Immobilienexperten prophezeien einen Verdrängungswettbewerb im Handel. Foto: Mierendorf

Sollten alle Einkaufszentren verwirklicht werden, verdoppelt sich die Centerfläche.

Professor Bernd Falk konnte sich einen kleinen Scherz nicht verkneifen. Nachdem Oberbürgermeister Wolfgang Schuster die Landeshauptstadt beim diesjährigen Immobilien-Dialog Region Stuttgart im Technologiepark Step in Stuttgart-Vaihingen in den höchsten Tönen gelobt hatte, meinte Falk, er werde wohl nach Stuttgart ziehen. Für Falk, der viele Jahre mit seiner Familie in Urach wohnte, und heute am Starnberger See das Institut für Gewerbezentren betreibt, war das aber nur ein rein rhetorisches Augenzwinkern.

Für Professor Falk, der auch an der Universität München Immobilien-Management lehrt, ist Stuttgart zwar einer der bedeutendsten europäischen Ballungsräume, in der öffentlichen Wirkung aber eher unterrepräsentiert. "Gesprochen wird über Hamburg, Frankfurt, Daimler und Bosch, von Stuttgart hört man dabei so gut wie gar nichts," stellt der Immobilienexperte nüchtern fest. Das wird in der Immobilienbranche ähnlich gesehen und schon lange angemahnt. Kritisiert wird dabei auch das Zusammenspiel von Region und Stadt beim Marketing. Während Stuttgarts Wirtschaftsförderer Klaus Vogt die "gute Zusammenarbeit und Arbeitsteilung" der beiden Wirtschaftsförderungen eilends betonte, sahen die Zuhörer aus der Region durchaus ein gewisses Konfliktpotenzial.

Vor allem dann, wenn die Landeshauptstadt und die Kommunen in der Region gemeinsam um Investoren buhlten, knistere es im Gebälk, meinte ein Teilnehmer. Auch die Wahrnehmung von Region und Stadt als Ganzes von außen sei nicht so scharf, wie es immer dargestellt werde. Bernd Falk sieht hier noch deutliche Defizite. Jede Interessengruppe - hier Region und Stadt, da die Immobilienbranche - würde "ihre eigene Suppe kochen". Was fehle, sei ein übergreifendes Marketing mit einer aussagekräftigen Marktforschung. "Warum werden Investoren nicht gefragt, was sie von Stadt und Region erwarten?" so Falk weiter. Nur auf derartigen Erkenntnissen aufbauend, könne man Ziele definieren und ein Konzept entwickeln. Vielleicht ergebe diese Konzeption dann auch, dass der Besuch der Mipim in Cannes sinnlos sei und das Engagement bei der Expo Real in München noch professioneller ausgestaltet werden müsste, meinte Falk.

Übrig bleiben die großen Ketten

Frank Peter Unterreiner, erst vor wenigen Tagen von der HfWU Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen zum Ehrensenator ernannt, hatte zu Beginn der Podiumsdiskussion zum Thema "Immobilienmarketing - Aufgabe der Stadt oder der Wirtschaft?" die Frage aufgeworfen, ob das Fernbleiben von der Mipim für die Stadt und die Region eine Katastrophe sei. Stuttgarts Wirtschaftsförderer war sichtlich bemüht, das Thema nicht weiter "hochkochen" zu lassen und betonte auffällig, dass die Mipim nicht die Plattform für Investorengespräche hinsichtlich Investitionen in Stuttgart sei. "Wenn die Messe rein touristischen Charakter hätte, würde auch ein 15-Quadratmeter-Stand ausreichen. Aber schließlich wolle man hier auch den Immobilienunternehmen aus Stuttgart und der Region eine Plattform bieten." Vielleicht sei man 2012 wieder in Cannes dabei, stellte Vogt in Aussicht. 

Falk, der im Rahmen des Immobilien-Dialogs über "ein Leben ohne Immobilien ist ein Leben im Irrtum" vor rund 460 Fachleuten philosophierte, gilt in der Branche als ausgewiesener Fachmann für Handelsimmobilien. Seine Ausführungen dürften nicht allen Teilnehmern gefallen haben. "Mittlerweile hat doch fast schon jedes Dorf ein Shopping-Center, egal wie rentabel es ist", stellte er die jüngsten Trends nach immer größeren Shopping-Centern in den Städten infrage. Ob Quartier S, Look 21, oder das geplante Quartier am Mailänder Platz. Derzeit gebe es in der Region Stuttgart 16 und in Stuttgart drei große Shopping-Center mit einer Handelsfläche von 80 000 Quadratmetern, zählte er auf. Würden alle geplanten Quartiere und Shopping-Malls wie geplant realisiert, bekomme die Region noch einmal 95 000 Quadratmeter zusätzliche Einkaufsfläche. "Das entspricht einer Verdoppelung der bisherigen Fläche. Wer soll denn hier einkaufen?", fragte Falk und prognostiziert: "Bis 2020 wird es rund die Hälfte der Verkaufsflächen, wie wir sie heute kennen, so nicht mehr geben. Die Entwicklung wird zulasten des traditionellen Handels gehen und die Kaufkraft in den Innenstädten schwächen." So hätten sich in Deutschland die Verkaufsflächen seit 1950 mehr als verzehnfacht, während die Umsätze pro Quadratmeter in den letzten 30 Jahren bei steigenden Kosten gefallen seien. "Irgendwann bleibt dem mittelständischen Unternehmer einfach nichts anderes mehr übrig, als seinen Laden zuzumachen. Übrig bleiben dann nur noch die großen Ketten." Diese Kostenspirale mache mittlerweile selbst vor Fach- und Verbrauchermärkten keinen Halt mehr. Aufgrund steigender Grundstücks- oder Mietkosten bei den Handelsflächen wichen die ersten schon auf das günstigere Umland aus. Die Möbelmärkte seien die ersten gewesen, die sich aus den großen Städten verabschiedet hätten.

Sichere Investition für Kapitalanleger

Bei den Investoren hingegen ist man zuversichtlich, eine "sichere Investition" für die Kapitalanleger zu schaffen, hofft Klaus Betz von der Württembergischen Lebensversicherungs AG, die derzeit das Quartier S plant. Und auch das Konsortium, welches das neue Quartier mit rund 43 000 Quadratmeter Handelsfläche am Mailänder Platz erstellen will, ist sich sicher, ein von "der Vermarktung her unstrittiges Projekt" voranzutreiben. Damit nicht genug: Schließlich entstünden schon während der Bauphase bis zu 1200 Arbeitsplätze am Mailänder Platz, und auch danach sei mit bis zu 1200 Arbeitsplätzen unterschiedlicher Qualifikation zu rechnen. Ganz zu schweigen von dem jährlichen Auftragsvolumen für Serviceleistungen zwischen 2,5 und drei Millionen Euro, die in die Stadt flössen, warben die Investoren für ihr Projekt.

Der Münchner Professor sieht Großprojekte wie das am Mailänder Platz etwas skeptischer. Zwar befürchtet er nicht wie einige Gegner des Einkaufszentrums, dass diese große Handelsfläche Stuttgart auseinanderreißen könnte. "In 20 Jahren ist die Stadt zusammengewachsen", ist er sich sicher. Andererseits stelle er sich schon die Frage, wie sich künftig wohl die Einkaufsgewohnheiten in der Stadt verändern werden. "Wer will schon zweimal in der Stadt in ein Parkhaus hineinfahren? Erst am Mailänder Platz und dann vielleicht noch mal irgendwo auf Höhe des Schlossplatzes, um auf der Königstraße zu shoppen? Ungemach droht seiner Ansicht nach auch von dem bislang zu wenig diskutierten Verkehrsaufkommen. Er rechnet vor: Eine durchschnittliche Parkplatzbucht vor einem Shopping-Center wird bis zu viermal am Tag frequentiert, mal 2500 Parkplätze, macht inklusive Ein- und Ausfahrten 20 000 zusätzliche Fahrzeugbewegungen täglich über die Wolframstraße. Laut Falk sind die daraus resultierenden Verkehrsprobleme bis heute noch nicht einmal annähernd diskutiert worden, geschweige denn ist dafür eine Lösung in Aussicht.