Christian L. und Michaela Berrin T. werden in den Saal des Landgerichts Freiburg geführt. Foto: Ralf Deckert

Angeklagte im Staufener Missbrauchsfall sollen menschenverachtende Brutalität gezeigt haben. Mit Kommentar

Staufen/Freiburg - Das Grauen benötigt 108 Seiten Papier und dreieinhalb Stunden, bis es verlesen ist: In Freiburg hat der Prozess gegen die beiden Haupttäter im Staufener Missbrauchsfall, Michaela Berrin T. (47) und Christian L. (39) begonnen. Die Anklage gegen das Horror-Paar aus dem Markgräflerland umfasst 58 Punkte und kommt einem Blick durch ein Fenster in die Hölle gleich.

Vielen Anwesenden im vollbesetzten Saal 4 des Freiburger Landgericht verschlägt fast den Atem, was sie abwechselnd von Staatsanwältin Nikola Novak und ihrer jungen Kollegin Sabrina Haberstroh zu hören bekommen: Die Grausamkeiten, die T. und L. am mittlerweile neun Jahre alten Sohn der Frau wieder und wieder begangen und per Video dokumentiert haben, übersteigen die Grenzen dessen, was Menschen selbst in einem Gerichtssaal normalerweise zu hören bekommen.

Die beiden Angeklagten stehen als Paar vor Gericht, das äußerlich kaum unterschiedlicher sein könnte: Während Christian L. fast den Eindruck vermittelt, als genieße er die Bühne, die der Gerichtssaal ihm bietet, und ab und an den Blickkontakt mit dem Publikum im Saal sucht, wirkt seine knapp zehn Jahre ältere Partnerin eher in sich gekehrt und fast teilnahmslos. L. erscheint als Mann, dem Eitelkeit nicht fremd und modische Klamotten wichtig sind. T. hingegen macht einen fast schon verwahrlosten äußeren Eindruck, als sie mit gesenktem Kopf in den Verhandlungssaal geführt wird.

Das Kind sei durch Drohungen gefügig gemacht worden

Um den Jahreswechsel 2014/2015 soll sich das Paar in den Räumen der "Tafel" in Staufen (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) kennengelernt haben. Der einschlägig vorbestrafte Pädophile L. machte gegenüber seiner neuen Freundin keinen Hehl aus seinen Neigungen, weshalb sie ihm den Missbrauch der damals drei Jahre alten Tochter einer Freundin ermöglichte und dabei auch mitmachte. Das entwicklungsverzögerte Mädchen, führte Staatsanwältin Nikola Novak gestern in ihrer Anklage aus, leidet bis heute als Folge der Übergriffe an Verhaltensauffälligkeiten. Von einer Erzieherin damit konfrontiert, habe Michaela Berrin T. schon damals jeden Verdacht des Missbrauchs des Mädchens weit von sich gewiesen.

In der Wohnung der Frau, die damals im Stadtteil Tunsel in Bad Krozingen (KreisBreisgau-Hochschwarzwald) lebte, kam es jedoch alsbald auch zum Missbrauch des Sohns der Angeklagten. Mehrere Wohnungswechsel folgten, bis T. und L. schließlich in Staufen landeten. Christian L. stand damals aufgrund seiner Vorstrafen wegen Kindesmissbrauchs unter Führungsaufsicht und hätte eigentlich keinen Kontakt zu Kindern haben dürfen. Als die Behörden auf das Thema aufmerksam wurden und den Sohn von Michaela Berrin T. im März 2017 sogar in eine Pflegefamilie gaben, warf sich T. vehement dafür in die Bresche, dass das Kind wieder zu ihr kommen solle. Dem Amtsgericht Staufen log sie vor, dass Christian L. nie alleine mit ihrem Sohn sei; ein Urteil von damals gegen L. wegen Verstößen gegen die Führungsaufsicht ist bis heute nicht rechtskräftig geworden.

Bis Mitte September 2017 konnte das Martyrium des Kindes so fortgesetzt werden. Verhaftet wurde das Paar, als es sich mit einem weiteren Mann treffen wollte, der den Sohn der Frau missbrauchen sollte. Dieser Mann war aber der anonyme Hinweisgeber, der die Ermittler auf die Spur der Angeklagten brachte und mit seiner Anzeige die Verhaftung der beiden ermöglichte.

Weitere Täter kamen über das Internet dazu

Das Kind sei durch Drohungen gefügig gemacht worden, als nach den Übergriffen durch die Mutter und ihren Partner später auch weitere Täter über das Internet dazukamen. Zum ersten Mal soll L. den Jungen am 21. Mai 2015 vergewaltigt haben. Das Kind war damals sechs Jahre alt. Zahllose Taten folgten: Mal verging sich die Mutter mithilfe eines Vibrators an ihrem Sohn, dann wieder wurde er an einen Bauwagen gefesselt, wo sich Christian L. an ihm verging.

"Bitterlich geweint" habe das Kind, heißt es in der vor Grausamkeiten strotzenden Anklageschrift. Über seine Gegenwehr habe man sich immer mit Gewalt hinweggesetzt und den Jungen entweder festgehalten oder gefesselt. Erniedrigungen und endlose Beleidigungen gingen mit den Vergewaltigungen Hand in Hand, verkündet die Anklage weiter.

Einer der Täter unterstellte dem Jungen in einem der Videos, die von den Übergriffen gemacht wurden, dass ihm das doch sicher alles gut gefalle. Die Antwort des Kindes war eindeutig und lautete"»eigentlich nicht", aber er müsse das eben immer wieder tun. Mal daheim, dann wieder unter freiem Himmel oder in Ferienwohnungen, die eigens angemietet wurden. Hier wurde der Junge von einem Mann aus Spanien missbraucht, der sich laut Anklage 15 Mal an dem Kind vergangen hat und dafür weit über 10.000 Euro und weitere Sachwerte bis hin zu gemeinsamen Besuchen im Europa-Park in Rust (Ortenaukreis) bezahlt haben soll. Der Mann habe sich als "italienischer Kinderarzt mit Wohnsitz in Belgien" ausgegeben und angeboten, der Familie auch langfristig finanziell für den Missbrauch des Jungen zu unterstützen. Sein Prozess steht noch aus.

Daniel V. steht in Karlsruhe unter Vorwurf der Tötungsabsicht

Zugleich begonnen hat gestern in Karlsruhe das Verfahren gegen den 44 Jahre alten Mehrfachtäter Daniel V. aus Schleswig-Holstein, der vorgehabt haben soll, den Jungen aus Staufen nicht nur zu missbrauchen, sondern auch zu töten. Er ging der Polizei nach der Verhaftung von Christian L. in die Falle, da die Ermittler sich über die Internetidentität von L. mit ihm in Karlsruhe verabredeten. Gegen den Mann wurde gestern teilweise nicht öffentlich verhandelt.

Auch Michaela Berrin T. stellte gestern über ihren Anwalt Matthias Wagner, demzufolge seine Mandantin selbst Missbrauchsopfer war, ein nichtöffentliches Geständnis in Aussicht. Christian L. hingegen bestätigte seine Täterschaft öffentlich und gab an, als Kind selbst missbraucht worden zu sein. Sein Vater sei der Vergewaltiger seiner Mutter gewesen. Michaela Berrin T. sei zur Täterin geworden, weil er sie dazu erpresst habe.

Kommende Woche geht der Prozess weiter, das Urteil soll Mitte Juli ergehen. Die Staatsanwaltschaft hat für beide Angeklagte bereits eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach Verbüßung ihrer Haft beantragt.

Kommentar: Unvorstellbar

Von Ralf Deckert

Für das, was Michaela Berrin T. und Christian L. dem heute neun Jahre alten Sohn der 48-jährigen Tatverdächtigen im Staufener Missbrauchsfall angetan haben, gibt es kaum Worte. Zu grausam, brutal und menschenverachtend sind die Taten, die aufgrund zahlloser Beweisvideos unstrittig sind.

Dass beide nun sagen, als Kinder selbst Opfer sexueller Gewalt gewesen zu sein, mag stimmen oder lediglich eine Schutzbehauptung sein. Es ist angesichts der systematischen, mit größter krimineller Energie begangenen Delikte an dem Jungen eh nicht entscheidend: Niemand hat die Mutter und ihren Freund genötigt, mögliches Leid, das ihnen widerfahren sein mag, an einen unschuldigen Dritten weiter zu geben.

Man kann nur hoffen, dass der Sohn der Angeklagten sich von diesem Erbe befreien und ein glückliches Leben trotz seiner schrecklichen Missbrauchserfahrungen leben kann. Und dass seine Mutter und ihr Freund keine Chance mehr erhalten, weitere Kinder zu quälen.