Auf dem Industriegelände Liapor bei Tuningen soll eine Haftanstalt für 500 Gefangene entstehen. Foto: Seeger/Bieberstein

Gegner machen mobil: Unterschriften von Anwohnern werden gesammelt. OB Kubon ist verärgert.  

Tuningen - Die schwäbische 3000-Seelen-Gemeinde Tuningen (Schwarzwald-Baar-Kreis) soll der Standort für das geplante Großgefängnis werden. Das haben Justiz- und Finanzministerium des Landes Baden-Württemberg gestern bekannt gegeben.

Und schon droht eine Protestwelle gegen den Knast über die beschauliche Gemeinde hereinzubrechen,  wie sie auch zuvor den Raum Rottweil bei Diskussionen um einen dortigen Standort überrollte.  Und mittendrin  ist Bürgermeister Jürgen Roth, dem der Wille des Bürgers Befehl ist  und der sich nun schon mit der Planung eines Bürgerentscheids und der dazugehörigen Fragestellung an alle wahlberechtigten Tuninger befasst. "Wenn die Bürger entschieden haben, habe ich einen Auftrag", stellt Roth klar.
Im Stillen wurden schon eifrig Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt

Das Wettrüsten für und wider das Großgefängnis hat schon 2012 begonnen. Anfang 2013 formierte sich die Aktionsgemeinschaft gegen ein Gefängnis in Tuningen, kurz AGG. Doch die Gefängnisgegner um ihren Sprecher Eberhard Haf hielten sich mit allzu lauter Propaganda noch zurück, im Stillen jedoch wurden schon eifrig Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt.

Unterschriften werden gesammelt

"Ein paar Hundert Unterschriften haben wir schon", lässt Haf wissen. Und Roth will sich nun schon in vorauseilendem Gehorsam mit kundigen Beratern im Rücken um die richtige Fragestellung für den Bürgerentscheid bemühen. "Da dürfen uns keine Fehler passieren, sonst machen wir zweimal so einen Bürgerentscheid", weiß er.

Wie der ausgehen könnte? Wenn ihm diese Frage gestellt wird, lacht Roth. Das lasse sich angesichts der völlig unterschiedlichen Strömungen pro und kontra  Gefängnis derzeit beim besten Willen nicht voraussagen. Aus den Wolken gefallen ist Tuningen gestern nicht, als das Justizministerium die Kunde verbreitete, Justizminister Rainer Stickelberger und Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (beide SPD) würden in Abstimmung mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dem Kabinett das Liapor-Gelände als Standort für das neue Großgefängnis vorschlagen.

Die Hoffnung stirbt eben zuletzt. "Wir waren bis zuletzt in der Hoffnung, dass es doch nach Rottweil geht, da wo es eigentlich auch hingehört", gab Haf gestern im Gespräch mit unserer Zeitung zu. Doch nach vielen Diskussionen, der Kriterien-Abwägung für verschiedene Standorte, wovon ein weiterer teilweise  auf Tuninger Gemarkung liegt, und einer Baugrunduntersuchung auf dem Liapor-Gelände ging der Kelch eben nicht an Tuningen vorüber.

Aufatmen wie in Rottweil ist hier für die Gefängnisgegner noch nicht angesagt, stattdessen blasen sie jetzt zum Sturm: »Wir werden alle Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, nutzen«, verspricht Eberhard Haf seitens der AGG. Für Liapor, welche das Gelände selbst dem Land als möglichen Gefängnisstandort offerierte, und das Land Baden-Württemberg sei das "natürlich ein lukratives Geschäft", sagt Haf.

Aber: Tuningen mit seiner sehr ländlichen Struktur und nur knapp 3000 Einwohnern sei schlichtweg ungeeignet für ein Großgefängnis mit rund 500 Insassen. Klar, dass in diesem Zuge auch die Angst vor schwerkriminellen Freigängern von verschiedenen Seiten gestreut wird. In anderen Augen hingegen blitzen die Dollarzeichen – 500 Insassen bedeuten 500 Einwohner, ein Riesensprung und mächtig Geld für ein Dorf wie Tuningen, 250 Arbeitsplätze soll ein solches Großgefängnis darüber hinaus bieten und Wirtschaftskraft in den Ort bringen.

Unwirtschaftliche Vollzugseinrichtungen können schließen

Die hat einst auch Liapor für Tuningen bedeutet. Auf dem Gelände an der Autobahn 81, dort wo das Tuninger Werk der Liapor GmbH & Co. KG bis 2012 noch Blähton herstellte, zeugen jetzt nur noch die Überbleibsel, eine Industriebrache, von der früheren Betriebsamkeit auf dem 16 Hektar großen Gelände des einstigen Betonwerks, von der hauptsächlich die Baubranche profitierte.

Jetzt will hier das Land an einer "zukunftsfähigen Struktur des Justizvollzugs" bauen, so Minister Stickelberger, denn die habe Baden-Württemberg dringend nötig. Durch den Bau könnten die kleinen und als unwirtschaftlich geltenden Vollzugseinrichtungen in Rottweil, Oberndorf, Villingen-Schwenningen, Hechingen, Tübingen und Waldshut-Tiengen geschlossen werden.

Die entsprechen ohnehin in vielen Bereichen nicht mehr den Anforderungen: zu kleine und enge Zellen, Toiletten ohne Lüftung  und kaum Platz für Arbeitsplätze für  Häftlinge. Probleme, die sich seit Jahren, seit Jahrzehnten aufstauen. So jung die Diskussion um den Gefängnisstandort in Tuningen ist, so alt ist die Debatte an sich: Schon Mitte der 70er-Jahre kam bei der Landesregierung der Plan für einen Gefängnisneubau auf.

 Im Visier: der Rottweiler Standort Stallberg. Mit dem Wissen von heute überraschend: Es gab lange keine Proteste. Erst als 2007 der Regierungsbeschluss gefallen war, dort den Riesenknast zu bauen, Bodenproben Ende 2008 aber dieses Ansinnen unmöglich machten, und 2009 der Standort Esch, ebenfalls in Rottweil, favorisiert wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Mit Erfolg. 

Es gab  weitere Standortdiskussionen, und schließlich schien der perfekte Ort gefunden: das Rottweiler "Bitzwäldle", das an der B 27 bei zwei kleinen Rottweiler Außen-Stadtteilen und direkt an der Grenze zum benachbarten Zollernalbkreis liegt.  Doch kilometerlange Menschenketten, schier unendliche Unterschriftenlisten und der Ruf der Gegner hatten Erfolg: 2012 wurden die Karten neu gemischt, die Standortsuche im Land begann von Neuem. Zehn Standorte kamen in Betracht.

Entscheidung löst Verärgerung bei OB Kubon aus

Oberbürgermeister Rupert Kubon (SPD) aus Villingen-Schwenningen  äußerte sich denn auch »sehr verärgert« über die Entscheidung der Landesregierung. Auch ein Standort auf Gemarkung Weigheim (Villingen-Schwenningen), eine landwirtschaftlich genutzte Fläche, war zuletzt in der engeren Auswahl gewesen.

"Die Landesregierung hat in keinster Weise die angemessene Bedeutung des Oberzentrums Villingen-Schwenningen gewürdigt. Zudem empfinde ich es als sehr befremdlich, wenn uns das Ministerium zeitgleich mit der Öffentlichkeit über seine Entscheidung informiert. Das entspricht nicht einem vertrauensvollen und fairen Umgang", so Kubons harte Kritik.

Seit gestern  herrscht jedenfalls die Gewissheit: Den Platz  in Tuningen auf dem Areal des ehemaligen Blähtonwerks Liapor hält  die Regierungsspitze für den besten. Und trotzdem ist alles ungewiss, denn: Wie werden die Tuninger im angestrebten Bürgerentscheid abstimmen?