Die Bäume vieler Streuobstwiesen sind morsch, ihre Pflege ist aufwendig. Foto: dpa

Landkreise kämpfen für die seltene Kulturlandschaft – Am Albtrauf Produkt- und Tourismusförderung.

Esslingen - In den Streuobstgebieten zwischen Alb und Neckar leben mehr als 5000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten. Doch für diese Landschaft ist es fünf vor zwölf. Wenn nicht schnell jüngere Leute gefunden werden, die die kräftezehrende Pflege der Bäume und Wiesen übernehmen, und wenn nicht überall dort, wo Hochstämme absterben, neue gepflanzt werden, dann wird sich das Landschaftsbild schon in wenigen Jahren stark verändern. Für viele Tiere und Pflanzen ginge der Brut- oder Lebensraum verloren. Und für die Menschen eine einzigartige Kulturlandschaft.

Sechs Landkreise und das Land Baden-Württemberg haben dies erkannt und wollen rasch gegensteuern. Für den 22. Mai ist in Weilheim im Kreis Esslingen die Gründungsversammlung für den Verein Schwäbisches Streuobstparadies geplant. Gründungsmitglieder sind die Landkreise Böblingen, Esslingen, Göppingen, Reutlingen, Tübingen und Zollern- Alb, außerdem das Land über die beiden Projekte Lifeplus (Vogelschutzprojekt im Voralbland) und über das Unesco-Biosphärenreservat Schwäbische Alb.

Kulturlandschaft Streuobstwiese im gesamten Gürtel nördlich der Alb erhalten

Die Gemeinderäte von bisher rund 20 Kommunen haben für die Mitgliedschaft gestimmt, in vielen weiteren Orten steht die Abstimmung noch an. Oberstes Ziel ist, die Kulturlandschaft Streuobstwiese in dem gesamten Gürtel nördlich der Alb zu erhalten. Koordiniert wird das Streuobstparadies bisher vor allem von den Landkreisen Esslingen und Reutlingen. Tanja Gems, Tourismusmanagerin des Kreises Esslingen, setzt auf zwei Fachbeiräte, die den Vorstand des Vereins inhaltlich unterstützen werden. Ein Fachbeirat kümmert sich um Marketing und Tourismus, der andere um Bewirtschaftung, Naturschutz und Vermarktung.

Damit das Voralbland seinen Charakter behält, soll sein touristisches Potenzial bekannt gemacht und genutzt werden. Eine Untersuchung hat ergeben, dass sich eine Streuobstinitiative touristisch gut vermarkten ließe. Bei einer durchschnittlichen Steigerung der Übernachtungszahlen und der Tagesgäste von zwei bis fünf Prozent würde sich ein Umsatzpotenzial von 5,3 bis 13,3 Millionen Euro ergeben.

Vor allem aber sollen die Produkte von den Obstwiesen besser vermarktet werden. Damit Obst, Säfte, Most, Liköre und Schnaps gewinnbringend verkauft werden können, sei eine Qualitätsoffensive unerlässlich, sagt Gems. „Durch Mindestqualitäten bei den Produkten können höhere Preise erzielt werden.“ Dann lohne sich auch die anstrengende Arbeit wieder. Zweimal jährlich müssen die Wiesen gemäht und die Bäume geschnitten werden. Schon wurden erste Forderungen nach einem Maschinenring für die Obstbauern laut.

Unwissende Bevölkerung

Doch solche Details müssen in den nächsten Wochen erst noch geklärt werden. Ob die Streuobstwiesen überleben, hängt für Tanja Gems entscheidend auch mit der Bewusstseinsbildung zusammen. „Die Bevölkerung hier weiß oft gar nicht, in welch besonderer Landschaft sie lebt.“ Streuobstwiesen seien hier selbstverständlich. Dass sie immer seltener werden, wüssten viele nicht. Ganz besonders müsse deshalb auch die Jugend für das Projekt interessiert werden. Nachwuchsförderung an Kindergärten und Schulen ist geplant, etwa in einem sogenannten grünen Klassenzimmer.

Das Ministerium für Ländlichen Raum zahlt eine Anschubfinanzierung von 120.000 Euro für die ersten beiden Jahre. Die Kommunen überweisen Mitgliedsbeiträge. Die Landkreise sind mit jeweils 7000 Euro jährlich im Boot, die Städte und Gemeinden je nach Einwohnerzahl mit 500 bis 2500 Euro. Vereine und Verbände zahlen je nach Verbreitungsgebiet zwischen 100 und 500 Euro, Betriebe je nach Anzahl der Personalstellen 100 bis 750 Euro jährlich.

Zwei kreisübergreifende Initiativen bündeln

Das Geld setzt der neue Verein Streuobstparadies dann zunächst für eine gemeinsame Geschäftsstelle ein, um die sich vier Einrichtungen bewerben: das Freilichtmuseum in Beuren (Kreis Esslingen), das Zentrum des Biosphärenreservats in Münsingen (Kreis Reutlingen), der Sitz des Regionalverbands Neckar-Alb in Mössingen und die Stadt Bad Urach (beide Kreis Tübingen). Die Stelle des Geschäftsführers soll direkt nach der Vereinsgründung ausgeschrieben und nach der Sommerpause besetzt werden. Die jährlichen Personal-, Sach- und Marketingkosten des Vereins liegen bei 150.000 Euro, im Gründungsjahr bei 162.000 Euro.

In dem neuen Verein Streuobstparadies werden zwei kreisübergreifende Initiativen gebündelt, die bisher parallel zueinander versucht haben, die insgesamt 34.000 Hektar Streuobstland südlich und östlich von Stuttgart zu erhalten. Dort gibt es 260 Obst- und Gartenbauvereine mit mehr als 31.000 Mitgliedern. In dem Gebiet existieren gut 1000 Brennereien und rund 130 Mostereien.

Zunächst war in die Initiativen zum Schutz der Streuobstbestände auch der Rems-Murr-Kreis eingebunden. Er will dem neuen Verein aber vorerst nicht beitreten, sondern nur informiert werden.