Am Tübinger Landgericht hat ein weiterer Missbrauchs-Prozess begonnen. Foto: Kahnert

Taten hätten bis zum Geschlechtsverkehr gereicht. Polizist berichtet von erster Vernehmung.

Tübingen/Kreis Calw - Wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, nämlich seiner Stieftochter muss sich ein 46-Jähriger vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Tübingen verantworten. Die Staatsanwaltschaft legt ihm 199 Missbrauchs-Fälle zur Last.

Dieser 199 Fälle habe er sich binnen fünf Jahren schuldig gemacht, wie Staatsanwältin Rotraud Hölscher in ihrer Anklage schilderte. Demnach, so die Anklägerin, habe er das 1996 geborene Mädchen zwischen dessen 13. und 18. Lebensjahr missbraucht. Die Taten hätten bis zum Geschlechtsverkehr gereicht. Und das nicht nur in der Wohnung der Familien in einer Kreisgemeinde, sondern auch im gemeinsamen Urlaub. Hölscher berichtete von anfänglich einmal wöchentlichen, später zweimal wöchentlichen Übergriffen durch den Angeklagten. Durch einen Auszug zur Oma beendete die Geschädigte schließlich den Missbrauch.

Erstmals hat sie sich ihren Freund anvertraut

"Er nutzte die Gelegenheit, wenn die Mutter bei der Arbeit war", erzählte der ermittelnde Kriminalbeamte der Calwer Polizei von den im Sicherheitsbereich in Gegenschicht arbeitenden Eltern. "Ihr war deutlich anzumerken, wie sehr sie alles psychisch belastete", zog der Ermittler sein Fazit aus der ersten Vernehmung vor zwei Jahren, bei der die inzwischen junge Frau immer wieder zu weinen begonnen habe.

Ein Jahr vor der Anzeige bei der Polizei habe sie sich ihrem Freund anvertraut und erstmals über den Missbrauch gesprochen. Auf Nachfrage der Staatsanwältin berichtete der Polizist davon, dass die Geschädigte seit dem Beginn der Übergriffe sich selber ritzte, weil der psychische Druck so groß war und sie auch kein Vertrauensverhältnis zur Mutter gehabt hätte.

Da sie außerdem von Nacktaufnahmen durch den Stiefvater erzählte, durchsuchte die Polizei die Wohnung, fand aber auf keinem der Datenträger oder Handys entsprechende Dateien. "Sie wollte nicht ausrechnen, wie oft der Missbrauch geschehen ist, hat aber von mehrmaligen wöchentlichen Übergriffen erzählt, nachdem sie 14 Jahre alt war", entgegnete der Ermittler auf die Frage von Verteidiger Alexander Betz, wie die Zahl der Fälle zustande gekommen war.

Schon zu Beginn der Verhandlung hatte Betz die Einstellung des Verfahrens beantragt, weil die Anklage die einzelnen Taten weder zeitlich noch örtlich abgrenze. Darüber hinaus beantragte er, die Vorsitzende Richterin Mechthild Weinland wegen Befangenheit abzulehnen. "Mein Mandant hat die Besorgnis, dass der eigene Sachverständige als parteiisch gewertet wird", konstatierte Betz, weil eben dieser Gutachter nicht schon zu Prozessbeginn als solcher geladen wurde. Weinland hatte indes von einer Beschwerde berichtet, weil sie Anwältin Ira Distel nicht als Pflichtverteidigerin beigeordnet habe.

Mit Anträgen und Beschlüssen sowie der Zurückweisung des Befangenheitsantrags durch eine weitere Richterin verzögerte sich die eigentliche Verhandlung. Gleichzeitig stellte die Staatsanwältin einen Antrag, den Gutachter der Verteidigung wegen Befangenheit abzulehnen.

"Es geht um den Inhalt und nicht den Wortlaut"

Konkrete Ausführungen legte Hölscher am Mittwoch den Prozessbeteiligten vor. Deshalb startete auch der zweite Verhandlungstag mit Abwicklung der unterschiedlichen Anträge, unter anderem jenen des Nebenklagevertreters Reiner Reichle, die Anhörung der heute 21-jährigen Geschädigten nichtöffentlich zu absolvieren.

Zwar hatte sich der Verteidiger dagegen ausgesprochen, doch die Vorsitzende Richterin entsprach dem Antrag, zumal es um den "schützenswerten, höchst persönlichen Lebensbereich" handle, der das Intimleben eines Kindes und einer Jugendlichen betreffe. Gleichzeitig lehnte die Strafkammer ab, darüber ein Wortprotokoll zu führen. "Natürlich ist ihre Aussage von besonderer Bedeutung und wird sich wahrscheinlich auch für die Entscheidung auswirken, es geht jedoch um den Inhalt und nicht den Wortlaut", erläuterte Weinland.