Heimat ist kein alter Hut: Professor Werner Mezger eröffnet mit einem tief schürfenden Vortrag das Jahresthema. Foto: Anton Foto: Schwarzwälder-Bote

Marktplatz Kirche: "Heimatjahr" eröffnet

Der renommierte Professor Werner Mezger vom Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Freiburg eröffnete die neue Veranstaltungsreihe 2017 "Heimat finden in einer globalisierten Welt" von "Marktplatz Kirche".

Schramberg. Der neue Vorsitzende von Marktplatz Kirche, Studiendirektor i.R. Hans Jörg Fahrner konnte zu Mezgers Vortrag mit Bildpräsentation in der Aula des Gymnasiums unter dem Titel "Heimat – ein Thema von gestern in der Welt von heute?" eine große Anzahl von Zuhörern begrüßen. Mit seinem Grußwort verband Fahrner den Dank an den bisherigen langjährigen Leiter des ökumenischen Erwachsenenbildungsprojekts, Klaus Andreae, der seit 2001 über 100 Veranstaltungen gemanagt habe.

Andreae erwiderte, dass Marktplatz Kirche nur deshalb so gut funktioniere, weil die Zusammenarbeit so gut sei. Er warf die Frage auf, ob der vielbesetzte Begriff "Heimat" angesichts von Globalisierung und "Umbau der Welt" (Ernst Bloch) nicht ein Thema von gestern sei. Er erinnerte auch an den Heimat-Vortrag von Professor Bausinger vor 25 Jahren an gleicher Stelle.

Mezger, der scherzhaft versprach, sein Vortrag behandle kein volkstümelndes Ü60-Thema, ließ von Anfang an keinen Zweifel an seiner Meinung aufkommen, dass Heimat nichts ewig Gestriges sei. Sie stehe immer in Relation zur Welt. Ohne ein Verständnis der Welt gebe es kein Verständnis von Heimat und umgekehrt. Heute müsse Heimat von der globalisierten Welt aus betrachtet werden, die immer in Bewegung sei. Heimat könne also auch etwas Progressives sein.

Am Beispiel des Bollenhuts, der heute in der ganzen Welt als Label für den Schwarzwald stehe, demonstrierte der Referent, dass Heimat kein "alter Hut" sei, dass vielmehr herkömmliche Produkte heute mit der ganzen Welt korrespondierten und die Welt längst Einzug gehalten habe in die Schwarzwaldberge.

Globalisierung aber berge Chancen und Risiken. Von Roberts stamme der Begriff "Glokalisierung", der Globalisierung und Lokalisierung in sich vereinige. Es gelte bei der Rückbesinnung auf das Lokale, Alleinstellungsmerkmale zu finden, die die Heimat als etwas Besonderes herausstellten.

Drei Dimensionen

Mezger unterschied drei Dimensionen, in denen sich Kultur abspiele: Zeit, Raum und Gesellschaft, wobei er unter Kultur alle Ideen und Handlungen zur Alltagsgestaltung und Lebensbewältigung verstand. In einem Diagramm erklärte er, dass sich in der historischen Dimension Zeit in der Tradition Gegenwart und Vergangenheit begegnete, während sich in der geografischen Dimension Raum Heimat und Welt berührten und in der sozialen Dimension der Gesellschaft in der Kommunikation eine Begegnung zwischen Einzelnem und Gemeinschaft stattfinde.

Als Quintessenz lasse sich alles reduzieren auf die Gegensätze "Das Eigene" und "Das Fremde" oder Heimat und Welt oder Gegenwart und Vergangenheit. Bei der Dimension "Zeit" sei zu bedenken, dass Zeit einerseits eine physikalische Größe sei, andererseits aber eine subjektive Wahrnehmung. Während früher Zeit zyklisch erlebt worden sei mit immer wiederkehrenden gleichen Vorgängen, erlebten wir Heutigen die Zeit linear mit Hektik, Multitasking und Budgetierung. Ein Afrikaner, dem ein Europäer die Schramberger Funkuhr zeige, würde, wie der Referent an einem Witz verdeutlichte, erwidern: "Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit".

Auch bei der Dimension "Raum" kam der Referent zur Erkenntnis, dass die Welt objektiv noch gleich groß sei wie früher, doch schrumpften Entfernung durch immer schnellere Verkehrsmittel. Im genetischen Code des Menschen würde im Gegensatz zu vertikaler Beschleunigung eine solche in horizontaler Richtung nicht als angsterregend empfunden. Ebenso sei auch die Dimension "Gesellschaft" heute nicht mehr überschaubar. Man wisse angesichts der Herausforderung mit verschiedenen Kulturen nicht mehr, was man von fremden Menschen zu halten habe.

Fazit: Alle drei Kulturdimensionen seien zwar objektiv gleich geblieben, subjektiv aber hätten sie sich verändert. So sei also auch "Heimat" kein objektiver Begriff mehr, sondern sei subjektiver geworden. Heimat existiere primär im Kopf, als Konstrukt, aber auch als Gefühlserleben, das jeden persönlich betreffe. Während ein Mensch nur seine Stadt als Heimat verstehe, bezeichne ein anderer den Kreis, Baden-Württemberg, Deutschland oder gar Europa als Heimat, je nachdem, wo er sich befinde und von wem er befragt werde.

Haus und Hof

Im Mittelalter sei "Heimat" ein Rechtsbegriff gewesen, der den Besitz von Haus und Hof bezeichnete. In diesem Sinn hätten nicht sehr viele Menschen eine Heimat gehabt. Zu Beginn der Industrialisierung sei der Begriff sentimentalisch aufgeladen und als Bollwerk gegen die Moderne idealisiert worden. In den 1968er-Jahren sei der Heimatbegriff anrüchig geworden, was sich in der Schule in der Umbenennung von Heimat- zu Sachkunde und später MeNuK (Mensch, Natur, Kultur) gezeigt habe. In Ergänzung zu Ernst Bloch, der beim Heimatbegriff mehr die zeitliche und räumliche Dimension der Kindheit betonte, legte Mezger auch Wert auf die soziale Dimension: "Heimat ist da, wo sich Menschen untereinander verstehen". Gegenwärtig erlebe man ein "entfesseltes Brauchtum", eine neue Konjunktur der Tradition. Die Reinszenierung lokaler Besonderheit diene als Gegengewicht zur Globalisierung und die Suche nach Identität biete Hilfe angesichts der Fragmentierung aller Horizonte. So stellte sich für Mezger die große Frage: Wie kann man in Zukunft den Menschen Heimat geben?