Die Aktionärsschützer werfen dem Staat in ihrem Schwarzbuch im Fall Wirecard Versagen vor. Foto: dpa/Peter Kneffel

Aktionärsschützer lassen kein gutes Haar am Staat und seinen Institutionen. Sie werfen der Justiz Versagen auf allen Ebenen vor.

Das Schwarzbuch Börse ist so etwas wie ein alljährliches Sündenregister des Kapitalmarkts. Erstellt wird es von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Diesmal waren es vor allem Dauerbrenner, die den Unmut der Aktionärsschützer erregt haben. Da sind virtuelle Hauptversammlungen, die in der Pandemie erfunden wurden, aber aktuell immer noch zwei von drei Großkonzernen abhalten, was für die SdK Aktionärsrechte beschneidet und technisch auch nicht immer funktioniert. Heftig gerügt wurden zudem Mittelstandsanleihen, von denen seit 2010 hunderte im Gesamtvolumen von fast neun Milliarden Euro auf den Markt kamen. In mindestens jedem vierten Fall sähen Anleger wenig bis nichts mehr wieder, warnt die SdK. Aber das größte Ärgernis bleibt Wirecard.

„Der Staat hat versagt“

„Der Staat hat versagt“, ist für den Berliner SdK-Büroleiter Marc Liebscher klar. Erst sei der Skandal um den Pleitekonzern Wirecard auch von staatlichen Aufsichtsorganen nicht verhindert worden. Nun drohe die Justiz an der Aufarbeitung zu scheitern. An über 30 Prozesstagen waren Liebscher und SdK-Chef Daniel Bauer im seit über einem Jahr laufenden Wirecard-Betrugsprozess in einem unterirdischen Bunker des Landgerichts München vor Ort. Sie empfinden das dortige Geschehen der Örtlichkeit entsprechend als recht unterirdisch.

„Es wird nicht richtig aufgeklärt“, so Liebscher. Viele Hintergründe blieben im Dunkeln, speziell wenn es um aufkeimenden Geldwäscheverdacht geht. Der ist allerdings nicht angeklagt. Aus der Luft gegriffen ist der Vorwurf nicht. Allein zwischen Anfang 2020 und Sommer 2022 habe die für Geldwäsche zuständige Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) bundesweit fast 17 000 Verdachtsfälle auf Straftaten nicht an Polizei und Staatsanwaltschaften weitergeleitet, kritisiert die SdK. Auch bei Wirecard haben Staatsanwälte im laufenden Betrugsprozess entdeckte Finanztransaktionen unter Geldwäscheverdacht gestellt, das aber als nicht prozessrelevant bezeichnet.

Nur die Spitze des Eisbergs

Insgesamt kratze die Anklage dort nur an der Spitze eines Eisbergs und verfolge wichtige Spuren nicht weiter, werfen die Aktionärsschützer der Justiz vor. „Wir gehen von Revision aus, was dann noch einmal drei Jahre dauern wird“, schätzt Liebscher. Danach käme dann noch der Bundesgerichtshof. Das wäre aber immer noch schnell, gemessen an dem, was Schadenersatzkläger erwartet. Für sie wird erst Anfang bis Mitte kommenden Jahres eine Klage nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) eröffnet.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) hat unterdessen für mehr als 13 000 Wirecard-Anleger eine Schadenersatzklage gegen den Bilanzprüfer EY eingereicht. Die mit Anhängen 80 000 Seiten dicke Klage sei am Freitag beim Landgericht München eingereicht worden, teilte die DSW mit. Institutionelle und private Investoren forderten von EY mehr als 700 Millionen Euro.