Tim Bendzko hat in Stuttgart seine Sommertour eröffnet Foto: Peter Petsch

Hinter der Absperrung sangen Tausende ohne Karte mit: Tim Bendzko hat den gesamten Schlossplatz gerockt. Nach dem Andrang steht für den SWR fest: 2015 gibt’s wieder ein Sommerfestival.

Hinter der Absperrung sangen Tausende ohne Karte mit: Tim Bendzko hat den gesamten Schlossplatz gerockt. Nach dem Andrang steht für den SWR fest: 2015 gibt’s wieder ein Sommerfestival. 

Stuttgart - Wer die Cateringliste gesehen hat, könnte meinen, der Herr Jungstar ist etwas kompliziert. Tim Bendzko, der als „Balladenkönig“ und „Überflieger der deutschen Musikszene“ gefeiert wird, bestand im Vertrag darauf, hinter der Bühne Mandelmilch zu trinken. Der SWR musste ein paar Verrenkungen machen, um alle Essenswünsche zu erfüllen.

Vor einiger Zeit ist der frühere Theologiestudent von einem Tag auf den anderen Veganer geworden, weshalb es bei ihm eine besondere Milch sein muss. Die Veranstalter, auf viele Sonderwünsche eingestellt, erleben dann aber backstage einen entspannten Sänger ohne Stargetue, der sichtbar Spaß vor der traumhaften Kulisse des Neuen Schlosses, der schönsten Bühne Stuttgarts, hat: Bendzko spielt fünf Zugaben – mehr Songs, als auf der Setliste stehen.

4000 zahlende Zuschauer und etwa doppelt so viele Menschen hinter den Zäunen haben am Samstagabend eine mediterrane Schlossplatz-Party gefeiert. Es geht schnell, bis Tim Bendzko mit seiner markanten Stimme und seinem Lausbubencharme alle glücklich macht, gute Laune und Freude spendiert. Faszinierend, wie er mit Worten zaubert. Eine großartige Band macht den Abend zu einem musikalischen Höhepunkt des SWR-Sommerfestivals.

Die Akustik ist so gut, dass man auch noch auf den Picknickdecken hinter der Absperrung was von den Texten dieses Blondschopfs mitbekommt, der aussieht, als stehe er unter Welpenschutz. Dabei ist er ein alter Hase: 2011 gelang ihm der Durchbruch mit „Wenn Worte meine Sprache wären“. Bendzkos Worte rufen Bilder und Gefühle hervor. Sie sind oft so sanft, dass sie „unter die Haut“ gehen, wie das Lied heißt, das er mit der in Esslingen lebenden Cassandra Steen eingespielt hat. Sie ist im Publikum im Ehrenhof und singt fast immer mit. Draußen gibt’s kaum freie Flächen auf dem Schlossplatz-Rasen. Weinflaschen kreisen, manche hocken auf mitgebrachten Campingstühlen. Die Treppe beim Kunstmuseum wird zur voll besetzten Tribüne. Die Stadt ist in Partylaune.

Vor Jahren lud der SWR zu Open-Airs ohne Eintritt vors Schloss. Bei Scorpions kamen 100 000. Heute ist dies aus Sicherheitsgründen undenkbar. Seit der Katastrophe bei der Love Parade in Düsseldorf sind die Auflagen so hoch, dass Konzerte zum Nulltarif ein unlösbares organisatorisches Problem wären. Aber auch bei dem Festival gibt es ein kostenlose Angebot. Der Sender zeigt in Zelten, wie Radio und Fernsehen entsteht und lädt zum Mitmachen ein. Bei schönem Wetter werden jeweils bis zu 100 000 Besucher geschätzt. Das siebte Sommerfestival 2015 ist daher beschlossene Sache – wieder mit „Pop & Poesie“. Mit der neuen Show hat Matthias Holtmann am Sonntag zum Festivalende für einen ausverkauften Platz gesorgt – und für Arbeit bei den Helfern. Das Bendzko-Konzert ist eine Stehparty, anderntags werden 4200 Stühle aufgestellt.

Alle Bandmitglieder des Weltenretters, so wissen die Zuhörer nun, kommen aus Stuttgart – so stellt er sie vor. Wenn die Musiker am 11. Juni in Halle spielen, werden alle aus Halle kommen. Bei dem Lied „Programmiert“, in dem es um digitale Isolation geht, fordert der Sänger die 4000 (meist fleißig fotografierenden) Besucher auf, ihr Smartphone in die Luft zu halten – und dann in der Hosentasche verschwinden zu lassen.

„Wie fühlen sich echte Sonnenstrahlen an?“, singt er, „ich weiß es nicht mehr.“ Sein Publikum spürt es. Die untergehende Sonne taucht das Schloss in ein Licht wie aus dem Urlaubsalbum. Bei so intensiv gefühlter Musik vergisst manch einer, sein soziales Netzwerk, auf dem Smartphone tippend, über einen Konzertgenuss zu informieren. Das Handy bleibt länger als sonst in der Tasche. Das Handy hat, anders als Tim. kein Herz.