Mitarbeiterin Rusita Suilpaite verkauft Bananen in der Fildertafel in Filderstadt Foto: Lichtgut/Ines Rudel

Wer zur Fildertafel kommt, um gegen einen geringen Betrag Lebensmittel zu erhalten, schämt sich häufig dafür. Armut ist noch immer mit Vorurteilen besetzt, sagen die Mitarbeiter.

Filderstadt - Tanja Herbrik läuft durch den Verkaufsraum der Fildertafel: „Ist die Kasse startklar?“ Ihr Blick wandert zur Brötchentheke: „Sind Sie so weit?“ Der Mitarbeiter nickt. Herbrik lässt die ersten Kunden herein. Bis die Tafel in vier Stunden wieder schließt, werden rund 130 Bedürftige kommen und sich gegen einen geringen Betrag mit Lebensmitteln versorgen, die von Supermärkten gespendet werden, weil sie dort nicht mehr verkauft werden können. Zum Einkauf berechtigt ist nur, wer entsprechende Nachweise vorzeigen kann – darüber, dass er von Hartz IV lebt, Grundsicherung oder Wohngeld bezieht oder Flüchtling ist. „Wir überprüfen das“, erklärt Herbrik, die Leiterin der Fildertafel, und deutet auf eine Mitarbeiterin, die sich die Kundenkarten der Menschen zeigen lässt.

Es geht ruhig zu im Verkaufsraum. Ende vergangenen Jahres war das anders: „Die Leute standen schon vor der Öffnung vor der Tür.“ Die zierliche Frau fährt die Ellenbogen aus, um die Atmosphäre zu verdeutlichen: „Dann haben einige die anderen richtig weggedrängelt, damit sie als Erste im Laden sind. Da ist die Situation eskaliert.“ Denn seit vergangenem Sommer kommen rund 100 Kunden mehr in die Fildertafel. Es sind Flüchtlinge aus den Unterkünften in der Nähe. Die Nahrungsmittel reichen nicht immer aus. „Es braucht sehr viel Kommunikation, um die Situation zu erklären“, sagt Herbrik. Jeder Kunde solle eine faire Chance erhalten, Produkte zu bekommen. „Aber Gerechtigkeit ist immer eine Frage der Perspektive. Manche sind unzufrieden, weil sie ihrer Meinung nach zu wenig kriegen, andere sind zufrieden, weil sie überhaupt etwas kriegen.“

Um die Lage zu entspannen, hat die Fildertafel den Zugang begrenzt. Nicht die ganze Familie darf rein, sondern nur derjenige, dessen Name auf der Kundenkarte steht. Sind die 15 Einkaufskörbe am Eingang alle in Benutzung, müssen die anderen Kunden warten, bis einer frei wird. „Außerdem erhalten wir den ganzen Vormittag über neue Ware. Es bringt also nichts, morgens als Erster hier zu sein“, erklärt Herbrik.

„Dadurch ist es auch für die Kunden ruhiger geworden“, findet Jutta B., die sich seit drei Jahren ehrenamtlich in der Tafel engagiert. „Es macht mir sehr viel Spaß, ich möchte nicht darauf verzichten“, sagt die 68-Jährige. Obwohl es manchmal „aufregend“ wird, etwa, wenn Kunden an der Kasse anfangen zu diskutieren. „Aber die meisten Menschen, die hierherkommen, sind sehr nett.“ Dass jemand die Ellenbogen ausfährt oder Preise umetikettiert, sei die Ausnahme. Die Fildertafel ist auch ein Ort der Begegnung. Jutta B. kennt die Geschichten vieler Kunden. „Manchmal sind sehr schlimme Sachen dabei“, berichtet sie. „Aber so ist das Leben. Es freut mich, wenn ich die Menschen ein wenig aufbauen kann.“ In der Tafel sprechen sie offener über ihre Situation als draußen. „Viele verurteilen Menschen, die bedürftig sind. Dabei rutscht man so leicht in die Armut hinein. Manchmal entgleiten einem einfach die Dinge“, sagt Jutta B. nachdenklich. „In vielen Köpfen steckt das Vorurteil‚ wer keine Arbeit hat, ist selbst schuld. Aber Armut ist nicht automatisch selbst verschuldet. Viele Menschen hier würden alles dafür tun, wieder auf eigenen Beinen zu stehen“, sagt Tanja Herbrik.

Das gilt auch für eine alleinerziehende Mutter, die Tafelkundin ist. Sie arbeitet halbtags in einem Büro, doch das Gehalt reicht nicht aus. Sie erhält Aufstockung. „Ich bin froh, dass es die Tafel gibt“, sagt sie. Nur hier könne sie sich bestimmte Dinge leisten – „Luxus, so etwas wie Schinken oder Spargel“. Und Ansprechpartner finden, wenn es schwierig wird, so wie im Moment, weil der Vater ihres Kindes keinen Unterhalt zahlt. „Manche Leute kommen jeden Tag hierher, um sich Vorräte anzulegen, das finde ich nicht okay“, kritisiert sie. Ihren Namen möchte die Frau nicht in der Zeitung lesen. Es wäre ihr unangenehm, wenn andere von ihrer Situation wüssten. „Man schämt sich, wenn man hierherkommen muss.“

„Die Scham ist überall“, sagt Herbrik. Einige Kunden kommen von weit her nach Filderstadt, weil sie hier niemand kennt. Der Diakonin ist es wichtig, ihnen mit Anstand und Würde zu begegnen. Deshalb legt sie viel Wert darauf, dass die Ware in gutem Zustand ist. „Die Spargel müssen ausgepackt und einzeln überprüft werden“, weist sie einen Mitarbeiter an. Herbrik ist resolut, doch sie begegnet den Menschen auf Augenhöhe, auch ihren Mitarbeitern, von denen viele selbst Ein-Euro-Jobber sind.

Seit Februar arbeitet Ahcene N. für die Tafel. Der Asylbewerber aus Algerien teilt sich mit drei Männern ein Zimmer einer Unterkunft in der Nähe. „Selbst wenn ich nur sehr wenig verdiene, mag ich die Arbeit. Arbeit ist wichtig“, sagt der 41-Jährige. Auch, weil sie ihn von seiner schwierigen Situation ablenkt: „Es kann jeden Tag passieren, dass ich wieder zurück muss.“ Seine Wünsche für die Zukunft sind bescheiden. „Stabilität, eine Familie, ein einfaches Leben.“ Im Team der rund 40 Mitarbeiter gefällt es Ahcene, es herrsche ein fast familiärer Zusammenhalt.

Leiterin Herbrik behandelt alle Bedürftigen gleich, egal ob Deutsche oder Flüchtlinge. „Menschen, die arm sind, haben keine Lobby. Die Politik darf sie nicht aus dem Blick verlieren“, warnt sie. „Ich würde mir wünschen, dass man Tafeln nicht mehr braucht. Aber das ist ein Wunsch, der nichts mit der Realität zu tun hat.“