Wegen fehlender Unterkünfte haben die Behörden jetzt ein Notquartier für bis zu 500 Asylbewerber in einer Karlsruher Messehalle eingerichtet. (Symbolfoto) Foto: dpa

Idee von Boris Palmer sorgt für Empörung. Eigentümerverband sieht das als Anschlag aufs Grundgesetz.

Tübingen - In Bayern macht der Begriff schon seit Tagen die Runde. Nun hat das Wort "Beschlagnahmung" auch Baden-Württemberg erreicht. Tübingen weiß sich nicht mehr anders zu helfen.

Deutschland wird derzeit von Flüchtlingen überrannt – und der Höhepunkt steht erst noch bevor: Im Herbst und Winter werden die Asylzahlen aller Erfahrung nach noch einmal deutlich nach oben schnellen – unter anderem deshalb, da Armutsflüchtlinge vom Balkan in Deutschland überwintern wollen.

In Bayern, wo aufgrund seiner geografischen Lage jeden Monat besonders viele neue Flüchtlinge eintreffen, werden seit Tagen deshalb drastische Maßnahmen diskutiert. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) soll gesagt haben, Flüchtlinge müssten im Winter verstärkt in Einrichtungen der Kirchen unterkommen. Kasernen und öffentliche Einrichtungen müssten zudem "notfalls beschlagnahmt" werden.

Auch in Baden-Württemberg hat nun ein Oberbürgermeister erstmals das B-Wort in den Mund genommen. Tübingens OB Boris Palmer (Grüne) hat mehrere private Hausbesitzer angeschrieben, die ihre Häuser zum Teil seit Jahren leer stehen lassen. "Ich habe um ein Gespräch gebeten, zugleich aber auch – nach Rücksprache mit meinem Rechtsamt – die Option der Beschlagnahmung genannt", sagte Palmer gestern unserer Zeitung.

Beschlagnahmung ist laut Palmer für ein halbes Jahr möglich, wenn Obdachlosigkeit droht und man Wohnhäuser mutwillig über Jahre leer stehen lässt. "Da wir im Herbst und Winter einen weiteren Anstieg erwarten, ist eine Notlage da."

Angeschrieben habe er eine einstellige Zahl an Hausbesitzern, so Palmer weiter. Alle seien nun zu einem Gespräch über Vermietung oder Kauf bereit, insofern sei die Aktion erfolgreich gewesen. "Ich bin nicht bereit, Flüchtlinge im Winter in Zeltstädten unterzubringen oder Schulsporthallen zu blockieren, wenn gleichzeitig Wohnhäuser leer stehen", sagt Palmer. "Meines Wissens sind wir die erste Stadt im Land, die Beschlagnahmung vorbereitet.2

Freiburg hat Zweckentfremdungsverbot erlassen

Der Eigentümerverband Haus und Grund ist entsetzt – sowohl über Palmers Vorgehen als auch über seine Argumentation. Rechtlich sei das nicht zu halten, sagt Landesgeschäftsführer Ottmar Wernicke. Eine Kommune müsse erst einmal alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen, bevor sie sich an Privateigentum vergreife – also notfalls auf städtischem Gelände Container aufstellen.
Hausbesitzer reagieren auf Drohung entsetzt

Wernicke sagt, er kenne ein paar der Fälle in Tübingen, über die Palmer sich aufrege. Da sei zum Beispiel eine zerstrittene Erbengemeinschaft, die sich nicht einigen könne, ob das Haus saniert oder verkauft werden soll. Und da sei eine sehr alte Frau, die ihr Haus nicht mehr vermieten wolle und beratungsresistent sei. Aber solche Fälle habe der Staat zu tolerieren, meint Wernicke, da dürfe er nicht gleich mit dem schärfsten Schwert drohen. Palmer sieht das anders, zumal die grün-rote Landesregierung den Kommunen mit dem Zweckentfremdungsverbot eine weitere Möglichkeit an die Hand gegeben hat, um zumindest theoretisch gegen leer stehende Wohnungen vorzugehen. "Auch die Kommunen haben noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft – ich auch nicht", sagt Palmer

So habe zum Beispiel bislang nur Freiburg ein Zweckentfremdungsverbot erlassen, sagt Palmer. Er kritisiert die sich häufenden offenen Briefe an die Landesregierung von kommunaler Seite. Die jüngsten Schuldzuweisungen der CDU-Landräte zum Beispiel seien "plumper Wahlkampf". Das sehe man schon allein daran, dass es in Bayern kein Haar besser sei. "Unser ganzes Asylsystem ist derzeit überfordert, und ich empfehle jedem von uns, weniger offene Briefe zu schreiben und mehr zu handeln. Es ist fünf nach zwölf."
Städtetag ist gegen den Vorschlag

Der Städtetag hält nichts von Beschlagnahmungen: "Sporthallen und Stadthallen waren schon öfter ein Thema, aber kein privater Wohnraum", sagte Gerhard Mauch, Dezernent für Flüchtlingsangelegenheiten beim Städtetag Baden-Württemberg, gestern. Allein mengenmäßig würden "ein paar leer stehende Wohnungen" nichts bringen. Anders sieht das ein Sprecher des Landkreistags in Baden-Württemberg: "Die örtliche Situation ist überall brenzlig, aber ob das Sinn macht oder nicht, muss im Einzelfall entschieden werden."

Im vergangenen Jahr hatte der Main-Tauber-Kreis ein leer stehendes Kasernen-Gebäude in Tauberbischofsheim beschlagnahmt.

Auf unserer Facebook-Seite wurde über die Idee ausführlich diskutiert:

Der Stadt Tübingen geht langsam der Platz für Asylbewerber aus. OB Boris Palmer hat dehalb vorgeschlagen, leerstehende Häuser zu beschlagnahmen. Dort sollen Flüchtlinge untergebracht werden. Wie findet ihr das?

Posted by Schwarzwälder Bote on  Donnerstag, 13. August 2015