Macht sich als neuer Städtetagspräsident für die Kommunen stark: Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon. Foto: dpa

Das Land muss die Kommunen bei der Modernisierung der Schulen unterstützen, fordert Städtetagspräsident Dieter Salomon. Digitalisierung bedeute mehr, als Laptops anzuschaffen.

Stuttgart - Er macht sich als neuer Städtetagspräsident für die Kommunen stark: Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon. Im Interview fordert er, unter anderem dass die Kommunen die Modernisierung der Schulen unterstützen.

Herr Salomon, mit Ihnen steht in Baden-Württemberg erstmals ein Grünen-Politiker an der Spitze des Städtetags. Erleichtert das die Verhandlungen mit dem grünen Ministerpräsidenten oder der grünen Finanzministerin?
Entscheidend ist, dass beide Seiten wissen, welche Rolle sie spielen. Als Städtetagspräsident vertrete ich in erster Linie die Interessen der Städte und muss nicht automatisch die Landesregierung in allen Fällen loben und unterstützen.
Der Landtag hat soeben den Haushalt 2017 verabschiedet, 10,1 Milliarden Euro gehen an die Kommunen. Dennoch sind diese nicht zufrieden. Schwimmen Sie nicht im Geld?
Das glauben leider einige in der Landesregierung und verweisen darauf, dass in keinem anderen Bundesland die Kommunen so viel von der Gesamtsteuer erhalten wie hier – nämlich 23 Prozent. Aber da vergleicht man Äpfel mit Birnen: in vielen Ländern gibt es weniger Direktzuwendungen, aber dafür viel mehr indirekte Zuschüsse.

Wo den Kommunen der Schuh drückt

Wo drückt die Kommunen derzeit am meisten der Schuh?
Wir haben Aufgabentrennungen aus den 60er Jahren, die nicht mehr stimmen – etwa bei den Schulen. Dazu kommen viele neue Aufgaben, bei denen wir nicht ausreichend unterstützt werden.
Sie sprechen von den Flüchtlingen…
Mit der grün-roten Vorgängerregierung hatten wir vereinbart, dass wir 100 Prozent der Kosten für die vorläufige Unterbringung erstattet bekommen. Das war gut. Bei der Anschlussunterbringung gibt es nun mit Grün-Schwarz leider einen Systemwechsel. Der Bund erstattet uns die Unterbringung und die Lebenshaltungskosten. Das Land glaubt, dass man uns mit Programmen für Integration und Sprachkursen abspeisen kann. Von den 260 Millionen, die der Bund Baden-Württemberg 2017 und 2018 zusätzlich für die Integration zur Verfügung stellt, erhalten die Kommunen nur einen Teil – 90 Millionen für Pro-Kopf-Zuweisungen und 70 Millionen über Programme. Die anderen 100 Millionen wandern in den Landesetat. Und gleichzeitig entnimmt das Land auch noch 250 Millionen vorab aus unserer Kasse, um den Haushalt zu sanieren.
Was bedeutet das für eine Stadt wie Freiburg?
Allein in Freiburg kostet uns die Integration 16 Millionen Euro – unter anderem für Sozialarbeiter, Hausmeister und Sicherheitsdienste – vom Land bekommen wir am Ende drei Millionen. Das reicht bei weitem nicht aus. Ähnlich ist es beim Thema Digitalisierung an den Schulen. Es ist nicht damit getan die Schüler mit Laptops auszustatten. Um WLAN ins Klassenzimmer zu bringen, müssen zum Beispiel Wände aufgeschlitzt werden – das kostet Geld. Wenn nach den neuen Bildungsplänen die Schüler digital lernen und arbeiten sollen, muss sich das Land auch daran beteiligen.
Landeszuschüsse gibt es ja eigentlich nur für Neubauten, nicht für Sanierung und Modernisierung…
Und genau das muss sich ändern. In Freiburg haben wir in den vergangenen zwölf Jahren schon 300 Millionen Euro ausgegeben und die Hälfte der Schulen saniert – wir brauchen noch einmal so viel für die andere Hälfte. Aus dem neuen Sonderprogramm des Landes stehen uns gerade einmal 640 000 Euro jährlich zur Verfügung. Landeszuschüsse brauchen wir aber auch für neue Straßenbahnen – die Zuschüsse wurden vor einigen Jahren gestrichen. Die großen Städte haben riesigen Nachholbedarf von über 100 Millionen Euro im Jahr. Die 20 Millionen aus dem Sonderprogramm können nur ein erster Schritt sein. Die Kommunen haben viele Probleme, die das Land nicht sehen will.
Viele Landespolitiker waren mal Kommunalpolitiker…
Als ehemalige Schulbürgermeisterin von Stuttgart und Vorsitzende im Schulausschuss des Städtetags kennt Kultusministerin Susanne Eisenmann die Situation vor Ort ganz genau, aber in ihrer jetzigen Funktion schreibt sie mir die gleichen Briefe wie ihr Vorgänger. Die Landesregierung ordnet alles der Schuldenbremse unter.
Schaffen Sie es denn, mit der von der Wirtschaftsministerin eingesetzten Wohnraumallianz mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?
Viele Länder, auch Baden-Württemberg, haben nach der Föderalismusreform 2006 zu wenig in den sozialen Wohnungsbau investiert. Seit letztem Sommer arbeiten die Teilnehmer des runden Tisches, aber wir brauchen endlich ein Programm, das Anreize setzt, damit wir Mittel des Bundes abrufen können.

Bei der Videoüberwachung stehen Grundrechte im Konflikt

Der Deutsche Städtetag hat bei seiner jüngsten Sitzung in Osnabrück gefordert, die Videoüberwachung auszubauen. Wie stehen Sie als Grüner dazu?
Da stehen zwei Grundrechte im Konflikt zueinander – Freiheit ohne Sicherheit ist Anarchie, Sicherheit ohne Freiheit Diktatur. Als Oberbürgermeister einer Stadt, in der das Sicherheitsempfinden durch den Mord an eine jungen Frau im vergangenen Herbst erheblich gelitten hat, sehe ich, dass wir handeln müssen, damit sich Frauen und auch Männer weiter frei und ungezwungen bewegen können. Auch durch die terroristischen Attentate und die Diskussion um die Zuwanderung gibt es eine Grundverunsicherung in der Bevölkerung. Ich denke nach wie vor, dass für das Sicherheitsempfinden in erster Linie das Land zuständig ist. Seit zehn Jahren kämpfe ich um mehr Polizei in Freiburg, und ich habe den Eindruck, dass die Botschaft endlich in Stuttgart angekommen ist und dass wir jetzt erstmals eine gemeinsame Sicherheitspartnerschaft zwischen Stadt und Land hinbekommen.
Auch das Thema Feinstaub plagt viele Städte – tun sie genug dagegen?
Schon vor zehn Jahren hatte ich den Eindruck, dass man ein Problem bei den Kommunen und Bürgermeistern ablädt, statt in Europa strengere Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid für alle Fahrzeuge einzuführen. Wir brauchen dringend die blaue Plakette. Wenn Bundesverkehrsminister Dobrindt sie aus ideologischen Gründen ablehnt, haben wir kaum Spielraum. Wir benötigen aber auch Geld für den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs: für neue Fahrzeuge, einen besseren Takt, attraktivere tarifliche Angebote, Werbung – das erfordert einen langen Atem.
In den vergangenen Wochen gab es viel Wirbel, weil die Landtagsabgeordneten ihre Altersversorgung verbessern wollten. Was dachten Sie als ehemaliger Grünen-Fraktionschef?
Die Fraktionen von Grünen, CDU und SPD haben sich ja zum Glück korrigiert. Ein solches Thema in zwei Tagen durchpeitschen zu wollen – dass das nicht gutgehen kann, hätte man sich denken können.