Einwegprodukte wie Kaffeebecher oder Pizzakartons sollen in Tübingen besteuert werden. Foto: Steinert

Tübingen will künftig 50 Cent pro Einweggeschirr kassieren. Aufschrei von Händlern und Gastronomen.

Tübingen - Leere Pizzakartons stapeln sich auf der Treppe vor der Stiftskirche. Die Abfalleimer in der Altstadt sind voll mit Coffee-to-go-Bechern und Plastikschalen vom letzten Mittagessen. Wie viele Städte in Deutschland kämpft Tübingen gegen die zunehmende Vermüllung des öffentlichen Raums. Bundesweit einzigartig ist allerdings der Grundsatzbeschluss des Gemeinderats, eine Verpackungssteuer einführen zu wollen. Von April 2020 an soll für jede Einwegschüssel oder -flasche, jede Dönerbox und jede Pommesschale eine Abgabe in Höhe von 50 Cent fällig werden, für jedes Besteckteil 20 Cent. Bezahlen müssen die Steuer all jene Betriebe, die Speisen und Getränke anbieten, die zum Verzehr unterwegs bestimmt sind.

Ausgenommen von der Regelung sind Märkte, Messen oder Feste, auch in Kliniken, Seniorenheimen oder an der Uni bleibt die Einwegverpackung steuerfrei. Auch Betriebe, die die Einwegverpackung zurücknehmen und entsorgen, sind außen vor. Ziel der Steuer sei es, Ressourcen zu sparen und Müll zu vermeiden, sagt Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer – er setzt auf Mehrweglösungen. "Indem wir die Produktion von Müll teurer machen, beseitigen wir finanzielle Fehlanreize."

Großer Widerstand regt sich bei McDonalds

Rückendeckung erhält der Gemeinderat vom baden-württembergischen Umweltminister Franz Untersteller (Grüne). "Tübingen ist bekannt für mutige umweltpolitische Entscheidungen, und die Verpackungssteuer ist zweifellos eine solche Entscheidung." Die Menge der Verpackungen, die nach einmaliger Nutzung im Müll landeten, sei viel zu hoch. Allerdings müsse man abwarten, ob die Abgabe eine "Steuerungswirkung hat, oder aber am Ende nur zu einer Verteuerung von Produkten führt".

In vielen Tübinger Betrieben stößt das Vorhaben auf Kritik. 30 Unternehmen haben sich in der "Initiative für ein sauberes Tübingen und gegen eine Verpackungssteuer" zusammengetan und ein Rechtsgutachten erstellen lassen. Die Anwälte halten die Steuer für rechtswidrig und gehen davon aus, dass der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim dies ähnlich sehen wird. Über einen Normenkontrollantrag konnte dies geklärt werden.

Ende des Automatengeschäfts in Tübingen?

Der Bundesverband der Deutschen Vending-Automatenwirtschaft befürchtet das Ende des Automatengeschäfts in Tübingen. Die Steuer würde den Becher Kaffee um 60 Cent verteuern – 50 Cent für den Becher plus 19 Prozent Umsatzsteuer.

Auch die Tübinger McDonalds-Franchise-Nehmerin Susanne Heppert hält die Abgabe für existenzbedrohend, wie sie dem Gemeinderat geschrieben hat. Ein um mehrere Zehntausend Euro im Monat erhöhtes Steueraufkommen sei absehbar. Bei einer teilweisen Einpreisung der Abgabe in die Produkte würden sich die Mahlzeiten erheblich verteuern, das könne man den Kunden nicht zumuten. Ein eigenes Mehrwegsystem könne aus baulichen und logistischen Gründen nicht aufgebaut werden. Und auf den Kunden könne man auch nicht setzen. "Wie soll das funktionieren, wenn jeder Gast seine eigene, vielleicht verschmutzte Brotbüchse mitbringt?"

"Das ist der falsche Weg", sagt Sebastian Wachter, Filialleiter bei Schmälzle, einem Imbiss in der Altstadt. Bis zu 300 Essen in Einwegverpackungen gehen täglich über den Tresen, der Laden lebt vom Lunch-to-go. "Wir haben vier Stehtische", erklärt Wachter, es sei unmöglich, dass alle ihr Essen vor Ort im Porzellangeschirr zu sich nehmen. Klimafreundliche Verpackungen seien prima, lobt Wachter und hat vor zwei Jahren auf Schalen umgestellt, die er aus den Niederlanden bezieht. Die bestünden aus 85 Prozent Papier und 15 Prozent Plastik und seien im Imbiss recyclebar. Eine zusätzliche Steuer würde er den Kunden durchreichen müssen. "Unsere Preise sind knapp kalkuliert", sagt Wächter und befürchtet neben dem bürokratischen Aufwand auch Umsatzeinbußen. Wachter plant ein Pfand auf die Verpackung zu erheben. Wer die Schale zurückbringt, erhält die 50 Cent wieder zurück.

Steuer widerspricht nicht mehr Abfallrecht des Bundes

Kassel hatte die Verpackungssteuer 1992 erhoben. 1998 kippte das Bundesverfassungsgericht das Umweltschutz-Instrument. Durch das Abfallgesetz des Bundes sei alles geregelt, es bleibe kein Spielraum für landesgesetzliche und kommunalegesetzliche Vorschriften, hieß es damals. Die Rechtslage hat sich seither geändert, wie Remo Klinger, Berliner Fachanwalt für Verwaltungsrecht, bestätigt. Eine Verbrauchssteuer auf Verpackungen würde nicht mehr dem Abfallrecht des Bundes widersprechen.

Am Donnerstag stimmt der Gemeinderat über die Satzung ab. OB Palmer geht davon aus, dass die Steuer kommen wird. Sie soll "unter Vorbehalt" eingeführt werden, um Rechtsrisiken zu vermeiden. "Es wird wohl geklagt", meint Palmer: "Ob etwas wasserdicht ist, sieht man erst, wenn es ein Urteil gibt."