Das Firmenlogo des Waffenherstellers Heckler & Koch in Oberndorf. Foto: Seeger

Waffentransporte in Unruheregionen verboten. Ex-Mitarbeiter von Heckler & Koch sollen sich daran nicht gehalten haben.

Oberndorf/Stuttgart - Rot beschmierte Gewehre liegen auf dem Boden vor dem Stuttgarter Landgericht, daneben weiße Laken – auch sie mit vermeintlichen Blutflecken. Das umgebende Absperrband zeigt: Hier wird ein Tatort inszeniert. So wie er täglich in Mexiko zu sehen ist – Waffen, Blut und Leichen.

Mahnwache vor Gericht

Im Fokus an diesem Morgen steht ein Detail der Szene: Die Waffen sind Modelle des Herstellers Heckler & Koch (HK). Zu diesem Zeitpunkt sind es noch sechs ehemalige Mitarbeiter der Oberndorfer Waffenschmiede aus dem Kreis Rottweil, die sich später im Gerichtssaal ihre Anklage anhören sollen.

Jürgen Grässlin, Friedensaktivist und Urheber der Strafanzeige gegen HK aus dem Jahr 2010, erklärt bei der Mahnwache mit rund 50 Demonstranten, dass sich von 17 ursprünglich angeklagten Personen nur noch sechs vor Gericht verantworten müssten. Dabei hätte die Anklagebank "mit 40 bis 50 Personen voll sein müssen", ruft er.

Schließlich leisteten seiner Meinung nach nicht nur HK-Mitarbeiter "Beihilfe zu schweren Menschenrechtsverletzungen" in Mexiko. "Die Spur führt weiter", ist er überzeugt, auch die Kontrollbehörden und die Bundesregierung seien für die illegalen Waffenexporte verantwortlich.

Waffenexport nach Mexiko

Die Hauptverhandlung beginnt indes mit einer Überraschung: Der langjährige Verkaufsrepräsentant von HK in Mexiko erscheint nicht. Sein Verteidiger hat ärztliche Atteste aus Mexiko dabei, die dem Angeklagten bescheinigen sollen, nicht reisefähig zu sein: Der Mann mit mexikanischer Staatbürgerschaft wohnt in Mexiko-City.

Der Vorsitzende Richter Frank Maurer trennt daraufhin den Prozess gegen den Deutsch-Mexikaner vom Hauptverfahren ab. Die Unruhe-Regionen sollen nicht genannt worden sein. Damit müssen sich in den folgenden mindestens 24 Verhandlungstagen zwei ehemalige HK-Geschäftsführer und drei Vertriebsmitarbeiter den Vorwürfen stellen, "gewerbs- und bandenmäßig" gegen das Waffenkontrollgesetz verstoßen zu haben.

Laut Staatsanwaltschaft organisierten die Angeklagten zwischen 2006 und 2009 den Export von Waffen und Zubehör in mexikanische Regionen, für die die Bundesregierung keine Genehmigungen erteilt.

Suche nach Verantwortlichen

Gesamtwert: mehr als vier Millionen Euro. Auf den Erklärungen über den geplanten "Endverbleib" der Waffen sollen diese Unruhe-Regionen aber nie genannt worden sein. Einer, den große Verfahren und gut besetzte Gerichtssäle nicht aus dem Konzept bringen, verliest an diesem Nachmittag seine Erklärung: Peter B., der frühere Präsident des Rottweiler Landgerichts.

Nach mehr als sieben Jahren im Amt war er Ende November 2005 in den Ruhestand getreten. Zunächst, um kurz darauf als leitender Angestellter bei HK einzusteigen. "Weil ich mir ein reines Rentnerdasein nicht vorstellen konnte, weil ich mich fit fühlte", sagt er ruhig und deutlich. Zunächst sei er für Öffentlichkeitsarbeit und den Kontakt zu Behörden zuständig gewesen. Peter B. bezeichnet sich als "Kurierdienst" für Informationen zwischen Behörden und HK, hatte Kontakt zu Bundeswirtschaftsministerium, Auswärtigem Amt, manchmal zum Kanzleramt, gelegentlich zum Verteidigungsministerium.

Was klingt hier an? Dass alle Bescheid wussten über die Verträge, auch in der hohen Politik? Mitangeklagt ist Peter B., weil er ab Juli 2007 Geschäftsführer war – und Ausfuhrverantwortlicher. "Die Geschäftsführerbestellung kam unerwartet und überraschend", sagt er. Denn wer für die Ausfuhren verantwortlich war, musste zugleich Geschäftsführer sein.

"Wegen der Dringlichkeit verfiel man wohl auf mich, da ich auch bei den Ministerien bekannt war."

Die Endverbleibserklärungen rücken in den Mittelpunkt. Wer also ist verantwortlich für den Ort, an dem die Waffen enden? Im Fall Mexiko erklärt Peter B., dass Besteller, Vertragspartner und Importeur der Zentralstaat sei – nicht etwa einzelne Bundesstaaten. Die ausschließliche Verfügungsgewalt sei auf die mexikanische Waffenbeschaffungsbehörde DCAM übergegangen.

"Was ist Inhalt der Genehmigungen?"

"Heckler & Koch hatte keine Zutrittserlaubnis für die Lager, konnte den Bestand nicht überprüfen." Soll heißen: HK hatte keinen Einfluss darauf, was danach mit den Waffen geschah.  Dass im Laufe des Verfahrens neben den früheren HK-Mitarbeitern wohl auch noch die Rolle deutscher Behörden unter die Lupe genommen wird, deutet Richter Maurer an: "Was ist Inhalt der Genehmigungen?", formuliert er als zentrale Frage des Prozesses.

Er verspricht, auf alle relevanten Facetten dieses "komplexen" Falls einzugehen. Peter B. verliest sachlich, seine Stimme bebt aber, als es um angeblich verbotene oder böse Bundesstaaten geht. "Es gab keine Verbotsstaaten, keine Richtlinien, die ein Verbot festgeschrieben hätten." Und weiter: "Es gab allenfalls genehmigungsrechtlich bedenkliche Staaten – und zwar aus der Sicht der Behörden." Peter B. fühlt sich angegriffen, sieht nichts Dubioses, nichts Gesetzeswidriges.

Was also wusste er von angeblich unerlaubten Lieferungen nach Mexiko? Er kann sich nur an einen Vorgang erinnern, "weil ich anlässlich eines Besuchs im Auswärtigen Amt auf eine Unstimmigkeit bei Mexiko-Anträgen hingewiesen wurde".

Er sei aber nur Übermittler gewesen. "Seriösität, Vertrauen und Zuverlässigkeit waren die obersten Gebote für Zusammenarbeit mit den Behörden, das einzige Kapital von Heckler & Koch." Er sei außer sich gewesen und habe zurück in Oberndorf seinem Unmut Luft gemacht.

Die Vorwürfe der Anklage weist er nach seiner eineinhalbstündigen Erklärung zurück.

"Es gab keine Verbotsliste für Staaten."

Auch angeklagt ist Marianne B., die bei HK im Anlagebau angestellt war. Doch jetzt sitzt sie auf der Anklagebank des Stuttgarter Landgerichts. Ihr Anwalt kündigt eine aufgeregte Mandantin an, sie ringt um Worte. Enttäuscht sei sie von ihrem einstigen Arbeitgeber. "Ich hatte definitiv nichts zu entscheiden", sagt sie über die Exporte und bestätigt die Aussage von Peter B.: "Es gab keine Verbotsliste für Staaten." Sie wehre sich vehement gegen die Anschuldigung.

Bis Ende Oktober wird verhandelt – mindestens. Die Angeklagten könnten am Ende für bis zu zehn Jahre ins Gefängnis gehen.