Das Tübinger Landgericht ist Schauplatz eine ungewöhnlichen Brandstiftungs-Prozesses. Foto: M. Bernklau

In Tübingen beginnt  Prozess um eine schwere Brandstiftung im Bad Wildbader Berufsförderungswerk.

Tübingen/Bad Wildbad - Die Sache liegt lang zurück. Vor ziemlich genau vier Jahren hatte es um Mitternacht gebrannt im Bad Wildbader Berufsförderungswerk, wo damals 23 Menschen wohnten. Eine heute 57-jährige Umschülerin geriet ins Zwielicht. Die Strafkammer am Tübinger Landgericht sah keinen hinreichenden Tatverdacht und ließ die Anklage nicht zu. Doch das Oberlandesgericht war anderer Meinung. Jetzt begann der Prozess.

Es war eine seltsame Geschichte in dieser Märznacht 2015. Fast Schlag Mitternacht hatten nacheinander zwei Brandmelder im Wohnheim des Bad Wildbader Berufsförderungswerks angeschlagen, das im Panoramaweg am Hang liegt. Im obersten von sieben, dem Eingangsgeschoss, brannte um ein Sofa herum der Aufenthaltsraum aus.

Drei Stockwerke darunter war eine Frau in ihrem Zimmer eingeschlossen, schrie in Panik um Hilfe, konnte aber über den Balkon, eine Brandtreppe, das Nachbardach und die Feuerleiter gerettet werden. Auch in ihrem Zimmer brannte es – später.

Ein angeblich gefundener Schlüssel bringt sie in Verdacht

Trotz schnellen und erfolgreichen Feuerwehreinsatzes entstand an den beiden Brandherden ein Schaden von summiert rund 160 000 Euro. Die eingesperrte Frau erlitt eine Rauchvergiftung. Die jetzt – doch noch – angeklagte Frau hatte sich beim Alarmieren, Retten und bei ersten Löschversuchen hervorgetan.

Das, und ein von ihr angeblich gefundener Schlüssel zur Tür der eingesperrten Frau brachte sie in Verdacht, als die Ermittler keine Zweifel mehr an einer Brandstiftung hatten und alle Hausbewohner vernahmen. Und noch etwas sprach gegen sie: Eine 2008 gegen die gelernte Anästhesieschwester verhängte Bewährungsstrafe (wegen gefährlicher Körperverletzung durch nicht verabreichte Medikamente) sowie ein weiterer Prozess um Betrugsvorwürfe, der mit Freispruch endete. Oberstaatsanwältin Susanne Teschner will ihr nun nachweisen, dass sie beide Feuer gelegt hat, um ihre Mitbewohner "in Gefahr zu bringen und dann zu retten", Anerkennung zu bekommen und "als Heldin dazustehen". Sie sei dabei allerdings davon ausgegangen, "dass alle gerettet werden".

Die im Tuttlinger Raum wohnende Krankenschwester hatte wegen der Bewährungsstrafe nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten können und in Bad Wildbad eine anderthalbjährige Umschulung zur Fachangestellten fast abgeschlossen. Bis zur bestandenen Prüfung war sie dann in einer Pension untergebracht.

Zu ihrer Person und ihrem Werdegang gab sie vor Gericht Auskunft, zur Sache "zunächst nicht", wie ihr Anwalt zu Prozessbeginn ankündigte.

Die Ermittlungen gestalteten sich schwierig, wie der leitende Kriminalbeamte dem Kammervorsitzenden Ulrich Polachowski erläuterte. Im ausgebrannten Aufenthaltsraum gab es wenig Verwertbares, beim weniger heftigen Zimmerbrand waren Spuren von Aceton nachweisbar. Ein Übergreifen auf das tieferliegende Stockwerk erschein ausgeschlossen.

Ob da Nagellackentferner als Brandbeschleuniger verwendet worden war, ließ sich aber nicht sicher belegen. Eine der Brandmelder-Uhren ging 16 Minuten nach, was auch lang für Verwirrung sorgte. Bei der Leitstelle war der erste Alarm um 23.59 Uhr eingegangen.

Eine Mitbewohnerin wollte vor dem zweiten Feuer – Brandmelderalarm bei der Leitstelle 0.05 Uhr – eine verdächtige "weiße Gestalt" gesehen haben, andere bestätigten auch, dass die Frau, zunächst, ihren weißen Bademantel anhatte, sich dann aber noch umgezogen habe.

Den Schlüssel für das Brandzimmer konnte die Angeklagte eigentlich nicht wie angegeben im Treppenhaus gefunden haben, wenn sie das Gebäude schließlich tatsächlich über den Balkon verlassen hätte.

Eine weitere Bewohnerin aber hatte ausgesagt, die zeitweise eingeschlossene Frau hätte ihr gegenüber geäußert, Besucher hätten das Zimmer versehentlich von außen abgesperrt. Nach der Erinnerung des Ermittlers sei sie bei der Vernehmung "schwer durch den Wind" gewesen und "auch später noch sehr aufgeregt".

Verdachtsmomente gegen Andere, auch gegen eine der geschädigten Mitbewohnerinnen und Zeugen, hatten sich laut dem Ermittlungsleiter bald zerstreut.

Die jetzige Angeklagte hatte neben ihrem Rettungseifer schließlich aber ihre frühere Verurteilung ins Visier gebracht, sagte der Kripobeamte. Baldige Durchsuchungen ihres Autos, beiden Wildbader Zimmern und der Hauptwohnung an der Baar hätten allerdings "nichts Belastendes" erbracht.

Die Anklage lautet neben der schweren Brandstiftung auch auf Sachbeschädigung, Körperverletzung sowie auf Freiheitsberaubung. Die Erste Große Strafkammer hat vier weitere Verhandlungstage angesetzt, um Licht ins Dunkel des mitternächtlichen Brandfalles im Berufsförderungswerk zu bringen.