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Projekt im Kampf um saubere Luft startet mit fahrscheinfreien Bus. 2019 soll über Umsonstbus abgestimmt werden.

Tübingen - Unauffälliger könnte die Botschaft kaum angebracht sein. Auf einem schmalen Aufkleber am Kassenautomaten gleich beim Einstieg ist sie zu lesen: "Samstags kostenlos Busfahren im Stadtgebiet Tübingen." Für Dorothea Gebhard ist das aber kein Grund zum Jubeln, ihr bringe es leider gar nichts. Sie hat sich gerade einen Sitz in der ersten Reihe der Linie 1 ergattert. "Ich habe ein Jobticket, ich arbeite beim Land", erklärt sie. Und dass sie es besser fände, wenn der Bus das ganze Jahr umsonst wäre.

Die Neckarstadt mit ihren fast 90.000 Einwohnern hat bereits umgesetzt, was die Bundesregierung im Kampf um saubere Luft in fünf Modellstädten realisieren will: einen fahrscheinfreien Bus.

Seit dem 10. Februar gilt das zumindest samstags. Weil ein zentrales Parkhaus in der Innenstadt saniert werden muss und das 20 Monate dauert, hat der Gemeinderat eine Tü-Bus-Flatrate eingeführt. Ein Versöhnungsangebot an den Einzelhandel in der Innenstadt, der befürchtet, dass ohne Parkplätze die Kunden wegbleiben. 200 000 Euro hat die Stadt dafür beiseitegelegt, pro Samstag entgehen ihr 5000 Euro an Ticketeinnahmen.

Die Berliner Pläne für Gratisbus und -bahn haben den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) elektrisiert. "Wir sind bundesweit die einzige Stadt, die ein fertiges, vom Gemeinderat intensiv diskutiertes Konzept zum kostenlosen Nahverkehr vorliegen hat", sagt er. Palmer will unbedingt in die Runde der möglichen Erprobungsstädte aufgenommen werden.

In einem offenen Brief an die zuständigen Minister wirbt Palmer für das Flatrate-Vorhaben und rechnet mal kurz vor, was das kosten würde. Der größte Brocken sind die Verluste aus den Fahrscheineinnahmen von jährlich neun Millionen Euro. Dazu kämen weitere sechs Millionen Euro, um die Kapazität um ein Drittel auszubauen. Die Verkehrsplaner gehen davon aus, dass sich die Zahl der Fahrgäste von 20 Millionen pro Jahr auf etwa 27 Millionen erhöhen würde.

Ein bisschen mehr als sonst an Samstagen sei schon los, versichert Busfahrer Namani Fadil. Er hat immer den Kassenautomaten hinter sich im Blick. "Ich gebe den Leuten Bescheid, dass sie kein Ticket ziehen brauchen", erzählt er. Doch an diesem Vormittag muss er kaum jemanden aufklären.

Von den gut 20 Fahrgästen haben alle Monatskarten, ein Mix aus Schülern, Senioren, Fahrgästen mit Jobticket. Erst an der Endhaltestelle oben auf dem Herrlesberg nimmt Ruth Kaiser Platz. 55 Jahre alt, leidenschaftliche Radlerin, aber bei diesem Schmuddelwetter umgestiegen auf den Bus.

"Ich fahre mit, weil es heute kostenlos ist", sagt sie strahlend. Sie hat einen großen Rucksack für die Einkäufe dabei. "Ein Auto kannst du in Tübingen sowieso vergessen", viel zu unpraktisch in der engen Altstadt.

2019 sollen die Tübinger laut Palmer parallel zur Kommunalwahl in einer Befragung über den Umsonstbus abstimmen.

Auf halber Strecke zurück zum Hauptbahnhof will eine Seniorin beim Busfahrer zahlen. "Heute umsonst", sagt er der 83-Jährigen, die erst glaubt, sich verhört zu haben und noch einmal nachfragt. "Das ist mein Glückstag", freut sie sich und sucht sich einen Platz ganz vorne. Sie sei erst vor Kurzem in ein Pflegeheim nach Tübingen gezogen und kenne sich noch kaum aus in der Stadt. "Das muss ich all den anderen Damen erzählen, die wissen das gar nicht", sagt sie aufgeregt, "dann fahren wir künftig zusammen Bus."

Info: Kostenloser Samstagsbus

Projektstart: Den kostenlosen Samstagsbus in Tübingen gibt es seit dem 10. Februar. Den ganzen Samstag über bis Sonntag früh fünf Uhr benötigen Fahrgäste kein Ticket. Am Auftaktwochenende stieg Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) mit in den Bus und freute sich über das "wunderbare Pilotprojekt".

Bewertung: 67 Busse sind im Fuhrpark der Stadt Tübingen, transportiert werden jährlich rund 20 Millionen Fahrgäste. Um samstags die zu erwartende Kapazitätserhöhung stemmen zu können, werden größere Gelenkbusse eingesetzt. Im Spätsommer wollen die Stadtwerke Tübingen das Modellprojekt auswerten.

Kosten: Begleitend werde es eine Fahrgastzählung geben, sagt Ortwin Wiebecke, Geschäftsführer der Stadtwerke. Er ist gespannt, ob die bereitgestellten 200 000 Euro zur Finanzierung ausreichen. "Wenn deutlich mehr mitfahren, muss man das Angebot aufstocken, und das wirkt sich auf die Kosten aus."