In Palermo haben sich 400 Ladenbesitzer, Händler, Restaurantbetreiber und Hoteliers zusammengetan, weil sie den Clans keine Schutzgelder mehr bezahlen.

Palermo/Rom - In Palermo haben sich 400 Ladenbesitzer, Händler, Restaurantbetreiber und Hoteliers zusammengetan, weil sie den Clans keine Schutzgelder mehr bezahlen. Auch Deutsche können sich am Kampf gegen die Mafia beteiligen.

"Ich erinnere mich noch gut an jenen Tag damals im Sommer 2004." Aldo Delmonte holt aus seinem Schreibtisch ein Flugblatt hervor. "Das hingen wir damals nachts in der ganzen Stadt auf, und am Tag darauf herrschte große Aufregung, denn so einen Protest hatte es hier noch nie gegeben." Auf dem Flugblatt steht geschrieben: "Ein Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde." Schutzgeld, italienisch "Pizzo", wird Geschäftsleuten vor allem in Süditalien, also auch auf Sizilien, von lokalen Bossen der Cosa Nostra abgeknöpft.

"Wir taten uns damals zusammen, um gegen den Pizzo aufzubegehren", berichtet der Gemüsehändler. "Das war damals noch mutiger als heute, denn im Jahr 2004 gab es nur sehr wenige, die den Mund aufmachten und erklärten: "Nein, den Pizzo zahlen wir nicht mehr!" Inzwischen ist aus der kleinen Bewegung von sizilianischen Geschäftsleuten eine Initiative geworden, die auf der ganzen Insel aktiv ist. Immer mehr Unternehmer, Hoteliers und Restaurantbesitzer wollen sich nicht mehr erpressen lassen. Sie weigern sich - und erklären das auch öffentlich. Die Initiative heißt Addiopizzo - tschüss Schutzgeld. Sie findet nicht nur die Unterstützung lokaler Politiker und Bürger, sondern auch der deutschen Botschaft in Rom.

Der deutsche Botschafter Michael Steiner präsentierte jetzt zusammen mit Vertretern von Addiopizzo aus Palermo einen Stadtplan, in dem alle Geschäfte und Lokale der sizilianischen Hauptstadt verzeichnet sind, die sich weigern, Schutzgelder zu zahlen - ein Stadtplan für kritische Konsumenten, heißt es aus der Botschaft, die die Anschubfinanzierung des Projekts übernommen hat. Um es auch langfristig erfolgreich weiterführen zu können, plant die Mission, deutsche Reiseveranstalter als Sponsoren zu gewinnen und Verlage zur Aufnahme des Themas in die Reiseliteratur zu ermutigen. "Diese Hilfe ist für uns enorm wichtig und bedeutet auch eine internationale Anerkennung", erklärt Gabriele La Malfa Ribolla, Mitbegründer von Addiopizzo.

Die Cosa Nostra kontrolliert die Wirtschaft

"Das ist doch für uns die einzige Möglichkeit, Nein zu sagen gegen die Mafia", meint Francesco Glorioso. Er ist einer von rund 400 Geschäftsleuten, die kein Schutzgeld mehr zahlen. Glorioso besitzt einen kleinen Tabakwarenladen mitten in der Mafia-Hochburg Palermo. "Wir werden immer mehr, und dass uns auch die Deutschen jetzt helfen, ist doch toll, denn wir können jede Hilfe gebrauchen gegen einen Feind, der keine Gelegenheit auslässt, um zurückzuschlagen." Die Bosse der Cosa Nostra kontrollieren nach wie vor die Wirtschaft der Insel. Daran haben auch die spektakulären Verhaftungen der letzten Jahren nichts geändert.

"Wenn Sie hier ein Kleidungsstück oder sonst etwas kaufen", erklärt die Besitzerin einer Boutique, die namentlich nicht genannt werden will und auch an der Initiative Addiopizzo nicht teilnimmt, "dann geht immer ein Teil an die Mafia. Ich habe Angst, dass die mir meine Existenz kaputt machen, wenn ich kein Schutzgeld mehr bezahle." Sie verrät, dass sie Monat für Monat rund 400 Euro an einen jungen Mann bezahlt, der bei ihr anklopft.

Tatsache ist, dass nicht wenige italienische Geschäftsleute ihren Mut, die Zahlung von Schutzgeldern zu verweigern, teuer bezahlen mussten. "Die werden zunächst eingeschüchtert", weiß Francesca Vannini Parenti von Addiopizzo. "Mit anonymen Briefen zum Beispiel." Dann gehen die Bosse zu einer härteren Gangart über. Autoreifen werden zerstochen oder der Hund des Hauses getötet. "Wer dann immer noch nicht zu zahlen bereit ist, muss mit Morddrohungen rechnen."

Was es bedeutet, sich gegen die Schutzgeldeintreiber zu stellen, weiß auch Giovanni Ceraulo. Der Inhaber der Bekleidungskette Primavisione büßt in diesen Tagen dafür, vier Mafiosi vor Gericht entlarvt und damit hinter Gitter gebracht zu haben. Als dann das Quartett, darunter der als Diabolik verrufene Francesco Russo, zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt war, gingen bei Ceraulo nachts die Scheiben der Auslagen zu Bruch. Die Cosa Nostra will ihm mehr denn je ans Leder. Sein Auto hatten Unbekannte auch schon einmal angezündet.

In den letzten Jahren zeigte sich die Cosa Nostra manchmal aber auch gegenüber Geschäftsleuten gnädig, die keinen Pizzo mehr bezahlen. "Die machen dann und wann auch einen Rückzieher, wenn einer partout kein Schutzgeld entrichtet und ihnen die Stirn bietet", sagt der Tabakwarenhändler Glorioso. In anderen Fällen allerdings würden die Bosse Geschäfte in Brand stecken, um sich zu rächen.

160.000 Geschäftsleute in Italien zahlen Schutzgeld

Dem Wirtschaftsforschungsinstitut Eurispes zufolge verschafft der Pizzo den Bossen in ganz Italien Einnahmen in Höhe von jährlich rund zehn Milliarden Euro. Rund 50.000 sizilianische Geschäftsleute, so ermittelte der italienische Unternehmensverband Confesercenti, sind Opfer von Schutzgelderpressungen. In ganz Italien sind mindestens 160.000 Geschäftsleute betroffen.

Mit ihrer Initiative wollen die Organisatoren und Mitglieder von Addiopizzo auch gegen das Schweigegelübde der Mafia, die sogenannte Omerta vorgehen. Francesca Vannini Parenti drückt es kämpferisch aus: "Das Schweigen brechen und ganz laut sagen: Wir machen nicht mehr mit." Ihre Devise ist: Gemeinschaft macht stark gegen die Bosse. Sie und ihre Mitstreiter verteidigen einen neuen Bürgersinn - Zivilcourage, die auch von den in den letzten Jahren entstandenen Anti-Mafia-Organisationen unterstützt wird. Es gibt mittlerweile Zeitschriften, die sich dem Kampf gegen die Mafia verschrieben haben, und auch immer mehr Geistliche sprechen sich offen gegen die Bosse aus. "Die Zeiten der totalen Omerta· sind vorbei", meint Vittorio Greco, Anti-Mafia-Kämpfer und Gymnasiallehrer in Palermo. "Das Volk begehrt auf." Greco hofft auf mehr Unterstützung durch die Behörden. "Immer noch stecken zu viele lokale Politiker mit den Bossen unter einer Decke", beklagt er.

Unterstützung finden die Addiopizzo-Organisatoren vor allem bei den Konsumenten. Letztlich sind es ja sie, auf die es ankommt. Sie können Ladenbesitzern helfen, die den Mut haben, keine Schutzgelder mehr zu entrichten und Lebensmittel, Kleidung, Zigaretten oder Backwaren nur noch bei ihnen kaufen. In Palermo ist es mittlerweile schick geworden, jene Geschäfte aufzusuchen, die an ihren Eingangstüren den Aufkleber "Addiopizzo" tragen.

Als ein Gericht im Sommer 2009 in Palermo alles in allem fast vier Jahrhunderte Gefängnis gegen 44 Schutzgelderpresser des Mafia-Clans Lo Piccolo verhängte, verbuchte man auch das als Erfolg der Kampagne Addiopizzo.

Und die deutschsprachigen Urlauber - sie stellen die wichtigste Gruppe unter den ausländischen Touristen auf der italienischen Mittelmeerinsel - können mithelfen, die Mafia in die Schranken zu weisen. Botschafter Steiner spricht bereits von der Vision eines Mafia-freien Siziliens.

Dem Addiopizzo-Komitee Palermos kann es nur helfen, wenn man um die Schattenseiten der Stadt einen Bogen macht - den Plan dafür bekommt man an Bahnhof und Flughafen, in Hotels und Lokalen, die bei der Aktion mitmachen, und in Touristenbüros. "Tschüss Schutzgeld": Das bedeutet Urlaub mit Köpfchen.