Bislang hat die Polizei in Deutschland keine Handhabe gegen bloße Mitglieder der Mafia (Symbolbild). Foto: dpa

Nicola Gratteri fordert schärfere Gesetze: Bloße Mafia-Mitgliedschaft bislang nicht strafbar.

Stuttgart/Rottweil - Italiens Anti-Mafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri fordert schärfere Gesetze im Kampf gegen die Mafia in Deutschland. "Deutschland hat sehr gute Ermittlungsbehörden, aber es fehlen, wie in den meisten europäischen Ländern, die entsprechenden Anti- Mafia-Gesetze", sagte Gratteri dem SWR-Politikmagazin "Zur Sache Baden-Württemberg!" am Donnerstag. In Deutschland gebe es etwa nicht den Straftatbestand der Bildung einer mafiösen kriminellen Vereinigung. "Das liegt daran, dass man denkt, es gebe die Mafia in Deutschland nicht."

Freund von Günther Oettinger festgenommen

Anfang Januar hatte es eine internationale Razzia gegen die italienische Mafia-Organisation 'Ndrangheta gegeben. Die Polizei stellte dabei rund 170 Verdächtige - in Deutschland gab es in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen Festnahmen. In Italien wurde der Gastronom Mario L. festgenommen, der zwischen seiner Pizzeria bei Stuttgart und einer Ferienanlage in Kalabrien pendelt. Mitte der 90er-Jahre sorgte er als Duz-Freund des späteren Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) für Aufsehen. Der heutige EU-Kommissar zählte zu seinen Stammgästen.

"Die deutsche Politik sieht kein Problem in der Präsenz der Mafia", kritisierte Gratteri. "Wenn Mafia-Angehörige neben Hotels, Restaurants und Pizzerien auch Anteile von Zeitungen kaufen, Anteile an TV-Sendern, dann nehmen sie Einfluss auf die öffentliche Meinung, und das wird ein Problem", sagte er. "Die Mafia-Organisationen beteiligen sich auch an Wahlen und lassen wählen - nicht nur in Italien."

Kriminelle Machenschaften überall im Südwesten

Auch in Rottweil war ein bis zu seiner Festnahme beliebter und angesehener Gastronom ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten. Nach gemeinsamen Ermitttlungen mit der italienischen Guardia di Finanza hatten die Ermittler Placido A., der die Stadionsgaststätte in Rottweil und ein weiteres Restaurant in Schwenningen betrieb, als Kopf einer Bande von Drogen- und Waffenhändlern identifiziert.

Bei einer Razzia am 21. Juni 2017 wurden 17 Verdächtige verhaftet, 15 davon in in Deutschland, zwei in Italien. Zudem stieß die Polizei bei der Razzia auf große Mengen an Drogen und Bargeld, luxuriöse Autos und Villenanwesen sowie mehrere Waffen. Unter den Festgenommenen waren auch der Gastronom Placido A. und ein mutmaßlicher Komplize aus dem Raum Donaueschingen. Noch immer sitzen sie in Untersuchungshaft.

Sandro Mattioli, der Vorsitzende des Vereins „Mafia? Nein, danke!“, setzt sich ebenfalls für eine strafrechtliche Verfolgung der Mafia in Deutschland ein. Im Radioprogramm SWR Aktuell kritisierte er, dass die vier Verhaftungen von Mafia-Mitgliedern dieses Jahr viel zu wenige seien: „Wir haben natürlich sehr viel mehr Mafiaverdächtige in Baden-Württemberg. De facto habe ich mich gewundert, dass manche Leute nicht in dem Haftbefehl erwähnt sind, beziehungsweise festgenommen worden sind. Da gäbe es noch sehr viel zu tun.“

Experte: Geldwäsche verschafft Mafia großen Einfluss

Laut Mattioli sei der deutschen Politik die Mafia egal, wie es schon der Fall des Stuttgarter Gastronomen Mario L. gezeigt habe: „Es gibt ja auch genügend weitere Beispiele von Politikern und Politikerinnen, die durchaus bei mutmaßlichen Mafia-Gastwirten gegessen haben, obwohl sie sogar davor gewarnt worden sind. Also das Problem wird tatsächlich systematisch unterschätzt.“ Die Politik sollte härter gegen die Mafia-Machenschaften vorgehen, zum Beispiel die Mitgliedschaft in der Mafia in Deutschland strafbar machen. „Es müsste auch ein Bewusstsein dafür entstehen, dass Geldwäsche doch ein sehr viel gefährlicher Vorgang ist, als wir gemeinhin denken.“ Es gehe dabei um Investitionen in dreistelligen Millionenbeträgen und nicht nur um kleine Pizzas, die nicht auf der Rechnung auftauchten. Diese Verharmlosung müsse man wegbekommen: „Denn letztlich haben wir es hier mit einer hochkriminellen Gruppe zu tun, die es sich zu Nutze macht, dass sie nicht verfolgt wird, wenn sie unauffällig agiert.“

Wenn man koordiniert und verstärkt gegen die Mafia vorgehe, könne man schon mit den bestehenden Gesetzen viel erreichen, so Mattioli: „Dazu gehört aber ein politischer Wille und den erkenne ich in Baden-Württemberg kaum.“