Missbrauchsskandale, unerfüllte Reformationswünsche, Glaubensfragen: Das sind für viele Christen Gründe dafür, aus der Kirche auszutreten. Allein im Januar 2022 haben sich die Austrittszahlen in manchen Städten in Baden-Württemberg im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Wie stark manche Kirchengemeinden aus der Region betroffen sind, haben wir anhand einer Umfrage bei fünf Städten herausgefunden. 

Oberndorf - Schon wieder ist die katholische Kirche in den vergangenen Wochen negativ in die Schlagzeilen geraten: Das Münchner Missbrauchsgutachten umfasst schwere Vorwürfe gegen kirchliche Verantwortungsträger, die Fälle von sexuellem Missbrauch nicht richtig behandelt hätten. Auch Erzbischof Kardinal Reinhard Marx und sogar dem ehemaligen Papst Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) werden schwerwiegende Vorwürfe gemacht. 

Hinzu kommt die Veröffentlichung der ARD-Dokumentation "Wie Gott uns schuf", in deren Rahmen sich 125 Mitarbeiter der katholischen Kirche als "queer" outeten. Mitarbeiter der katholischen Kirche müssen sich an das kirchliche Arbeitsrecht halten: Sie müssen sowohl beruflich, als auch privat die Sittenlehre des katholischen Glaubens beachten. Nicht-heterosexuelle Orientierungen oder gar -Beziehungen werden dabei seitens der Kirche nicht geduldet. In der Dokumentation sprechen die Betroffenen offen darüber, wie sie ihre Sexualität oft jahrelang verheimlichen mussten, da ihnen sonst Konsequenzen seitens ihres Arbeitgebers - der Kirche - gedroht hätten. 

Ob diese Skandale Christen dazu bewegt haben, aus der Kirche auszutreten, wird zumindest von den Standesämtern, wo der Austritt erfolgt, nicht festgehalten. Nichtsdestotrotz haben sich die Austrittszahlen kurz nach diesen Schlagzeilen in manchen Städten in Baden-Württemberg im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Auch aus der evangelischen Kirche sind in dieser Zeit einige Menschen ausgetreten. 

Das sind die Austrittszahlen in fünf Städten aus der Region:

Calw

Während im Januar 2020 zehn und im Januar 2021 16 Menschen aus der Kirche in Calw ausgetreten sind, waren es im Januar 2022 insgesamt 25, wie Sigrid Zudrell, Leiterin Sachgebiet Standesamt in Calw, auf Nachfrage mitteilt. Den Großteil der Austritte betreffe die katholische Kirche. Doch auch aus der evangelischen Kirche treten immer mehr Menschen aus, berichtet Zudrell. Die genauen Austrittszahlen der jeweiligen Konfession könne sie nicht ermitteln. 

Freudenstadt

In Freudenstadt seien im Januar 2022 15 Menschen aus der Kirche ausgetreten - lediglich vier mehr, als im Januar 2021, teil Kerstin Baur von der Stadtverwaltung Freudenstadt mit. Eine Differenzierung der Austrittszahlen der verschiedenen Konfessionen sei auch hier nicht möglich. 

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Rottweil

In Rottweil seien in diesem Jahr bisher 48 Menschen aus der Kirche ausgetreten, wie Tobias Hermann, Referent für Medienarbeit bei der Stadt Rottweil, mitteilt. Elf davon seien aus der evangelischen Kirche ausgetreten und 37 aus der katholischen. Bis Anfang Februar 2021 seien 20 Menschen in Rottweil aus der Kirche ausgetreten - die Anzahl hat sich also mehr als verdoppelt. Hermann berichtet außerdem, dass das Bürgerbüro in Rottweil die Zahl der Kirchenaustritte in diesem Jahr als auffällig viel einschätze, wobei sich ein Trend dazu bereits vor Weihnachten 2021 abgezeichnet habe. 

Villingen-Schwenningen

In Villingen-Schwenningen seien im Januar 2022 bereits 99 Christen aus der Kirche ausgetreten, wie Pressesprecherin Oxana Brunner mitteilt. Im Januar 2021 waren es nur halb so viele Menschen, nämlich 54. 65 Personen seien in diesem Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten, 34 aus der evangelischen. Vergangenes Jahr seien 31 Menschen aus der katholischen und 23 aus der evangelischen Kirche ausgetreten, teilt Brunner außerdem mit. 

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Balingen 

Auch in Balingen ist die Anzahl der Personen, die im Januar 2022 aus der Kirche ausgetreten sind, im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen: Insgesamt 39 Menschen seien aus der Kirche ausgetreten, teilt Kathrin Dietrich von der Balinger Stadtverwaltung auf Anfrage mit. Eine Unterscheidung der Konfessionen könne sie nicht treffen. Im Januar 2021 seien 20 Christen aus der Kirche ausgertreten. Im Vorjahr seien es jedoch ebenfalls immerhin 31 Menschen gewesen.