Susanna, Bianka, Sophia, Sina, Ela und ihre Pianistin, Miriam Kurrle, die das Singprojekt in Schömberg vom Verein "Menschen helfen Menschen" leitet, sind begeistert bei der Sache. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder Bote

Musik: Junge Sängerinnen sind von altem Liedgut schlichtweg begeistert / Der Spaß kommt nicht zu kurz

Schömberg. Es ist einer dieser ersten richtig heißen Tage in diesem Frühsommer. Draußen – 32 Grad Celsius im Schatten. Drinnen – in der Begegnungsstätte für ältere Menschen in Schömberg: Ein halbes Dutzend Kehlen singen voll Inbrunst, so laut sie können: "Winter ade! Scheiden tut weh!"

Es scheint gewirkt zu haben – vom Winter weit und breit keine Spur mehr. "Das ist eines der Lieblingslieder der Kinder", erzählt in einer Atempause die Frau am Klavier – Miriam Kurrle, die Leiterin dieses einmaligen Singprojekts des Vereins "Menschen helfen Menschen". Seit etwas mehr als einem Jahr bietet die Gesangspädagogin immer mittwochs von 16 bis 17 Uhr dieses "freie Singen" in den Räumen der Begegnungsstätte an. "Eigentlich für alle Generationen", von Grundschulkindern bis Senioren. Aber irgendwie waren es dann fast ausschließlich nur die Grundschulkinder, die so richtig Gefallen an diesem gemeinsamen Singen gefunden hatten.

Heute sind vier Kinder gekommen – alles Mädchen: Bianka (9 Jahre), Sophia (9), Sina (6) und Ela (8). Plus einer Mama – Susanna. "In der Regel sind wir aber ein bisschen mehr", erzählt Kurrle – die man in Schömberg auch als Vize-Chorleiterin des Ensembles "The Voices" kennt. Auch Jungs kämen ab und an.

Aber Singen – das muss man eben mögen. Sophia erzählt, dass sie sich jedes Mal auf diese eine Stunde gemeinsames Singen "irrsinnig" freue – "weil ich hier meine Freundinnen treffe". Und die Freundinnen aus der Schule? Die seien dafür nicht so zu begeistern. "Vielleicht tut ihnen der Hals weh", mutmaßt die Neunjährige ein bisschen unsicher.

Selber schuld. So entgeht jenen, die nicht diese ganz besondere Gelegenheit zum einfach so drauflos Singen nutzen wollen, eine ganze Menge Spaß. Wie beim "Winter ade!", dem absoluten Hit von der ersten Sekunde an, als Kurrle ihren Schützlingen das alte Frühlings- und Kinderlied das erste Mal vorgespielt hat. Dass dieser Song von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben bereits 1837 "in die Charts" kam – interessiert die Mädels hier nur mäßig. Es ist reine gesungene Magie, mit dem sich jede Art von Winter-Blues auch heuer bestens wegsingen lässt. "Kein Lied haben die Kinder lauter gesungen, als sie es erst mal konnten", erinnert sich Kurrle. Und auch jetzt, bei 32 Grad und prallem Sonnenschein, zeigen die jungen Interpretinnen vollen Einsatz.

Die Gewissensfrage: Was ist denn das Lieblingslied der vier Mädchen? – Bianka hat einen ganz eigenen Geschmack: "Die ›Tante aus Marokko‹", kommt es wie aus der Pistole geschossen – ein echter Evergreen der Kindermusik, zur Melodie von "Von den blauen Bergen kommen wir". Der wiederum einen alten afroamerikanische Spiritual imitiert: "When The Chariot Comes".

Die anderen Mädchen müssen etwas überlegen, was sie wirklich, wirklich am allerliebsten singen – dann aber sind sich Sophia, Sina und Ela einig: "›Im schönsten Wiesengrunde‹..." – Zeitgleich hört man ein leichtes Schluchzen, und es glitzern echte Tränchen bei Miriam Kurrle – die Musikpädagogin ist für einen Augenblick komplett ergriffen.

Als sie ihre Stimme wieder im Griff hat, erläutert Kurrle, was gerade passiert ist: "Es ist so, dass das Wiesental, das in dem Text von Wilhelm Ganzhorn besungen wird, meine Heimat ist". Es war für Kurrle wohl nicht absehbar, wie auch dieses Lied des 19. Jahrhunderts, also aus der Hochzeit der deutschen Romantik, im Hier und Heute noch Kinder wirklich zu beeindrucken weiß. Warum eigentlich? Sind nicht alle Kinder schon längst an den Kitsch und Klamauk der Gegenwart verloren?

Sophia übernimmt das Antworten. Mit sehr großem Ernst. "Es ist eine so wunderschöne und so traurige Geschichte", sagt sie einen Satz, der einen Erwachsenen einfach verblüffen muss. Und wieder so einen Kloß in den Hals zaubert. Aber klar – "Sophia" bedeutet übersetzt "die Weisheit". Und dann erzählt diese Sophia noch etwas eigentlich viel Verblüffenderes: "Meine Mama hat mir dieses Lied immer vorgesungen, als ich noch in ihrem Bauch war. Und ich soll immer ganz heftig gestrampelt haben, wenn sie mir dieses Lied vorgesungen hat." Man bemerkt im Augenwinkel, dass Miriam Knurrle, ganz Empathie für ihre jungen Sängerinnen, gerade wieder mit den Tränen kämpft.

Der kleine Chor wird niemals auftreten

Doch jetzt ist wieder ultimativer Spaß angesagt. Die Mädels wollen zeigen, was sie gemeinsam auf dem alten Klavier gelernt haben – ein nächstes dieser ewigen Lieblingslieder: "Bruder Jakob", erst in der deutschen Version, dann im französischen Original. Und – insgesamt sechshändig begleitet von Impresaria Miriam Kurrle und ihrem gerade wieder einmal völlig begeistertem Mädchenchor. Spürbares, hörbares pures Glück auf glühenden Kindergesichtern. Noch im Repertoire: "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad", "Auf der Mauer auf der Lauer...", "Auf der schwäbsche Eisenbahn" – weil man sich dazu so toll bewegen kann. Aber auch "99 Luftballons" von Nena, das die sechsjährige Sina und Mama Susanna auch daheim immer singen. Weshalb Sina das Lied längst auswendig kann.

Doch nach einer Stunde ist dieses Paradies aus Tönen für heute wieder vorbei. Und man begreift, weil man all diese Lieder – na ja, zumindest die meisten – auch aus der eigenen Kindheit auch heute im Alter noch bestens kennt, dass hier mit solchen Gesangserlebnissen bei den Kindern Erinnerungen für ihre ganz eigene Ewigkeit geschaffen werden. Tolle Erinnerungen. Lebendiges, lautstarkes Glück. Für sie ganz allein. Denn Auftreten wird dieser grandiose kleine Chor niemals. Nirgendwo. Wer die jungen Sängerinnen hören will, muss sie besuchen. Immer mittwochs ab 16 Uhr. In der Begegnungsstätte. Und – nur zuhören geht nicht. Mitsingen ist Pflicht. Aber genau das ist es ja, was den wahren Spaß hier ausmacht.