Jubiläum: Marketing-Gag entfaltete ungeahnte Wirkung / Lange Haare und Levi’s statt Krawatte und Anzug
Im August vor 50 Jahren fand das legendäre Woodstock-Festival mit seinen geschätzten 400 000 Besuchern statt. Mit einem Jahr Zeitverzögerung schlug es damals auch in Schramberg hohe Wellen.
Schramberg. Heute vor 49 Jahren, am 21. August 1970, in einer Mittwochnacht, stand die City von Schramberg Kopf: Die Neueröffnung der Diskothek Woodstock führte zu großen Tumulten. "Rund 300 Jugendliche belagerten das ›Woodstock‹", berichtete der Schwarzwälder Bote damals. Sie hatten keinen Einlass erhalten. Zehn Polizeibeamte, darunter Verstärkung aus Rottweil mit einem Polizeihund, und die Feuerwehr mussten anrücken, um die Lage zu beruhigen.
Für den Namen seiner Diskothek in den Räumlichkeiten der ehemaligen "Zunftstube" in der Oberndorfer Straße hatte sich Inhaber Gerhard Bamberger vom Woodstock-Festival inspirieren lassen. Das hatte vor 50 Jahren, vom 15. August bis zum Morgen des 18. August 1969, in den USA stattgefunden. Am 26. März 1970 war der gleichnamige, später Oscar-prämierte Dokumentarfilm darüber in die Kinos gekommen. Es war für das gemächlichere Nicht-Internet-Zeitalter relativ schnell gegangen, bis Woodstock auch in Schramberg Furore machte. Unter Marketinggesichtspunkten hatte sich Bamberger wohl große Zugkraft von dieser Namensgebung erhofft – was sich erfüllte, wenn auch anders als erwartet.
Zur Neueröffnung für geladene Gäste hatte Bamberger einige Nachwuchsschlagersänger und gar drei Oben-ohne-Tänzerinnen aufgeboten. Es gab dazu kaltes Büfett und Freibier. Auch der damalige Bürgermeister Konstantin Hank genoss das Programm bis zum Schluss.
"In den Diskotheken, die mein Vater betrieb, ging es damals gesittet zu, es herrschte Krawattenzwang", berichtet Dirk Bamberger junior (der mit seinen Top-10-Diskos in Balingen, Tübingen und Singen in die Fußstapfen seinen Vaters getreten ist). Und die Tanzmusik kam vom Schallplattenteller, nicht von einer Band. "Mein Vater war dann von der Wirkung der Namensgebung völlig überrascht. Es kamen nicht die Krawattenträger, sondern das Gegenteil, nämlich die Hippies aus der ganzen Region, sogar aus Freiburg", erinnert sich Bamberger junior an die Erzählungen seines Vaters.
300 Jugendliche und Zuschauer standen auf dem Platz vor der Diskothek, aber es gab kaum noch Eintrittskarten, während die geladenen Gäste in Scharen hineinströmten. "Die jungen Leute machten ihrem Ärger in Protestgesängen, wütenden Rufen und Rütteln an Türen und Fenstern Luft. Stundenlang harrte die Schar auf der Straße aus, holte sich Bier und begann zu feiern", schrieb der Schwarzwälder Bote. Auch ein Dauerregen habe die Gemüter nicht gekühlt und auch nicht die Flammen eines Feuers aus Papier- und Gemüsekisten gelöscht. Das schafften dann erst Polizei und Feuerwehr. "Lange Haare und Levi’s dürfen hier nicht rein, und das soll ein zweites Woodstock sein", maulten die Jungen noch an die Tür. Vor der Neueröffnung als "Woodstock" hatte die Diskothek des findigen Gastronomen übrigens den Namen "Comeback" getragen und war Austragungsort einer "Discjockey-Weltmeisterschaft" gewesen.
Nach der "Woodstock"-Ära nutzte Peter Renz die Räume für sein Teppichgeschäft. Auf der Grünfläche zwischen den Gebäudeteilen erstellte er einen Flachbau mit großen Schaufenstern und einer Halle dahinter. Und Bamberger zog ein Stück weiter in der Oberndorfer Straße: Im Keller eines Hauses, rechts neben des heutigen Eiscafé Rino gelegen, eröffnete er die Diskothek "Ex". Unter gleichem Namen hatte er unter anderem auch in St. Georgen und Rottweil Diskotheken am Laufen.