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Fasten hat eine lange Tradition

Verzicht statt Feiern und Besinnung statt Brezelsegen: Das närrische Treiben ist einer Zeit des Innehaltens gewichen. Trotz der langen Tradition scheint diese nach wie vor den Zeitgeist zu treffen.

Schramberg. "Es glaubt nicht nur das Gehirn, sondern der ganze Mensch", zitiert Michael Jonas einen seiner Professoren. Der evangelische Stadtpfarrer wirkt munter – obwohl er bis Ostern auf seinen täglichen Kaffee verzichten will. Gewohnheiten zu durchbrechen und zu hinterfragen, könne eine durchaus heilsame Erfahrung sein, meint Jonas. Zudem verbinde das Fasten die intellektuelle Ebene des Glaubens mit der körperlichen – es betreffe eben den ganzen Menschen. "In der Bibel finden wir das Fasten als Verstärkung des Betens", erklärt der Theologe.

Allerdings stehe in der evangelischen Passionszeit vor allem die freiwillige Besinnung auf Wesentliches und die fromme Betrachtung der Leiden Jesu im Vordergrund.

Auch hinter der Fastenzeit in der katholischen Tradition steckt mehr als reiner Verzicht, wie Pfarrer Rüdiger Kocholl betont. "Das Fasten ist als Dreiklang zu verstehen." Darin schwingen neben dem Fasten auch das Beten und die Gabe von Almosen mit. "Der Sinn ist, dass man frei wird für Gott. Dinge im Leben sind zu überprüfen und in diesen drei Dimensionen zu überdenken", erklärt der Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Maria-Heilig Geist.

Mit Aschekreuzen hat er im Gottesdienst am Aschermittwoch die Fastenzeit eingeläutet. Diese sind als Zeichen eines Neuanfangs zu verstehen: Asche reinige von Schuld und gebe Kraft zu neuem Leben. Und das jedes Jahr auf’s Neue: Die 40 Fastentage bis Ostern – die Sonntage sind ausgenommen – haben eine lange Tradition.

Etwas anders sieht es bei den Protestanten aus, wie Stadtpfarrer Jonas erklärt. Das Fasten war in den Anfängen der evangelischen Kirche eher auf Ablehnung gestoßen. So sollen beispielsweise Züricher Reformatoren im Jahr 1522 provokativ zu einem Bratwurstessen am ersten Sonntag der Fastenzeit eingeladen haben. Inzwischen habe sich aber ein Wandel vollzogen, erklärt Jonas. Er spricht von einem "Wiederentdecken" des Fastens in der evangelischen Kirche – vor dem Hintergrund des freiwilligen Charakters.

Einig sind sich die beiden Pfarrer darin, dass die Tradition des Innehaltens und des Verzichts nach wie vor den Zeitgeist trifft.

Diese Einschätzung teilt offenbar auch der Schramberger Allgemeinmediziner Jürgen Winter. "Fasten kann ein neues Bewusstsein für das Verhältnis von Körper und Geist induzieren", erklärt er. Das sogenannte Leib-Seele-Problem beschäftige nicht nur Philosophie und Medizin, sondern auch die moderne Hirnforschung.

Zudem bestehe die Chance, ungünstige Ernährungsgewohnheiten anzugehen. Darüber hinaus verändere Fasten nicht nur den Körper, sondern – zumindest kurzfristig – auch die geistige Wahrnehmungsfähigkeit, erklärt der Mediziner. "Jeder, der schon einmal gefastet hat, dürfte dies an sich erfahren haben."

Allerdings empfiehlt Winter, den Gesundheitszustand vorab einer Kontrolle zu unterziehen. Denn wegen der Stoffwechselveränderungen und der Organbelastung berge das Fasten auch Risiken. "Zusammen mit dem Arzt sollte dann individuell entschieden werden, ob Fasten empfohlen werden kann und wenn ja, in welcher Form", rät Winter. Korrekt durchgeführt, habe Fasten "positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden und zumindest subjektiv betrachtet auch auf die Leistungsfähigkeit".

Für viele Menschen muss es aber auch nicht gleich der vollständige Verzicht auf Nahrung sein. Für den Anfang reicht es vielleicht schon, der zweiten Tasse Kaffee oder der angebrochenen Tafel Schokolade zu widerstehen.