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Jugendamt erwirkt Sorgerechtsentzug. Frau wehrt sich gegen Entscheidung.

Villingen-Schwenningen - Am 75. Tag nach der Geburt der Zwillinge stehen das städtische Jugendamt und die Polizei vor der Tür. Es ist der Tag, an dem die 18-jährige Mutter aus Schwenningen ihre beiden Mädchen abgeben muss. Eine Entscheidung, mit der sich nun sogar das Oberlandesgericht beschäftigt.

"Das letzte Mal haben sie mich fast nicht mehr erkannt." Marina* denkt nur ungern an die vergangene Begegnung mit ihren beiden Zwillingen zurück. Zwei Mal in der Woche darf sie die Säuglinge aufgrund des Umgangsrechts jeweils nur eine Stunde sehen – zu wenig, um die Mutter-Kind-Beziehung zu festigen.

Denn bereits seit dem 21. Dezember letzten Jahres kommen diese an einem ihr unbekannten Ort unter. Und zwar unter Obhut des Jugendamtes Villingen-Schwenningen. Dieses hatte erwirkt, dass das Familiengericht der Mutter ihr alleiniges Sorgerecht entzieht. Eine Situation, die auch der 26-jährige Vater Ali* nicht akzeptieren will: "Wir warten neun Monate darauf, dass die Kinder geboren werden – und dann kommt das Jugendamt und nimmt sie uns weg!" Dass der Vater selbst kein Sorgerecht hat, hänge mit seinem Aufenthaltsstatus zusammen – so sei der wegen Drogen und Sachbeschädigung strafrechtlich in Erscheinung getretene Marokkaner erst seit drei Jahren in Deutschland.

Hans-Peter Reimer, der Anwalt des Paares aus Villingen, berichtet gegenüber dem Schwarzwälder Boten, wie es zu dieser Ausnahmesituation kam. Die 18-Jährige würde mit ihrem Lebenspartner in Schwenningen zusammenleben, wobei es hierbei "wiederholt zu verbalen Auseinandersetzungen" gekommen sei. Reimer: "Es ist auch schon die Polizei deswegen angerückt." Im Zuge eines Einsatzes im vergangenen Jahr habe die Mutter zu Protokoll gegeben, sie sei von Ali gewürgt worden – "das hat sie laut ihrer Aussage aber nur gesagt, um ihm eins auszuwischen".

Gewalttätige Beziehung?

Völlig unvermittelt und ohne vorherige Anhörung sei es zweieinhalb Monate nach der Geburt der Zwillinge schließlich zu dem Beschluss gekommen, dem Paar die Kinder zu entziehen. Dieses Schriftstück des Familiengerichts Villingen-Schwenningen liegt dem Schwarzwälder Boten vor und gewährt einen Einblick in die Argumentation des Jugendamtes. Denn vonseiten der Stadt schweigt man aus "Datenschutz- und Kindeswohlgründen" gegenüber unserer Zeitung zu dem Thema.

Die Ausführungen zeichnen dabei nicht gerade ein friedliches und harmonisches Bild der Beziehung. Sie sei von "Gewalt geprägt", die Säuglinge müssten "massive Gewalttätigkeiten des Vaters miterleben" – dafür würden auch Würgemale am Hals der Mutter sprechen. Problematisch sei dabei nicht nur die Beziehung der beiden, sondern ebenso die psychische Verfassung der Mutter.

Bei ihr sei eine "kombinierte Störung der Emotionen und des Sozialverhaltens mit depressiven Anteilen vor dem Hintergrund einer Bindungsstörung diagnostiziert" worden. Der Richter ist deshalb der Meinung, die 18-Jährige könne die "bestehende Gefahr für das Kinderwohl" nicht abwenden. Er befürchtet eine "erhebliche Schädigung der Kinder".

Für Anwalt Reimer ein Unding. Denn aus seiner Sicht entspreche gerade der Entzug der Zwillinge nicht dem Kinderwohl. Im Gegenteil sogar. "Die Säuglinge wurden gestillt und brauchen dringend den Kontakt zur Mutter!" Die Auseinandersetzungen zwischen den Eltern hätten keine Auswirkung auf die Kinder, "denen geht es gut!" Tatsächlich ist in den Unterlagen zu lesen, dass von Seiten der Fachkräfte des Jugendamtes der gute Umgang der Eltern mit den Kindern sowie der gute körperliche und gesundheitliche Zustand der Zwillinge gelobt wurde.

Der 26-jährige Vater unterschrieb zudem eine eidesstattliche Versicherung, dass er weder in Deutschland noch in seiner Heimat "jemals Menschen körperlich verletzt" habe. Im Zusammenhang mit einer Beleidigung absolviere er lediglich ein Anti-Aggressions-Training. Für Reimer und die Eltern ist deshalb klar: Die Kinder müssen zurück zu ihrer Mutter.

Keine Kompromisse

"Wir haben auch eine Kontaktsperre des Vaters sowie die Unterbringung in ein Mutter-Kind-Heim angeboten – darauf ist man beim Jugendamt aber gar nicht eingegangen", echauffiert sich der Anwalt und erklärt kopfschüttelnd: "Dieser Fall dreht mich um!" Er legte deshalb Rechtsmittel ein – so kam es zu einer erneuten Verhandlung vor dem Familiengericht. Jedoch mit anderem Ausgang.

Denn der zuständige Richter ordnete die unverzügliche Herausgabe der Zwillinge an die Eltern an. Dieser ist zwar überzeugt davon, dass die 18-Jährige der Gewalt ihres Lebensgefährten ausgesetzt ist, sie diesem "devot und hörig" ist und aufgrund ihrer Krankheit die Kinder in kritischen Situationen nicht schützen kann. Das Wohl der Zwillinge sei deshalb "unmittelbar gefährdet". Aber: Es sei nicht verhältnismäßig, die Kinder von der Familie zu trennen. Vielmehr solle die Mutter mit der Familienhilfe zusammenarbeiten und im Zusammenhang mit der Anti-Aggressions-Therapie des 26-Jährigen die Paarkonflikte aufarbeiten.

Bedingungen, die Marina und Ali akzeptieren: "Wir lieben uns und wollen die Zukunft zusammen verbringen." Doch die geplante Übergabe der Kinder verlief anschließend anders als geplant. Denn das Jugendamt weigerte sich, die Zwillinge im Rahmen eines Besuchs herauszugeben – so sei gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt worden. "Sie haben die Polizei dazu gezogen, das ist provokativ!", kritisiert Anwalt Reimer. Eine halbe Stunde habe man schließlich über die Herausgabe der Kinder diskutiert – jedoch erfolglos.

Ist dieses Vorgehen rechtens? "Das ist nun die entscheidende Frage", erklärt Reimer. Dieser muss allerdings wohl erst – gemeinsam mit dem jungen Paar – auf den Beschluss des Oberlandesgerichts warten. So lange werden die Zwillinge weiterhin an dem unbekannten Ort verpflegt – abgeschottet von den Eltern.

*Namen von der Redaktion geändert