Uli Schwarz sieht Tuttlinger Präsidium auf einem guten Weg. Foto: Maier

Anlaufschwierigkeiten sind passé: Uli Schwarz sieht Tuttlinger Präsidium auf einem guten Weg.

Tuttlingen - Uli Schwarz sitzt an einem kargen Tisch, vor sich ein Mikrofon, und er spricht, er rechtfertigt sich gegen die Kritik, die er nicht mehr hören kann. Die Kritik an der baden-württembergischen Polizeireform und speziell die Klagen über das Polizeipräsidiums Tuttlingen, die zuletzt wieder lauter geworden sind: Beamte würden wegen der Unterbesetzung der Reviere, so sagte es ein Gewerkschafter, immer wieder aus dem Wochenende oder dem Schlaf geholt. Es dauere deutlich länger als früher, bis die Spezialisten zentraler Dienste am Einsatzort seien. Und überhaupt: Ein Polizeipräsidium, das fünf Landkreise aus drei Regierungspräsidien umfasst – das könne nicht funktionieren. Muss man sich also Sorgen machen?

Schwarz, der Polizeipräsident, atmet durch. Am Donnerstag legt er, wie er sagt, zusammen mit seinem Stellvertreter Gerold Sigg Fakten vor. Und eine Bewertung ebenso: Sicher habe es Anlaufschwierigkeiten gegeben. Aber heute, 20 Monate, nachdem die Reform in Kraft getreten ist, könne man sagen, dass es laufe: "Das Präsidium funktioniert."

Schwarz verweist auf Zahlen, die das belegen sollen. Zur Unterstützung hat er den Chefcontroller des Präsidiums dabei; dieser sitzt mit geöffnetem Laptop einen Tisch weiter und hat, wenn nötig, sofort alles Schwarz auf Weiß parat. Schwarz sagt, dass es nicht der Wahrheit entspreche, dass die Reviere, dass das Präsidium unterbesetzt sei. Das Gegenteil sei richtig: 2013, vor der Polizeireform, habe es in den fünf Landkreisen Zollernalb, Tuttlingen, Rottweil, Freudenstadt und Schwarzwald-Baar zusammen 1188,5 Stellen für Polizeibeamte gegeben, dazu 170,5 für Verwaltungsbeamte und Tarifpersonal. 2014, mit Inkrafttreten der Reform, seien es 84 mehr gewesen: 1265 Polizeibeamte, 178 in der Verwaltung. Die Reform habe dazu geführt, dass jedes Revier in den fünf Landkreisen um zwei Stellen verstärkt worden sei. Aktuell seien diese weitgehend besetzt, von den 835 Planstellen in den 14 Polizeirevieren 801. Grundsätzlich, so Schwarz, könnte die Polizei nicht nur hier in der Region, sondern überall und immer mehr Personal gut vertragen.

Und auch das: Die Arbeit der Polizei habe durch die Reform in keinster Weise gelitten. Der Dienstbezirk des Tuttlinger Präsidiums habe im vergangenen Jahr die landesweit niedrigste Kriminalitätsbelastung aufgewiesen – und zugleich die zweithöchste Aufklärungsquote im Land. Dass viele Beamte über die Reform klagen und sich nicht trauen, Kritik zu äußern, das hält Schwarz für ein Gerücht: "Ich glaube nicht, dass unmotivierte, frustrierte Mitarbeiter so eine Superarbeit leisten."

Sicher habe die Reform persönliche Lebens- und Karriereplanungen durchkreuzt, sagt Schwarz; so gebe es nun präsidiumsweit nur noch 14 Führungspositionen – bei den fünf ehemaligen Direktionen seien es 31 gewesen. Die "Harmonisierung" im Rahmen der Reform habe auch dazu geführt, dass einzelne Einheiten weniger, andere dagegen mehr Aufgaben erhielten. Wo es mehr wurden, werde das sicher als das empfunden, was es sei: Mehrbelastung. Insgesamt reiche die Beurteilung der Reform unter den Polizisten von absoluter Zustimmung über differenzierte Betrachtung bis hin zu völliger Ablehnung. Wie genau die Stimmung ist, das soll demnächst eine Mitarbeiterbefragung zeigen.

Als klare Pluspunkte der Reform werten Schwarz und Sigg neben der erweiterten Personalstärke die neuen Strukturen – insbesondere das Führungs- und Lagezentrum (FLZ), den Kriminaldauerdienst (KDD) und die zentrale Verkehrsunfallaufnahme (VUA).

Flüchtlinge stellen Polizei vor besondere Herausforderungen

So habe der KDD, zentral eingerichtet in Rottweil, dazu geführt, dass die früher bei jeder Polizeidirektion erforderlichen Bereitschaftsdienste der Kripobeamten zur Nachtzeit und an Wochenenden entfallen. Nur in ganz seltenen Fällen – im vergangenen Jahr bei 39 von insgesamt 1041, hätten die KDD-Leute Einsätze wegen Auslastung nicht sofort übernehmen können. In 18 Fällen – insbesondere bei schwersten Straftaten – sei eine Nachalarmierung anderer Einheiten notwendig geworden. Dass die Polizisten auf den Revieren also wie vor der Reform rund um die Uhr, auch in der Freizeit, bereit stehen müssten, entspreche "nicht der Wahrheit".

Als notwendig bezeichnet Schwarz die Einrichtung der VUA in Zimmern ob Rottweil. Zuständig ist sie für die Aufnahme komplexer Verkehrsunfälle mit schweren Folgen sowie schwieriger Sach- und Rechtslage. Die VUA habe, gibt Schwarz zu, zu Beginn des Jahres 2014 unter erheblichem Personalmangel gelitten, von 21 Planstellen waren nur 9,5 besetzt; mittlerweile seien es 19. Dadurch habe sich auch die Zahl der von den VUA-Beamten bearbeitegen Fällen deutlich gesteigert.

Dass die Bearbeitung schwerer Unfälle wegen der VUA heute deutlich mehr Zeit in Anspruch nehme als vor der Reform, als noch die Beamten vor Ort die Unfälle aufnahmen, weist Gerold Sigg zurück – und zudem darauf hin, dass die heute deutlich qualifiziertere Bearbeitung "Rechtssicherheit für alle Beteiligten" bringe. Dass das länger dauern könne, will er als Kritik-Argument nicht gelten lassen (siehe Info).

Bewährt hat sich nach Ansicht von Präsident Schwarz auch das Führungs- und Lagezentrum, eingerichtet in Tuttlingen. Monatlich werden dort bis zu 13 500 Einsätze in den fünf Landkreisen koordiniert. Durch die zentrale Notrufannahme und Einsatzführung könnten personell starke Kräfte schnell zusammengetrommelt und eingesetzt werden – gerade auch über Landkreisgrenzen hinweg.

Eine besondere Herausforderung für die Beamten seien die derzeit hohen Flüchtlingszahlen so Schwarz. Im Bereich des Präsidiums – in Meßstetten, Donaueschingen und Villingen – gebe es große Flüchtlingseinrichtungen und regelmäßig besondere Einsätze. So etwa am Montag dieser Woche in Meßstetten, wo zwei Gruppen von Flüchtlingen in der Landeserstaufnahmestelle aneinander gerieten und die Polizei mit einem Großaufgebot anrückte. Oder Ende Juli in Donaueschingen, wo bei der Ankünft von Flüchtlingen einige weiterziehen wollten – was ebenso ein Großaufgebot der Polizei auf den Plan rief.

Dass die Polizeireform, die zwar politisch von Grün-Rot umgesetzt, davor aber von Polizeikräften ausgetüftelt wurde, nun politisch in Bewegung geraten könnte, dem sieht Schwarz relativ entspannt entgegen. Unter anderem Thorsten Frei, Bundestagsabgeordneter der CDU im Schwarzwald-Baar-Kreis und Wahlkampf-Chef von Guido Wolf, dem Spitzenkandidaten der CDU für die Landtagswahl 2016, hatte speziell den Zuschnitt des Tuttlinger Präsidiums mit dem Sitz des FLZ am äußersten Zipfel als "Witz" bezeichnet.

Schwarz sagt, er könne nur wiederholen, dass das Präsidium seiner Meinung nach funktioniere. Und ob die zentrale Steuerungsstelle nun in Tuttlingen oder anderswo angesiedelt sei, und ob man damit zufrieden sei oder nicht, das sei letztlich nur eine Frage der Befindlichkeit.

Dauert es mitunter zu lange, bis die Spezialisten der Zentralen Verkehrsunfallaufnahme (VUA) und die Leute vom Kriminaldauerdienst (KDD) am Einsatzort sind? Fest steht: Beide Dienste sind in Rottweil und damit geografisch zentral im Präsidiumsbereich sowie durch die A 81 verkehrsgünstig angesiedelt. Die Interventionszeiten – also die Zeit von der Alarmierung bis zum Eintreffen am Einsatzort, unterscheiden sich gravierend. So benötigt die VUA durchschnittlich bis zum Einsatzort im Landkreis Rottweil 40 Minuten, im Schwarzwald-Baar-Kreis 46 Minuten, in Tuttlingen 51 Minuten, in Freudenstadt 51 Minuten und bis zum Einsatzort im Zollernalbkreis sogar 58 Minuten. Schneller geht’s beim KDD: Dessen Leute benötigen bis zum Einsatzort im Landkreis Rottweil durchschnittlich 16 Minuten, in die Kreise Tuttlingen und Schwarzwald-Baar jeweils 35 Minuten, in den Zollernalbkreis 42 Minuten und nach Freudenstadt 57 Minuten. Vergleiche mit der Zeit vor der Reform sind nicht möglich, weil früher keine Zeiten gemessen wurden, sagt Schwarz. Er sei aber sicher, dass es heute deutlich schneller gehe.