straße gibt es im Gegensatz zu Kampfsportarten auch keine Kampfrichter." Daher laute die Devise: quetschen, reißen, beißen. "Nutzt die Haare zum Greifen, zieht daran. Reißt dem anderen den Ohrring raus, falls er einen hat. Beißt zu. Am schmerzhaftesten ist es, wenn ihr direkt in die Muskeln beißt." Das klinge zwar grausam, aber es sei besser, als ausgenockt oder vergewaltigt zu werden und in Angst leben zu müssen, gibt Fischer zu bedenken. Diese Fälle habe er schon unter seinen Kursbesuchern gehabt. Menschen, die zusammengeschlagen wurden. Menschen, die sich nicht an den Täter erinnern können. Menschen, die bleibende Schäden mit sich tragen. Menschen, die Angst haben. Angst davor, wieder in eine solche Situation zu kommen, schildert er.

Zu zweit üben die Kursteilnehmer die verschiedenen Techniken – fast wie im Ernstfall. Mit Schulterwürfen, Schulterstößen, Faustschlägen, Fußtritten und Ellenbogenschlägen. Behutsam natürlich, denn die Abläufe dienen der Übung. "Wenn man zwischen sechs Monaten und einem Jahr lang ein bis zwei mal die Woche trainiert, dann ist man auf einem guten Kurs", ordnet Fischer, der unter anderem Bundestrainer für Mixed Material Arts (MMA) ist, ein. "Man muss auch kein voll austrainierter Kampfsportler sein, um die vier Hauptangriffsziele erreichen können. Die Philosophie des Jeet Kune Do ist es, jeden Angriff mit einem Gegenangriff zu verteidigen."

Deshalb weist er seine Jeet Kune Do-Schützlinge im Laufe der Kursstunde auch auf den Notwehrparagrafen im Deutschen Strafgesetzbuch (StGB) hin, der die "Verhältnismäßigkeit der Mittel" bei der Gegenwehr vorsieht. Das heißt: Bei einer Ohrfeige wäre es unangemessen, mit einem Faustschlag die Nase zu brechen, denn: "Die Notwehrhandlung darf nicht im krassen Gegensatz zum Angriff stehen", heißt es. Sobald allerdings ein Messer, ein Baseballschläger, eine abgebrochene Flasche oder ähnliches ins Spiel komme, könne von einer sehr hohen kriminellen Energie des Angriffs ausgegangen werden – somit seien alle Mittel der Selbstverteidigung erlaubt. Gleiches gelte, wenn mehrere Personen angreifen.

Zum Abschluss des Kurses findet das "Abgrüßen" statt, ehe die Teilnehmer den Kampfkäfig verlassen und erschöpft aber selbstbewusst nach Hause gehen. "Ihr habt eine Millionen Möglichkeiten, euch zu verteidigen", gibt ihnen Fischer schmunzelnd mit auf den Weg.