Er geht stramm auf die 80 zu: Ernst Ulrich von Weizsäcker bei seinem Besuch am Thomas-Strittmatter-Gymnasium. Foto: Schwarzwälder Bote

Bildung: Ernst Ulrich von Weizsäcker diskutiert mit Schülern über sein Buch / Balance wichtige Aufgabe

St. Georgen. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Co-Präsident  des  Club  of Rome International,  ist  ein weltweit  bekannter  Vordenker der Vereinigung. Er kam nun an die Club of Rome-Schule der Bergstadt, das Thomas-Strittmatter-Gymnasium (TSG), um dort unter anderem über sein neuestes Buch "Wir sind dran" zu sprechen.

"Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen" fasst in einem Satz zusammen, dass Vieles in der heutigen Welt nicht mehr stimmt – und auch darüber macht sich Autor Ernst Ulrich von Weizsäcker mit seinen Co-Schreibern intensive Gedanken. Gedanken, die nicht jedem gefallen und die um eine "neue Aufklärung für eine volle Welt" kreisen.

Denn, so behauptet von Weizsäcker, bis etwa zum Jahr 1950 habe man eine leere Welt erfahren, von da an habe sie sich gefüllt und sei heute zum Bersten voll.

Zur leeren Welt davor gehörten beispielsweise sämtliche Religionen, die Instinkte, die Archetypen, die Sprachen der Welt, die europäische Aufklärung, die Raubbau-Ökonomie, Bevölkerungsvermehrung, die Wachstumsvergötterung – alles meist nicht sehr nachhaltig.

67 Prozent warten auf die Schlachtbank

Tenor: Wenn du in einer leeren Welt bist und mehr Fische willst, brauchst du mehr Boote, mehr Fischer, mehr Netze – in der vollen dagegen Schutzzonen mit Fangverboten und Fischfarmen. Die volle Welt nennen Vordenker Anthropozän, also menschgemachtes Zeitalter. In dieser leben neben vom Gesamtkörpergewicht her 67 Prozent der Wirbeltiere als Schlachttiere. Nur drei Prozent seien Wildtiere.

Am Beispiel von 2018 mit Überschwemmungen neben Dürre und Waldbränden deutete Ernst Ulrich von Weizsäcker das Klimadesaster an. Noch bedrohlicher sei der Meeresanstieg durch das Abschmelzen der Pole – vor etwa 7700 Jahren sei das als Sintflut bekannt gewesen.

Das Klimaabkommen von Paris werde durch Überlegungen der Politik geschwächt oder gar ad absurdum geführt, denn die Kosten sollen durch "viel mehr Wachstum" finanziert werden, ein falscher Ansatz laut von Weizsäcker, da Wachstum direkt mit CO 2-Ausstoß einhergehe. "Die Wahrheit ist unbequem, Lügen bequem", stellte er fest. So schwäche eine Bevölkerungszunahme die Entwicklung. Die Enzyklika "Laudato Si" von Papst Franziskus nenne die Gefahren für die Schöpfung, im Kern seien das die auf Geiz, Eile und Zerschmettern ausgerichtete Wirtschaft.

Denker wie Darwin werden fehlinterpretiert

Völlig fehlinterpretiert würden die großen Denker Adam Smith, David Ricardo und – Charles Darwin. Für Smith sei klar gewesen, dass die Reichweite des Marktes identisch sei mit der des Gesetzes, der Moral. Heute seien die Gesetze lokal, der Markt aber global und daher brutal, gesetzlos und zerstörerisch. Das Kapital bei Ricardo war ortsfest, heute rase es im Wahnsinnstempo um die Welt und regiere alle Märkte. Für Darwin war der Wettbewerb lokal.

Daher plädiert er in seinem Buch für eine neue Aufklärung. Dabei müsse die "Analytische Philosophie" zurückgedrängt werden. In der neuen Aufklärung werde Balance zu einem wichtigen Prinzip. Die Balance zwischen Mensch und Natur, Kurz- und Langfrist, Staat und Markt. Erschütternd sei die Disruptive (zerschmetternde) Innovation. Völlig falsch sei es, dass immer der Schnellste und Günstigste gewinne. Positiv sei die deutsche Energiewende, die mittlerweile bereits viele Nachahmer habe. Schlecht seien Exportsubventionen in der Landwirtschaft.

Eingebettet war der Vortrag in den Eine-Welt-Tag. An diesem Tage spiele die Nachhaltigkeits-Agenda der Uno eine zentrale Rolle, so von Weizsäcker. Dabei hätten sich Nord und Süd zusammengerauft und die 17 Ziele verabschiedet.

Dabei geht der einstige Politiker mit diesen Umweltzielen recht hart ins Gericht – sie würden sich zum Teil diametral widersprechen. "Das übliche Muster: Der Süden pocht auf Entwicklung, also Wachstum, der Norden plädiert dabei auf Nachhaltigkeit." Daher sei diese Agenda ein Kompromiss.

Umgang mit endlichen Ressourcen schwierig

Mit der sogenannten Elefantenkurve bewies Weizsäcker, dass die Vorgabe "armer Süden, reicher Norden" so längst nicht mehr stimme. Von 1988 bis 2008 und danach gab es im Süden vor allem Zuwächse und so manchen Verlierer im Norden. Die wirklichen Gewinner aber seien die Finanzhaie. Auch im Club-of-Rome-Bericht gehe es um Nachhaltigkeit – aber ehrgeizig.

"Unsere Welt ist in einem beängstigenden Zustand, geprägt von Herausforderungen im Umgang mit endlichen Ressourcen. Wie gehen wir damit um? Was müssen wir ändern, wenn wir bleiben wollen?", fragte er.

Der Co-Präsident des Club of Rome stellte sich mit seinen Thesen im Interview mit Florian Schuhbau und Florent Dalipi im Anschluss den Fragen der TSG-Schüler.

Einen würdigen Rahmen erhielt dieser Abend durch musikalische Beiträge des TSG-Profilorchesters und der Jazz-Crew des Thomas-Strittmatter-Gymnasiums. Für das leibliche Wohl sorgen nachhaltig das Café Bohnenheld mit der zwischenzeitlich schulübergreifenden Eine-Welt-AG und Schülern.