Norbert Sindram referiert in der Senioren-VHS über Matthias Claudius

VS-Schwenningen. Die Ankündigung des VHS-Senioren-Programms benannte es treffend: "2015 gibt es für Matthias Claudius – Poet und Publizist dazu – ein Doppeljubiläum, den 275. Geburts- und den 200. Todestag. Für den Referenten Norbert Sindram war es doppelte Freude: Die VHS bot ihm zum nunmehr 18. Mal eine Bühne für eine Lesung, und er konnte vor erfreulicher Zuhörerzahl diesen großen Volksschriftsteller bekannter machen.

Denn zwar ist Claudius der Dichter des "Abendliedes" mit seiner schönen Anfangszeile "Der Mond ist aufgegangen", das an die 70 Vertonungen (bis hin zu Herbert Grönemeyer) und manche Parodie erfahren hat. Aber im Bewusstsein der meisten Menschen ist Claudius heutzutage nicht mehr. Dabei ist er ein bedeutender, aller Ehren werter Dichter – nicht nur des 18. Jahrhunderts.

Den Anfang machte Sindram mit einem zeittypischen "Empfindsamkeits"-Gedicht, "Phidile", und las dann etliche Gedichte um das Thema "Gatten-, Eltern-, Freundes-Liebe" vor, die liebenswert, aber nie betulich, die Liebe und das familiäre Leben beschreiben. Wie sehr Claudius seine Frau Rebekka lebenslang am Herzen lag, mag sein Ausspruch belegen: "Es glühten mir oft die Fußsohlen für Liebe". In einem anderen Gedicht, "Anselmuccio", stellt er sich seinen (zukünftigen) Sohn in all seinen liebenswerten Zügen vor. Bald darauf – und hiermit ging Sindram auf ein für Claudius zentrales Kapitel "Sterben und Tod" ein – musste der tief betrübte Vater seinen geliebten Anselmo zu Grabe tragen; der "Nach-Ruf" unter dem Titel "Am Grabe Anselmos" ist rührend und zu Herzen gehend, und nicht von ungefähr ist dies ebenso wie "Der Tod und das Mädchen" von Schubert vertont worden.

Sterben und Tod waren für den Autor, der sich dabei "Freund Hain" vorstellte, zeitlebens von tiefer, prägender Bedeutung – von seinen zehn Kindern starben ihm vier schon in ihrer Kindheit – und dennoch trug ihn sein christlicher Glaube über diese Tragödien hinweg: "Es ist nur Einer ewig und allen Enden. Und wir in seinen Händen" – Zeilen, die an Rilkes "Herbst" mahnen: "Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält".

Von dieser religiösen Lyrik auf das Kapitel politische Gedichte zu kommen, scheint schwierig, aber wenn man bedenkt, wie viele Kriege es in Europa zwischen 1740 und 1815 gab, ist die Parallele zum Kapitel "Sterben" klarer. Claudius ging es laut Norbert Sindram weder um konkrete politische Arbeit, noch um zugrunde liegende Ideologie – für ihn ging es immer um den Einzelnen, der oft genug Opfer der Großmächtigen wird.

So klagt ein "parforcegejagter Hirsch" den "gnädigsten Fürsten" an, ebenso wie ein "Schwarzer in der Zuckerplantage" die "weißen Männer" an. Sein bedeutendstes politisches Gedicht sei das "Kriegslied" mit seinem zweimaligen, schmerzerfüllten "’s ist Krieg! ’s ist Krieg! … und ich begehre nicht schuld daran zu sein!" Ruhe und Frieden waren zentrale Begriffe für den Menschenfreund Claudius – sein Pseudonym Asmus, eigentlich Erasmus, heißt "Der Liebenswerte". Und so konnte er beim Tod der Kaiserin Maria Theresia lapidar ausrufen: "Sie machte Frieden! Das ist mein Gedicht." In den beiden großen Gedichten "Der Mensch" und "Abendlied" kommt der "Wandsbecker Bote" auf den Zenit seines Schaffens. Mit Blick auf die Ambivalenz menschlichen Lebens und Schaffens und ganz Menschenfreund bittet er Gott um einen "sanften Tod". "Laß uns ruhig schlafen!" Nicht ohne hinzuzufügen: "Und unsern kranken Nachbar auch!"