Eine Expertenkommission hat wesentliche Kritikpunkte der Polizeireform aufgegriffen und Nachbesserungen gefordert. Foto: dpa

Jubel im Nordschwarzwald, lange Gesichter in Tuttlingen: 120 neue Stellen und 30 Millionen Euro nötig.

Tuttlingen/Stuttgart - Oft und heftig wurde die von Grün-Rot initiierte Polizeireform kritisiert. Eine Expertenkommission hat wesentliche Kritikpunkte aufgegriffen und Nachbesserungen gefordert. Eine Überraschung ist der Abschlussbericht freilich nicht mehr, den die Projektgruppe zur Überprüfung der Reform gestern Innenminister Thomas Strobl (CDU) vorgelegt hat. Die Experten unter Leitung des früheren bayerischen Landespolizeipräsidenten Waldemar Kindler schlagen der Landesregierung vor, die Zahl der Polizeipräsidien von 12 auf 14 zu erhöhen.

Neu kommen soll ein Präsidium Nordschwarzwald (Enzkreis sowie die Kreise Calw und Freudenstadt) mit Hauptquartier in Pforzheim. Ferner sollen die Landkreise Esslingen und Rems-Murr-Kreis zu einem neuen Präsidium zusammengelegt werden – Sitz könnte Waiblingen werden. Verändert würde der Zuschnitt in Oberschwaben. Ein Präsidium in Ravensburg deckt auch den Kreis Sigmaringen und den Bodenseekreis ab. Wegfallen soll das bisherige Polizeipräsidium Tuttlingen, das mit Konstanz verschmolzen wird – ohne den Zollernalbkreis, der zu Reutlingen kommen soll.

Neben dem Modell mit 14 Präsidien nennt der Expertenbericht noch die Umbildung der Polizeistruktur in 12, 13 oder "14 plus" Präsidien – bei letztgenanntem Vorschlag würden die Kreise Böblingen und Esslingen sowie Ludwigsburg und Rems-Murr-Kreis zu jeweils eigenständigen Präsidien zusammengefasst. Allerdings, so die Prüfer, erhöhten sich dann sehr stark "die personellen und finanziellen Aufwände".

Schon das favorisierte 14er-Modell ist teuer genug. Rund 120 neue Polizeistellen sind laut dem Bericht für Leitungs- und Stabsaufgaben in den neuen Präsidien Pforzheim und Waiblingen nötig. Der Ausbau von Liegenschaften wird mit knapp 30 Millionen Euro beziffert. Alles in allem eine Summe von haushaltsrelevanter Dimension, weshalb sich Innenminister Strobl gestern auch noch bedeckt hielt. Die Empfehlungen der Evaluation "werden jetzt sorgfältig analysiert, und es werden daraus Schlussfolgerungen gezogen", so der Minister.

Kommission spart nicht mit Kritik am bisherigen Zuschnitt

Mit Kritik am bisherigen Zuschnitt der Präsidien halten die Experten nicht hinterm Berg. Sie monieren "ungünstige Fahr- und Verkehrsbeziehungen, die zu erhöhten Kilometer- und Zeitaufwänden führen". Dies ziehe dauerhaft höhere Kosten nach sich und gehe zulasten der operativen polizeilichen Arbeit. Zudem sei gewachsenen oder kulturell und historisch verbundenen Räumen zu wenig Beachtung geschenkt worden. Auch "teilweise deutlich weitere Fahrtstrecken zum Dienstort" und somit "Verlust persönlicher (Frei-)Zeit und höherer Bedarf finanzieller Mittel für die Beschäftigten der Polizei mit entsprechenden Auswirkungen auf deren Zufriedenheit" werden bemängelt. Und schließlich ist von Qualitätseinbußen in der Zusammenarbeit mit der Justiz, den Kommunen und Kreisen die Rede.

Am Dienstag sind nun zunächst die Landtagsfraktionen sowie der Landkreis- und Städtetag informiert worden. Kommenden Montag soll das Thema im Koalitionsausschuss besprochen werden, am Dienstag soll das Regierungskabinett zur Meinungsbildung zusammenkommen. Intern heißt es, formal könnten zwar Änderungen der Polizeireform durch Regierungswillen vorgenommen werden, doch ohne das Wohlwollen der großen Landtagsfraktionen solle nichts geschehen. Ab Mittwoch soll der Abschlussbericht der Projektgruppe "EvaPol" für jedermann einsehbar auch im Internet stehen.

Erste Reaktionen auf die neuen Vorschläge kamen bereits gestern. Der Vorschlag der Expertengruppe, im Nordschwarzwald ein Polizeipräsidium für Pforzheim, Enzkreis sowie die Kreise Calw und Freudenstadt zu schaffen, lässt Thomas Blenke strahlen. Der Calwer Abgeordnete, Vorsitzender des Arbeitskreises Innenpolitik und Polizeisprecher der CDU-Fraktion, hatte von jeher zu den schärfsten Kritikern der Reform gehört. Damit ließen sich Arbeitsabläufe verbessern, aber nicht, wie vom früheren Innenminister Reinhold Gall (SPD) versprochen, mehr Personal in die Fläche bringen, sagte Blenke gestern. Dann müsse man für mehr Polizisten sorgen. Das tue die Landesregierung mit zusätzlich 1500 Stellen, von denen in diesem Jahr 400 entstehen. Blenke hatte zudem stets darauf hingewiesen, dass die Evaluierung nicht zu einer Art Revolution, also zu einer umfassenden Reform der Reform führen dürfe. Jahrelang sei die Polizei wegen der Umstrukturierung mit sich selbst beschäftigt gewesen.

Mit gemischten Gefühlen nahm man im Schwarzwald-Baar-Kreis den Bericht zur Kenntnis. In vielen Gesprächen versuchte man hier, das Ruder doch noch für den Sitz eines Polizeipräsidiums in Villingen-Schwenningen herumzureißen. Dass bei der Polizeireform 2012 das Polizeipräsidium Tuttlingen zugefallen war, empörte die Politiker in der Region ebenso wie den Oberbürgermeister Villingen-Schwenningens, Rupert Kubon (SPD). Doch auch im zweiten Anlauf droht das Oberzentrum zu scheitern. Der Sitz des für den Schwarzwald-Baar-Kreis zuständigen Präsidiums soll Konstanz sein. Wollte man Tuttlingen zum Präsidium ausbauen, würde dies geschätzt 7,5 Millionen Euro kosten, heißt es.

Gerhard Regele, erst vor Kurzem als Chef des Präsidiums in Tuttlingen ins Amt gehoben, will jedoch nicht kampflos aufgeben. Denn er gibt zu bedenken, dass ein Polizeipräsidium in Konstanz – am Rande des Präsidiumbereichs gelegen – Folgekosten verursache, vor allem im täglichen Betrieb. Auch Tuttlingens OB Michael Beck (CDU) reagierte verschnupft: "Worin die Vorteile liegen sollen, wenn ein Präsidium am äußersten geografischen Rand seines Zuständigkeitsbereichs liegt, erschließt sich mir nicht."

Noch vor der Sommerpause, mit Abstand zur Bundestagswahl, soll feststehen, ob und wie die Polizeistruktur verändert wird. Gut möglich, dass die politische Debatte sich zur Frage ausweitet, ob Baden-Württemberg überhaupt genügend Polizisten beschäftigt. Der Expertenbericht gibt dafür eine Vorlage. Im Ländervergleich, heißt es, stehe der Südwesten bei der Polizeidichte an letzter Stelle. In Bayern sei ein Polizist rechnerisch für 397 Einwohner zuständig, in Baden-Württemberg für 452 Einwohner. Die Experten empfehlen "die Schaffung weiterer Stellen des Polizeivollzugsdienstes". Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, wurde gestern sofort deutlich. Über die Korrekturen der Reform hinaus "benötigen wir weitere 2000 Stellen", sagte er.