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Die Kirche darf das Liebesleben seiner Angestellten nur begrenzt reglementieren.

Straßburg - Dem Recht der Kirchen, sich ins Liebesleben ihrer Mitarbeiter einzumischen, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) enge Grenzen gesetzt. Davon profitierte Bernhard Schüth. Dem Essener Organisten war gekündigt worden, weil er sich von seiner Frau getrennt hatte und mit seiner neuen Lebensgefährtin ein Kind erwartete. Die Entlassung verstößt gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, lautete das Urteil am Donnerstag.

Allerdings sehen die Richter die Kirche durchaus als einen besonderen Arbeitgeber. Den Rauswurf eines hohen Funktionärs der mormonischen Kirche beurteilten sie im gleichen Zug als rechtmäßig. Auch Michael Obst aus Neu-Aspach hatte eine außereheliche Beziehung. Daraufhin wurde er als europäischer PR-Chef von den Mormonen entlassen.

Ein Sachverhalt, zwei Urteile

Die "Grundordnung für den kirchlichen Dienst" erlaubt es den Kirchen, besondere Anforderungen an den Lebenswandel ihrer Angestellten zu stellen. Die deutschen Arbeitsgerichte hatten deswegen die Kündigung in beiden Fällen als rechtens bezeichnet. Die geschassten Mitarbeiter brachten ihre Sache daraufhin vor das Straßburger Gericht, das über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention wacht.

Nach Ansicht der Richter haben die deutschen Arbeitsgerichte nur im Fall Obst "alle wesentlichen Gesichtspunkte" geprüft. Im Fall Schüth hingegen sei die Position der Kirche nahezu ungeprüft übernommen worden, lautet die Rüge. Schüths Recht auf ein geschütztes Privat- und Familienleben sei zu kurz gekommen.

Bessere Stellung = höhere Moral

Außerdem hätten die deutschen Richter nicht bedacht, dass der Organist kaum Chancen habe, außerhalb der Kirche Arbeit zu finden. Anders als im Fall Obst sei Schüths Stellung innerhalb der Katholischen Kirche nicht sonderlich herausgehoben gewesen. Obst war hingegen leitender Angestellter und sein Verhalten damit aus Sicht des Gerichtshofs besonders bedeutsam. Mit der Entlassung hätten die Mormonen die "Glaubwürdigkeit der Kirche" gewahrt.

Das Straßburger Gericht wirft die Frage auf, wie weit die Rechte der kirchlichen Arbeitgeber gehen. Zwar habe Schüth der Katholischen Kirche gegenüber eine "Loyalitätsverpflichtung" abgegeben. Diese könne aber nicht als "eindeutiges Versprechen verstanden werden, im Fall einer Trennung oder Scheidung ein enthaltsames Leben zu führen". Nach diesem Urteil könnte es für die Katholische Kirche in Zukunft schwieriger werden, Mitarbeiter zu entlassen, die nach einer Trennung mit einem neuen Partner zusammenleben.

Bistum prüft Konsequenzen

Das Bistum Essen will das Urteil sorgfältig prüfen. "Im Moment gehen wir davon aus, dass es sich um einen absoluten Einzelfall handelt", so Sprecher Ulrich Lota auf Anfrage dieser Zeitung. Er verweist jedoch darauf, dass im Fall Obst gleichzeitig ein Urteil im Sinne der Kirchen getroffen wurde. Es werde untersucht, ob Konsequenzen nötig seien.

Gleichzeitig wies Lota darauf hin, dass jeder kirchliche Mitarbeiter die besonderen Grundlagen, die für ihn gelten, kenne. Während Schüth von einer Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte, St. Lambertus in Essen, spricht, hält Lota das für unrealistisch: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dazu kommen wird." Drei Monate haben die Parteien nun Zeit, sich über eine Entschädigung zu einigen oder gegebenenfalls Rechtsmittel einzulegen.