Mit der Aussicht auf einen Karrieresprung: Thomas Bach könnte 2013 an die Spitze des IOC rücken – er selbst hält sich noch bedeckt Foto: dapd

DOSB-Präsident Thomas Bach hat seinen Polemik-Vorwurf gegenüber Robert Harting erneuert.

Stuttgart -  Eine lebenslange Rente für Olympiasieger? Günstigere Steuersätze für Top-Athleten? Nicht  mit  Thomas Bach. Für den  DOSB-Chef stehen finanzielle Vorteile nicht im Vordergrund einer Karriere als Spitzensportler.

Guten Tag Herr Bach. Sie wirken nicht ganz so blass wie vermutet.
(blickt erstaunt) Wie darf ich das verstehen?

Diskus-Olympiasieger Robert Harting hat Sie neulich als blass und selbstgefällig kritisiert.
(lacht) Seine Äußerung ist vermutlich der Grund, weshalb ich wieder mehr Gesichtsfarbe habe.

Harting hat an der Sportförderung in Deutschland kein gutes Haar gelassen.
Es ist sein gutes Recht, seine Meinung zu äußern. Schade nur, dass sie teilweise auf falschen Zitaten beruhte und polemisch rüberkam.

Die Diskussion ist in vollem Gange.
Das ist auch gut so. Ich hätte mir nur gewünscht, dass sich Robert Harting konstruktiv daran beteiligt, zum Beispiel in den Athleten-Kommissionen. Dort glänzte er aber durch Abwesenheit. Stattdessen gab er lieber Interviews. Das ist kein guter Stil, denn die Athleten-Kommission ist die demokratisch gewählte Athleten-Vertretung und ist über ihren Vorsitzenden Christian Breuer auch an allen Entscheidungen des DOSB-Präsidiums beteiligt. Aber mal abgesehen davon haben wir immer gesagt: Nach London 2012 unterziehen wir das System der Spitzensport-Förderung einer umfassenden Prüfung – und das unabhängig davon, wie die Spiele für uns ausgehen . . .

. . . und sie sind für das deutsche Team ganz ordentlich ausgegangen.
Nein, sie sind sehr gut ausgegangen. Wenn mir vorher jemand gesagt hätte, wir gewinnen mehr Medaillen als in Peking 2008 – und das unter viel härteren Wettbewerbsbedingungen –, dann hätte ich ihm freudig für seinen Optimismus gedankt. Das war so nicht vorherzusehen.

Nicht nur Harting ist unzufrieden mit den Bedingungen im deutschen Spitzensport. Es gibt Probleme zuhauf. Finanzierung, duale Ausbildung, soziale Absicherung . . .
Richtig ist: Es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Schon deshalb nicht, weil weltweit viele andere Nationen größte Anstrengungen unternehmen.

Äußerungen aus den Reihen des DOSB vermitteln den Eindruck: Es ist alles okay, wir machen weiter so.
Dieser Eindruck ist vollkommen falsch. Die Prüfung ist in vollem Gange. Die Gespräche laufen, und jede konstruktive Idee ist willkommen. Es gibt allerdings einige Parameter, die Grundlage des Erfolgs waren und die von der großen Mehrheit der Fachverbände und von den Olympiastützpunkten mitgetragen werden.

Der Deutsche Tischtennis-Bund kritisiert, dass sich die Spitzensportförderung zu sehr an Medaillen orientiert und zu wenig an der gesellschaftspolitischen Bedeutung einer Sportart. Das monieren auch die Leichtathleten.
Wir können die Spitzensportförderung doch nicht an den Erfordernissen des Breitensports ausrichten. Wir wollen auch künftig in Leistung und Erfolg investieren, um international mithalten zu können.

Grundförderung für jede Sportart



Alte Regel: Ohne Breite keine Spitze.
Deshalb gibt es ja auch eine Grundförderung für alle Sportarten. Auch für solche, die nicht medaillenträchtig sind. Das sichert den Erhalt unserer Sportkultur und hilft den Verbänden, auch mal eine Zeit zu überbrücken, in denen sie nicht so erfolgreich sind. Außerdem investieren wir – anders als früher – in zukünftige Erfolge und nicht in vergangene.

Trotzdem hagelt es Kritik.
Innerhalb dieser Parameter gibt es natürlich Spielräume. Die werden jetzt mit den jeweiligen Sportverbänden diskutiert. Und dabei sucht jeder nach den besten Argumenten für sich und seine Förderung. Das ist das Normalste von der Welt.

Es gibt etliche Vorschläge . . .
. . . zum Beispiel von Robert Harting, der gern eine lebenslange Rente für Olympiasieger hätte. Oder Imke Duplitzer, die günstigere Steuersätze für Top-Sportler will. Andere wollen mehr zentrale Spitzensport-Steuerung durch den DOSB. Das ist eine normale Diskussion . . .

. . . die Sie am liebsten verhindert hätten.
Dieser Eindruck täuscht. Der DOSB gibt nur nicht nach jedem Gespräch gleich eine Presseerklärung raus. Wir wollen einen sachlichen Austausch der Argumente.

Der wohin führen soll?
Ich bin kein Prophet, aber entscheidend ist: die Rahmenbedingungen für den Spitzensport weiter zu verbessern.

Aber Sie kennen die Probleme.
Es gibt in der Tat große Baustellen wie etwa in der Ausbildung und Bezahlung der Trainer. Nachdenken muss man auch über eine zentralere Spitzensport-Steuerung durch den DOSB. Außerdem laufen wir Gefahr, den Vorsprung einzubüßen, den wir durch das Leipziger Institut für angewandte Trainingswissenschaft sowie das Berliner FES für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten haben. Beide benötigen eine bessere Ausstattung. Verbesserungsbedarf gibt es auch bei der dualen Karriere unserer Athleten – vor allem im Bereich der Hochschulen.

Darüber wird seit ewigen Zeiten diskutiert. Die Fortschritte sind minimal.
(hebt die Augenbrauen) Nein, nein! Ganz so schlimm ist es nicht. Wir sehen eine ganze Reihe von Hochschulen, wo es inzwischen ganz gut funktioniert. Zum Beispiel an den Einrichtungen, die wir mit dem Titel Hochschule des Spitzensports ausgezeichnet haben: das Verbundsystem von acht Berliner Hochschulen, die Verwaltungsfachhochschule Wiesbaden oder die Fachhochschule Ansbach. Doch dieses Thema werden wir nie endgültig lösen. Das Hochschulwesen ist dezentral organisiert. Jede Hochschule hat ihre eigene Verantwortung. Und der jeweilige Professor hat die Entscheidungsmacht. Er sagt, ob eine Klausur nachgeschrieben werden kann oder nicht.

Am Ende des Tages geht es doch immer nur ums Geld.
Nicht nur. Es geht auch um unsere prinzipielle Vorstellung von Leistungssport in einer demokratischen Gesellschaft.

Was bedeutet?
Dass die duale Karriere von Sport und Beruf bei der Förderung der Athleten im Mittelpunkt stehen muss.

"Das Fördersystem bietet viele Wege zum Erfolg"



Das wird die Athleten nicht trösten. Sie schauen, was in anderen Ländern möglich ist. Und 15 000 Euro für eine Goldmedaille sind vergleichsweise wenig.
Da müssen Sie sich an die Deutsche Sporthilfe wenden.

Die hat auch kein Geld.
Die Frage ist doch die: Ist es unsere Vorstellung von Leistungssport, mit einem Olympiasieg ausgesorgt zu haben? Zum Beispiel mit Hilfe einer lebenslangen Rente. Da sage ich in aller Deutlichkeit: Nein! Das ist weder unsere Vorstellung, noch ist es in unserem gesellschaftlichen System machbar. Aber in Deutschland muss es möglich sein, Schule und Berufsausbildung neben dem spitzensportlichen Training zu absolvieren. Top-Athleten dürfen durch ihren Einsatz für den Sport keine Nachteile erleiden. Hier brauchen wir viel mehr Anerkennung und Unterstützung.

Also doch: Weiter so wie bisher.
Nein, es gibt ohne Frage Verbesserungspotenzial. Wir müssen den Athleten bessere Möglichkeiten einräumen, für eine bestimmte Zeit professionell zu trainieren – ohne den Anschluss in Bildung und Ausbildung zu verlieren. Dafür brauchen wir mehr Hochschulen und Betriebe als bisher, die unsere Athleten dabei unterstützen.

Das dauert und dauert, die Athleten verlieren allmählich die Geduld. Sie blicken neidvoll auf die überaus erfolgreichen Engländer.
Dieser Vergleich hinkt. Der Sport spielt im englischen Bildungssystem eine viel größere Rolle als bei uns. Er steht dort mit im Mittelpunkt der Erziehung in den Schulen. Das hat Auswirkungen auf die Talenterfassung und -förderung. Das Bekenntnis zu Leistung und Erfolg ist deutlicher als bei uns. Bei uns wird beides in vielen Bereichen mit Argwohn betrachtet.

Die Engländer sind aber auch bereit, für den Spitzensport tief in die Tasche zu greifen.
Sie haben nach desaströsen Olympischen Spielen in Atlanta 1996 beschlossen, dass es so nicht weitergehen kann. Sie wollten Top-Leistungen auch im Sport und waren bereit, dafür zu investieren.

Und woher kommt das Geld?
Der Spitzensport finanziert sich zum großen Teil mit Lotteriemitteln und wird zentral gesteuert, was bei uns wegen des föderalen Systems auch nur bedingt möglich wäre. Wir können uns nicht so ohne weiteres mit Ländern vergleichen, die politisch schon sehr viel zentraler organisiert sind als wir.

Das alles macht deutschen Talenten nicht gerade Mut, sich für den Leistungssport zu entscheiden.
Der Sport kann einem jungen Menschen viel geben, aber er verlangt eben auch einen gewissen Einsatz an Idealismus. Es geht nur mit Liebe und Leidenschaft. Eine Sportlerlaufbahn lässt sich nicht zu hundert Prozent absichern. Die Wintersportler, aber auch die Kanuten, Ruderer, Fechter oder Judoka machen doch vor, wie es gehen kann.

Was machen sie besser als andere?
Ihre Verbände ermöglichen es ihnen mit Unterstützung der Sporthilfe, die vom DOSB pro Olympiade mit rund 4,8 Millionen Euro unterstützt wird, über einen gewissen Zeitraum vor den Olympischen Spielen, meistens ein Jahr davor, professionell zu trainieren – rausgezogen aus Beruf oder Uni. Ole Bischof oder Britta Heidemann sind gute Beispiele. Ich selbst habe das im Übrigen auch so gemacht.

Was lernen wir daraus?
Das Fördersystem bietet viele Wege zum Erfolg.