Sternekoch Tim Raue in seinem gleichnamigen Restaurant in Berlin-Kreuzberg. Foto: dpa

Spitzenkoch Raue sagt, dass durch Auszeichnung des "Guide Michelin" Aufmerksamkeit zunimmt.

Sterne am Firmament interessieren ihn nicht sonderlich. Für den Berliner Spitzenkoch Tim Raue sind Sterne stattdessen ein Gradmesser für sein Können. Und eine Verpflichtung.

Herr Raue, was bedeutet für Sie ein Stern?
Zunächst mal bietet die Kategorisierung einen internationalen Standard. Egal, ob ich in den USA, in Japan, China oder Italien bin: Als Reisender, als Gast weiß ich sofort, was mich erwartet. Hat ein Lokal einen Stern, ist es sehr gut bis hervorragend. Bei zwei Sternen ist das Lokal einen Umweg wert. Und bei drei Sternen lohnt es sich gar, extra wegen des Restaurants hinzufahren.

Und für Sie als Koch? Geht es dabei um die Ehre? Oder um Handfestes wie Geld?
Man muss die Auszeichnung erst mal bekommen. Der Weg dahin ist eine Mischung aus Handwerk und Hochleistungssport. Für mich selbst zeigen Sterne, nach denen ich natürlich strebe, welche Form der Qualität und Perfektion wir tagtäglich in unserem Restaurant auf den Teller bringen. Der Stern ist für mich somit ein Gradmesser - und zwar dafür, wie gut wir sind.

Sie hätten im November gern einen zweiten Stern bekommen. Waren Sie enttäuscht, als er Ihnen verweigert wurde?
Mein Team war schon etwas angefressen, dass es nicht geklappt hat. Wir haben uns dann aber gleich gefragt, woran es gelegen haben könnte - und vor allem, wo wir etwas verbessern können.

Können Sie mit Kritik gut umgehen?
Ich bin ja nicht kritisiert worden. Die Tester des "Gault Millau", sprich von der Konkurrenz des "Guide Michelin", bewerten mein Lokal mit 19 von möglichen 20 Punkten. Das gilt als Weltklasse. Und das Magazin "Der Feinschmecker" hat mich als Koch des Jahres 2011 ausgezeichnet. Ich kann mich also überhaupt nicht beklagen. Doch wenn Kritik kommt, regt mich das immer zum Nachdenken an.

Die Tester bleiben anonym. Merken Sie dennoch, wenn einer in Ihrem Lokal sitzt?
Ich habe noch nie einen erkannt. Darüber mache ich mir auch keine Gedanken. Jeder Teller, der rausgeht, muss perfekt sein. Da ist es egal, ob draußen ein Popstar sitzt, der Gastrokritiker oder die eigene Oma. Man muss die Sterne auch als Verpflichtung sehen. Die Gäste kommen schließlich mit sehr hohen Erwartungen zu uns. Die darf und will ich nicht enttäuschen. Und mit jedem Stern, den ein Lokal hat, steigen die Ansprüche der Gäste.

Oft steigt damit auch der Preis.
Das stimmt nicht wirklich. Es gibt in Deutschland natürlich Restaurants, die die 200-Euro-Marge überschritten haben. Im mit drei Sternen dekorierten Lokal meines Freundes Klaus Erfort in Saarbrücken gibt es Hauptgerichte, die günstiger sind als bei mir, obwohl ich nur einen Stern habe. Und in Hongkong kann man für einen Bruchteil des Geldes, das man hier zahlt, in Sternelokalen essen. In Tokio wiederum habe ich teilweise exorbitante Preise bezahlt.

Die Preisgestaltung hängt somit auch vom Standort ab.
Ja, sicher. Man muss die Mietkosten einrechnen, das Personal, die Ausstattung, die Energiekosten, die Preise für hochwertige Lebensmittel. All diese Posten variieren je nach Region und Land. Und das schlägt sich auch in den Preisen der Menüs nieder.

"Das kann einem wohl nur im Schwabenland passieren"

So mancher schüttelt den Kopf darüber, dass man für ein Menü Hunderte Euro ausgibt.
Das kann einem wohl nur im Schwabenland passieren. Andererseits gibt es bei Ihnen die höchste Dichte an Sternelokalen. Es scheint also viele Menschen mit großer Nähe zum Genuss zu geben. Ich finde generell, dass das Essen in Deutschland noch mehr ein Teil der Lebenskultur werden sollte.

Hat sich das nicht zum Positiven verändert?
Doch. Aber bei der breiten Masse muss man immer noch hart an einem Bewusstsein für gutes Essen arbeiten. Da zählen andere Werte - und man gibt sein Geld lieber für Urlaub, Haus und Auto aus.

Ist die Sterneküche vielleicht auch nicht mehr zeitgemäß? Ihr Hamburger Kollege Christian Rach hat sie kürzlich für tot erklärt.
Dazu kann ich nur sagen: Das Lokal von Herrn Rach hat geschlossen.

Sie teilen seine Einschätzung also nicht?
Nein. Im Gegenteil: Auch viele junge Leute schätzen inzwischen die Sterneküche. Die Lokale müssen sich jedoch dem Zeitgeist anpassen. Heute zählt nicht mehr nur das Essen, auch der Service und das Ambiente müssen stimmen. Die Gäste wollen sich in entspannter Umgebung wohlfühlen.

Viele Ihrer Kollegen gehen Nebentätigkeiten nach. Kann man finanziell überleben, wenn man nur ein Sternelokal betreibt?
Bestimmt. Aber es ist so, dass Aufmerksamkeit - auch durch die Auszeichnung mit Sternen - bedeutet, dass Gäste kommen. Wenn mehr Gäste kommen, steigt der Umsatz. Und Umsatz heißt, man kann leben.

Orientieren Sie sich am "Guide Michelin"?
Er ist ganz klar mein Reiseführer.

Sie halten die Sterne also in der Hand. Schauen Sie ab und zu auch zum Himmel auf?
Vielleicht mal, wenn ich in einem Wolkenkratzer in Hongkong sitze und so wenig Smog ist, dass man den Himmel sieht. Ansonsten sind es die Michelin-Sterne, die für mich zählen, die ich sofort visualisiere.