Ob Waschmaschine oder Waschmittel - die Stiftung Warentest hat's getestet Foto: ddp

Verbraucher vertrauen blind auf das Urteil der Stiftung Warentest. Zu Recht? Ein Besuch.

Stuttgart - Neue Produkte kommen schneller und komplexer auf den Markt, als Verbraucher sich darüber informieren können. Hilfe gibt es von Verbraucherschutzorganisationen wie der Stiftung Warentest. Bezweifelt wird die Objektivität der staatlich geförderten Institution dabei selten.

Haufenweise T-Shirts in Wäschekörben. Eine mehrstöckige Wand aus laut schleudernden Waschmaschinen. Waschmittelduft in der Luft. Was nach einem riesigen Waschsalon aussieht, lärmt und riecht, ist in Wirklichkeit ein Testlabor. International bekannt. Renommiert. Irgendwo in Süddeutschland. Der Name tut nichts zur Sache. Darf er nicht. Denn gewaschen wird in geheimer Mission. Auftraggeber: die Stiftung Warentest. Auftragsziel: die Welt vor minderwertigen Damen-T-Shirts zu schützen. Geheimagent: ein 46-jähriger Textilingenieur, der den Decknamen Jan Bonde bekommen soll.

Der Stiftung Warentest wird mehr vertraut als der Polizei

Über 200 Waren und Dienstleistungen verschiedener Anbieter vergleicht die Verbraucherschutzorganisation Stiftung Warentest jedes Jahr in Prüfinstituten auf der ganzen Welt. Ihr Anspruch: dem Verbraucher möglichst objektive Informationen zu liefern, damit er die richtige Kaufentscheidung treffen kann. Das klappt seit 46 Jahren ziemlich gut. 96 von 100 erwachsenen Deutschen wissen, wer die Stiftung Warentest ist und was sie tut. Laut einer Forsa-Umfrage schenken sie ihr mehr Vertrauen als der Polizei oder dem Roten Kreuz.

In Zeiten, in denen die Auswahl, Innovation und Komplexität von Produkten schneller wachsen als das Wissen der Verbraucher, ist das kein Wunder. "Die Überforderung hat die letzten Jahren ganz klar zugenommen, vor allem im Finanz- und Elektronikbereich", sagt Lucia Reisch, Professorin für interkulturelle Konsumforschung und Verbraucherpolitik an der Copenhagen Business School.

Abgesehen von modischen Details und dem Preis, auf dem Kleiderständer im Kaufhaus gleicht ein T-Shirt dem anderen. Auf Bondes Kleiderberg im Labor sehen dieselben T-Shirts überhaupt nicht mehr gleich aus. "Nach 20 Wäschen haben sich Farbe, Passform und Oberfläche verändert", sagt er. Manche könnte man noch tragen, andere taugen nur noch zum Putzlappen. Aber das sieht der Verbraucher nicht, wenn er im Geschäft vor dem Kleiderständer steht. Da sieht er nur schwarz.

Welche Produkte getestet werden, ist geheim

Dass der Textilingenieur die T-Shirts ausgerechnet zwanzigmal waschen und Personen zur Passformprüfung einbestellen soll, entscheidet nicht er. Nachdem die Stiftung Warentest über Marktanalysen herausgefunden hat, ob T-Shirts, Toaster oder Tankstellen eine Untersuchung wert sind, ruft sie einen Fachbeirat zusammen. Darin sitzen neutrale Sachverständige wie Professoren, Verbraucherschützer, aber auch Vertreter aus dem Unternehmensbereich, der getestet wird. "Die Einbeziehung der Produktanbieter ist weltweit einmalig", sagt Marie Luise Eul vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Auf den ersten Blick hat das ein Gschmäckle, ist aber Teil der Warentestphilosophie. Die möglichst objektiven Kriterien sollen innerhalb der Schnittmenge aus Verbrauchererwartungen und Marktmöglichkeiten liegen. "Die Unternehmen wissen am besten, wie hoch wir die Kriterien herstellungsbedingt ansetzen können", sagt Bonde. In T-Shirts gesprochen: Gibt es eine schwarze Farbe, die nach zwanzig Wäschen noch so schwarz ist wie zuvor?

Die Unternehmensvertreter im Fachbeirat wissen nicht, ob ihre Produkte überhaupt geprüft werden. "Die Auswahl der 15 bis 20 Produkte pro Test geschieht nach Verkaufshäufigkeit, Preissegment und Neuerungen auf dem Markt und ist geheim", sagt Renate Ehrnsperger, Textil-Expertin bei der Stiftung Warentest. Damit keine manipulierten Produkte in die Labore kommen, kaufen die Prüfer ganz wie normale Verbraucher im Handel ein. Anonym, versteht sich.

Schadensersatz musste die Stiftung Warentest noch nie zahlen

Für Jan Bonde haben sie rund 600 T-Shirts besorgt, mehrere Exemplare pro Produkt. Schließlich soll sich später kein Unternehmen damit herausreden können, dass ausgerechnet die überprüfte Ware aus einer fehlerhaften Charge stammte. Trotzdem haben Hunderte von Anwälten immer wieder versucht, nach der Veröffentlichung der Ergebnisse das von ihnen vertretene Unternehmen in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. "Schlechte Beurteilungen können für die Firmen eben desaströs sein", sagt Professorin Reisch. Sie denkt dabei an die Gesichtscreme der Schauspielerin Uschi Glas, die 2004 bei einigen Probanden Pickel im Gesicht sprießen ließ. Wie in bisher allen anderen Fällen, ging auch dieser vor Gericht zugunsten der Stiftung aus. Schadenersatz musste sie noch nie zahlen.

Aus Sorge ums Image beugen sich die meisten Unternehmen ohnehin schnell dem immensen öffentlichen Druck, den ein entsprechend negativer Test erzeugen kann. So führte die Deutsche Bahn 2003 nach harscher Kritik am reformierten Preissystem die Bahncard 50 wieder ein. Und nachdem Sicherheitsprobleme in Stadien im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ein riesiges Medienecho hervorgerufen hatten, wurden viele Stolperfallen beseitigt.

Lucia Reisch nennt die öffentlichen Debatten, die ein Ergebnis auslösen kann, den "Sekundäreffekt" der Stiftung Warentest. Darin liege ihr eigentliches Machtpotenzial. "Der Einfluss kommt weniger daher, dass die Verbraucher nach ihren Urteilen einkaufen, sondern von den Wirkungen der Urteile in den Markt hinein." Sind die Kunden sensibilisiert, beim Kauf von Kinderwagen auf Schadstoffe zu achten, machen sich auch Unternehmen, die nicht überprüft wurden, darüber Gedanken, wie ihre Produkte unter den geänderten Marktbedingungen bestehen können - ohne Schadstoffe.

Da ein schlechtes Resultat den Unternehmen zwar einen Umsatzrückgang von bis zu 30 Prozent bringen kann, ein gutes den Absatz aber auch um ein Viertel zu steigern vermag, schmücken sie sich gern mit Urteilen, die längst veraltet sind. "Wir verschicken etwa hundert Abmahnungen im Jahr wegen unlauterer Werbung", sagt Christian Fronczak vom Bundesverband der Verbraucherzentralen, der diese Aufgabe für die Stiftung Warentest übernimmt.

Verbraucher vertrauen der Stiftung Warentest

Bei all diesem rechtlichen Wirbel gewinnt man den Eindruck, ein Urteil der Stiftung Warentest sei allein verkaufsentscheidend, zumal die Verbraucher den Prüfern extrem hohe Glaubwürdigkeit attestieren und die Tests deswegen selten kritisch hinterfragen. Wirtschaftspsychologen wie der Schweizer Christian Fichter sehen den Einfluss differenzierter. "Bei den meisten Produkten des alltäglichen Bedarfs lassen wir uns weniger von der Ratio als vom Bauch leiten." Und bei teuren Anschaffungen wie einem Auto studieren Verbraucher vorab vielleicht Testberichte und Pannenstatistiken. Die Kaufentscheidung selbst bleibt aber eine subjektive, weil weitere, unvorhersehbare Faktoren eine Rolle spielen. Mal kommt als neuer Schlüsselreiz ein Sonderangebot hinzu, mal ein besonders sympathisch wirkender Verkäufer, mal einfach nur Zeitdruck. Selbst wenn sich Konsumenten vorab umfassend informieren, entscheiden sie sich vor Ort also weniger rational, als sie oft glauben.

Geheimagent Bonde hat vier Monate damit verbracht, T-Shirts zu waschen, in Schweißlösung zu tränken, auf Schadstoffe zu prüfen. Jetzt ist seine Mission beendet, sie liegt dokumentiert in einem dicken Ordner auf seinem Schreibtisch. Die charakteristischen Schulnoten von "sehr gut" bis "mangelhaft" , die später als grau-rot-weißes Viereck auf den Produkten prangen, sucht man zwischen all den Tabellen vergebens. "Die Benotung ist Sache der Stiftung, genauso wie die redaktionelle Aufbereitung für die Hefte", sagt Bonde.

Mehr als 80.000 Produkte haben die Warentester unter die Lupe genommen

Zwischen 30.000 und 100.000 Euro lässt sich die Stiftung Warentest den Aufwand kosten, der hinter jedem Bewertung steckt. Über 80.000 Produkte und mehr als 1600 Dienstleistungen wurden seit der Gründung unter die Lupe genommen. Die Warentester können sich das nur leisten, weil sie vom Staat bezuschusst werden. Nur so können die Testhefte werbefrei erscheinen - und sind damit zumindest wirtschaftlich vermeintlich unabhängiger als die des Konkurrenten "Öko-Test", der auf Anzeigen angewiesen ist. Jürgen Stellpflug, Chefredakteur bei "Öko-Test", sagt dazu lapidar: "Würden wir Rücksicht auf unsere Anzeigenkunden nehmen, würden wir unser größtes und einziges Kapital verspielen: das Vertrauen der Leser."

Auch die Stiftung Warentest weiß um die Kritik an ihren Abhängigkeiten, in ihrem Fall um die politischen. So wurde im Dezember 2009 nach jahrelanger Diskussion das Stiftungskapital so weit erhöht, dass die Verzinsung in den nächsten Jahren die jährlichen staatlichen Zuschüsse ablösen soll.

Vollkommen neutrale und unabhängige Tests werden wohl Utopie bleiben. Aber der Verbraucher ist schon froh, dass es im unübersichtlichen Produktdschungel aus Handyverträgen, Altersvorsorgeangeboten und ja auch T-Shirts überhaupt einen kleinen Kompass gibt. Auch wenn wir am Ende dann doch wieder nach dem T-Shirt greifen, das uns am besten steht. Ganz subjektiv natürlich.