Foto: © hanohiki – stock.adobe.com Foto: Schwarzwälder Bote

Ein Ehepaar kämpft sich für einen Schwerbehindertenausweis von Instanz zu Instanz / Einspruchliegt drei Monate beim falschen Sozialgericht

Ein St. Georgener Ehepaar kämpft darum, dass die Frau einen Schwerbehindertenausweis mit Parkberechtigung bekommt. Erst Jahre später erhält sie die Zusage – als sie kaum noch aus dem Haus kommt. Ihr Mann übt nun scharfe Kritik an den Behörden.

St. Georgen. Paul Müller* sitzt an einem dunklen Holztisch in seinem Haus in St. Georgen. Mehrere Aktenordner und kleine Berge offizieller Bescheide stapeln sich vor ihm. Die vielen Dokumente zeugen von dem langen Kampf, den der Senior hinter sich hat – mit Landratsämtern, Regierungspräsidien und Gerichten. Im Plural, wohl gemerkt. Denn sein Fall machte selbst vor Zuständigkeitsgrenzen nicht halt.

Müller öffnet seine Brieftasche, holt das "Corpus Delicti" heraus: der Schwerbehindertenausweis seiner Frau. Um das kleine Stück Plastik zu erhalten, musste er viel Zeit und Kraft investieren. "Es geht mir nicht mehr um den Ausweis", sagt Müller. Vielmehr wolle er mit seiner Geschichte zeigen, wie die Bürger seiner Meinung nach der Willkür von Behörden ausgesetzt sind. "Ich habe erreicht, was es zu erreichen gibt. Aber es war ein steiniger Weg."

Um seine Geschichte zu erzählen, muss Müller weit zurückgreifen. Langsam schlägt er die Aktenordner auf, in denen penibel alles abgeheftet ist. "Ein paar weitere sind im Obergeschoss", sagt er, lächelt müde – und holt das erste Dokument heraus.

Seit mindestens 20 Jahren sei seine Frau gesundheitlich angeschlagen, unter anderem leidet sie an einer Herzerkrankung. Als die Probleme stärker wurden, entschloss sich Müller, einen entsprechenden Antrag für einen Schwerbehindertenausweis zu stellen.

Besonders wichtig sei ihm bei seinem Antrag die Nutzung der entsprechenden Parkplätze gewesen, da seine Frau nur noch wenige Meter laufen konnte, ohne akute Atemnot zu bekommen. Hinzu kam, dass sie Schmerzen beim Gehen hatte, die nur mit starken Medikamenten zu ertragen waren.

Als er sich 2016 zu diesem Schritt entschied, so seine Erzählungen, dauerte allein die Zustellung des Antrags einen Monat. "Dann fiel der eingereichte Antrag acht Monate in einen Dornröschenschlaf", erklärt der Senior. Die späte Rückmeldung sei umso unbefriedigender gewesen, als das für die Prüfung weitere Krankenhausberichte angefordert wurden. Im Mai 2017 erklärte das Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis, dass der Grad der Behinderung – kurz GdB – auf 30 festgelegt wird. Zu wenig für einen Ausweis, geschweige denn für eine Parkerlaubnis.

"Ich habe dann Einspruch eingelegt", erinnert sich Müller zurück. Auf das Nachhaken hin wurde der GdB auf 50 erhöht. Doch es sollte nicht der letzte Widerspruch bleiben. Zwar gab es nun einen Ausweis, doch partout wollte das Amt das Merkzeichen "aG", das für außergewöhnlich gehbehindert gilt, nicht vergeben. Den Müllers blieb die Nutzung der Behindertenparkplätze weiter verwehrt.

Es folgten Auseinandersetzungen mit dem Landesversorgungsamt in Baden-Württemberg und dem Sozialgericht in Freiburg. Letzteres behielt den Fall für drei Monate, um dann im Dezember 2017 festzustellen, dass für die Müllers das Sozialgericht in Reutlingen zuständig ist.

"Das lag da drei Monate. Drei ganze Monate", betont der St. Georgener voller Entsetzen. Er zieht das letzte Dokument aus dem Stapel, ein Bescheid des örtlichen Landratsamtes, das ihn eigentlich an sein gewünschtes Ziel bringt und doch "für ihn die Farce des Ganzen perfekt macht": Im Juni 2018 wurde mit diesem Schreiben anerkannt, dass Müllers Frau eigentlich einen GdB von 90 hat – und zwar bereits seit dem 1. April 2017.

In der Begründung heißt es, dass Attesten aus dieser Zeit eine "ausgeprägte Mobilitätseinschränkung" entnommen werden könne. "Jetzt probieren Sie mal, rückwirkend auf einem Schwerbehindertenparkplatz zu parken", kommentiert Müller das Urteil.

Als die Müllers vor einem Jahr die rückwirkende Bestätigung erhielten, war es eigentlich längst zu spät. Für seine Frau war mittlerweile jeder Gang eine Qual, nach draußen kamen sie nur noch selten. "Wir haben so gut wie nichts mehr davon", schließt er und zeigt auf den Ausweis.

Auf Nachfrage unserer Zeitung beruft sich das Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis auf den Datenschutz. Man äußere sich nicht "zu Vorgängen Dritte betreffend".

Die Vergangenheit lasse sich nicht mehr ändern, doch eine Entschuldigung von den Behörden hätte er sich gewünscht, so Müller. Eine Wiedergutmachung für verlorene Lebenszeit. Stattdessen folgte das nächste Problem: Die Erstattung der Kosten, die dem St. Georgener durch den jahrelangen Rechtsstreit entstanden.

Die liegen zwar bei weniger als 100 Euro, weil sich Müller stets ohne Anwälte um das Anliegen kümmerte – doch drei weitere Schreiben sind nötig, damit er von rund 75 Euro gerade einmal 36 Euro zurückerhält. Der Rest könne nicht erstattet werden, das gäbe das Gesetz nicht her.

Müller gibt schließlich auf. Als er seine Geschichte zu Ende erzählt, den letzten Aktenordner zugeschlagen hat, wird es kurz still. Müller blickt mit einem Spur von Resignation auf die Dokumentenflut vor sich auf dem Tisch. "Es geht hier nicht um die paar Euro", sagt er dann. Und zitiert den ersten Artikel des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Müller zuckt mit den Schultern: "Die Frage ist doch, ob man so mit einem behinderten Menschen umgehen sollte. Und was das noch mit Würde zu tun hat."

*Name von der Redaktion geändert