Es gibt schon erste Versuche, die Zahl der Versuchstiere zu begrenzen: Schönheits- und Pflegemittel, die an Tieren getestet wurden, dürfen in der Europäischen Union seit März 2013 nicht mehr verkauft werden. Foto: Fotolia

Noch immer müssen Millionen Versuchstiere ihr Leben für die Forschung lassen. Organisationen rufen zu Protesten auf. Dabei arbeitet die Forschung an Methoden, die Tierversuche überflüssig werden lassen. In der Genforschung tun sich Wissenschaftler aber schwer, auf Experimente zu verzichten.

Stuttgart - Als das Schlafmittel Contergan vom Markt genommen wurde, waren bereits Tausende Kinder mit schwersten Behinderungen auf die Welt gekommen: Mit zu kurzen Armen oder Beinen, mit Organschäden, taub oder blind. Etliche sind bereits im Mutterleib gestorben. Erst dann hat der Hersteller den Wirkstoff an trächtigen Tieren getestet. Zuerst an Ratten – ohne Auffälligkeiten –, dann an Kaninchen, deren Junge ähnliche Schäden bekamen wie die Kinder. Danach sind Arzneimittelgesetze verschärft und Tierversuche vorgeschrieben worden. Das war Ende der 60er Jahre.

Knapp ein halbes Jahrhundert später sind die Zahlen der Tiere, die für Medikamententests genutzt werden, so hoch wie nie zuvor. Fast drei Millionen Versuchstiere wurden im Jahr 2011 in deutschen Laboren zu Testzwecken eingesetzt. So lauten die derzeit aktuellen Zahlen des Verbraucherschutzministeriums. Das sind 1,9 Prozent und damit 55 000 Tiere mehr als im Vorjahr und 60 Prozent mehr als im Jahr 2000. Damals waren knapp zwei Millionen Versuchstiere in der Forschung gebraucht worden.

Tierschützer kritisierten die Entwicklung. Die Organisation Ärzte gegen Tierversuche proklamiert: „Tierversuche sind grausam und wissenschaftlicher Unsinn.“ Und die Organisation Vier Pfoten verlangt, Deutschland solle als führender Standort für Innovation und Forschung in Europa ein Vorbild sein und alternative Forschungsmethoden fördern.

Erste Versuche die Zahl der Versuchstiere einzudämmen, gibt es schon: Schönheits- und Pflegemittel, die an Tieren getestet wurden, dürfen seit März in der Europäischen Union nicht mehr verkauft werden – selbst wenn die Experimente ausschließen sollten, dass einzelne Inhaltsstoffe Allergien, Krebs oder Fortpflanzungsschäden auslösen.

Tierversuchsfreie Methoden sollen bald zum Alltag gehören

Auch setzt sich bei Medikamententests eine Ersatzmethode immer mehr durch: die Zellkultur. Dabei werden menschliche Zellen im sogenannten In-vitro-Verfahren gezüchtet: So gibt es beispielsweise Herz- oder Leberzellen, an denen die Reaktion dieser Organe auf die zu testende Substanz simuliert werden kann. Auch haben Forscher bestimmte organische Abläufe auf Biochips gepackt – Multi-Organ-Chips genannt –, um beispielsweise die natürliche Atmungsbewegung der Lungenbläschen nachzuahmen.

Für Experten wie den Konstanzer Leiter des Zentrums für Alternativen zum Tierversuch in Europa (CAAT-Europe), Marcel Leist, sind dies Vorzeigemodelle, die beweisen sollen, dass tierversuchsfreie Methoden bald zum Alltag gehören werden: „Der Tierversuch wird überall dort zur Ausnahme, wo Alternativmethoden schneller, besser oder indirekt subventioniert werden.“

Im Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung gibt es eine Forschungsabteilung, die ebensolche Alternativmethoden entwickelt und auf ihre Wirksamkeit prüft. Und die Wissenschaftler der Zentralstelle zur Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (Zebet) können bestätigen: Alternative Methoden zu Tierversuchen sind kostengünstiger und schneller, da beispielsweise an Zellkulturen gleich mehrere Substanzen getestet werden können. Zudem entfällt die moralische und ethische Verantwortung.

Dennoch kann der Leiter der Zebet, Gilbert Schönfelder, die Zuversicht des Konstanzer Kollegen Leist nicht teilen: So sind viele Tests mit Hilfe von Zellkulturen zwar erfolgreich. Sie werden aber hauptsächlich noch immer im Sinne einer Vorentscheidung verwendet, um gerade bei Medikamenten Wirkstoffe von vorneherein auszuschließen, die Zellen abtöten können – was auch im lebenden Organismus passieren würde. „Aber es geht bei der Entwicklung von Medikamenten ja auch um die Frage, ob die Substanz überhaupt eine biologische Wirkung hat“, sagt Schönfelder.

„Wir kommen noch nicht ohne Tierversuche aus“

Für solche komplexen Vorgänge, wie ein Wirkstoff in sämtlichen Bereichen des Körpers reagiert, braucht es einen lebenden Organismus. Weshalb Schönfelder überzeugt ist: „Wir kommen noch nicht ohne Tierversuche aus.“ Zwar besagt das deutsche Gesetz, dass ein Tierversuch nicht durchgeführt werden darf, wenn Alternativen vorhanden sind. Aber: „In vielen medizinischen Bereichen gibt es bislang noch keine.“

Das betrifft vor allem die Grundlagenforschung. Dort werden nach wie vor die meisten Versuchstiere eingesetzt, zumeist genetisch manipuliert. Bei diesen transgenen Tieren werden bestimmte Gene gezielt stillgelegt, um herauszufinden, was ein Erbgutabschnitt in einem Lebewesen bewirkt. So hoffen die Forscher, den Ursachen von Krankheiten auf die Spur zu kommen, um wiederum Therapien entwickeln zu können.

Doch nicht nur in diesem Gebiet muss nach Meinung von Gilbert Schönfelder die Suche nach Alternativen vorangetrieben werden. So finden sich zwar in jeder Tierversuchsleitlinie die Vorgaben, Versuche möglichst zu vermeiden, Alternativen zu erforschen und die Experimente so zu gestalten und weiterzuentwickeln, dass die Tiere möglichst wenig leiden. Doch gerade beim letzten Punkt hapert es noch. „Wir brauchen beispielsweise bessere Schmerzmittel für Tiere.“ Doch die Forschung in dieser Richtung kommt hierzulande zu kurz: Dabei ließen sich viele Tierversuchen, die ohnehin durchgeführt werden, zusätzlich noch auf das Wohlergehen der Tiere hin auswerten. „Dann bräuchte man auch nicht mehr Versuchstiere.“