Das Gewann Stockmühle um 1925. In der Mitte sind das Wohn- und Ökonomiegebäude mit Wasserkraftanlage, Wasserkanal und Kinzig zu sehen. Repros: Schoch Foto: Schwarzwälder Bote

Historie: Carl Johann Gruber baut vor mehr als 100 Jahren die Stromversorgung in Schenkenzell auf

Ein Leben ohne Strom ist heutzutage unvorstellbar. In dunklen Stuben haben früher jedoch noch Petroleumlampen geflackert, ehe 1910 Carl Johann Gruber für elektrisches Licht in Schenkenzell sorgte.

Schenkenzell. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war die Beleuchtung in den Wohnhäusern und Höfen von Schenkenzell weder sauber, praktisch noch modern. Zurückblickend war es der Öltigel. Ihm folgte um 1860 die Sterinkerze. Diese Neuerung feierten die Bürger damals mit einem "Lichtfest" in den Gasthöfen. Nach Jahren kam dann die Ablösung durch die Petroleumlampe.

Das erste elektrische Licht leuchtete erstmals 1908 in Schenkenzell und zwar in der Stockmühle. Der Eigentümer der Stockmühle Franz Gruber (1831 bis 1933) war Müller und Bürgermeister der Gemeinde Schenkenzell von 1903 bis 1925. Er hatte einen Sohn Carl Johann Gruber (1887 bis 1972), der nur "Jean" genannt wurde. Dieser erlernte zuerst im elterlichen Betrieb das Müllerhandwerk. Doch es zeigte sich bald, dass sein Herz und sein Erfindergeist weniger der Mühle, sondern mehr der Elektrotechnik verschrieben war.

Plötzlich ist im Wohnzimmer elektrisches Licht an

Die Theorie eignete er sich durch Lehrbücher an, während er in seinem Kämmerlein diese Theorie in die Praxis umzusetzen versuchte. Als sein Vater nachts von einer Gemeinderatssitzung nach Hause kam, war die Überraschung groß. Im Wohnzimmer fand er elektrisches Licht vor. Seine Augen glänzten. Die Experimentierkunst seines Sohns hatte Erfolg. Bewunderung kam im Dorf auf.

Stockmüller Gruber förderte fortan seinen Sohn und ließ ihn eine Ausbildung in der Elektrobranche machen. Die Mahlmühle in der Stockmühle wurde mit Wasserkraft betrieben. Ein oberschlächtiges Wasserrad versorgt mit Wasser aus der Kinzig. Mit dieser Wasserkraft, einem starken Gleichstrom-Dynamo unter Zuhilfenahme einer Akkumulatorenbatterie, eingebaut durch eine Esslinger Maschinenfabrik, war er für eine Stromlieferung gerüstet. Die Bürger im Dorf wurden wissensdurstig. Im August 1909 fand im "Sonnen-Saal" ein Informationsabend statt. Das Interesse daran war sehr groß. Zuvor wurden Anmeldebogen für Hausanschlüsse ausgeteilt.

Im Juni 1910 war es dann soweit. Mit der Gemeinde Schenkenzell war die Firma Johann Gruber zur Stockmühle recht schnell einig und schloss einen Stromlieferungsvertrag mit einer Laufzeit von 15 Jahren ab. Anstelle von Kerzen und Petroleum trat der Gleichstrom. Gruber stellte Arbeitskräfte ein und begann mit dem Ausbau des Stromnetzes. Der Strom diente zunächst als reiner Lichtspender. Andere elektrische Gerätschaften gab es damals noch nicht. Wenn man einer Umfrage der französischen Militärregierung im Jahre 1945 Glauben schenken darf, gab es nur einen Haushalt im Ort mit einem Elektroherd.

Bald waren es 40 Stromabnehmer. Auch die Ausleuchtung der Ortsstraße erfolgte, wenngleich die Anzahl der Straßenlampen anfangs mit zehn sehr gering war – diese waren auf den ganzen Ort verteilt. Zug um Zug wurde das Ortsnetz erweitert. Damit stieg auch der Strombedarf.

Zusammen mit dem Stockhofbauer Josef Huber errichtete "Jean" Gruber 1924 eine weitere Wasserkraftanlage mit einer Leistung von 110 PS im Gewann Stock. Rund zehn Jahre später folgte der Bau eines Sägewerks auf dem Hausgrundstück. Selbst in der Nachbargemeinde Kaltbrunn wusste er seine damaligen Kenntnisse und Fähigkeiten zu nutzen und baute im Rinkenbach, beim Hanselesbauernhof und beim Gasthaus Linde Hausanlagen zur Stromerzeugung.

Zahnarzt klagt über Schwankungen, die ihn an der Arbeit hemmen

Die Stromqualität war über all die Jahre nicht immer die Beste. Dies hing auch mit dem Wasserangebot der Kinzig zusammen. So führte Zahnarzt Rolf Zielaskowski Klage über plötzliche Stromunterbrechungen, beziehungsweise -schwankungen. Damit sei er bei der Behandlung der Patienten in seiner Arbeit gehemmt. "Jean" Gruber erwiderte: "Dann soll er seine Tretbohrmaschine eben einsetzen." Für die "Kaufmann-Marie" waren die Gleichstrom-Freileitungen recht wertvoll. Ganz unkompliziert holte sie von dort zum Nulltarif ihren Strom für ihr "Höllengefährt", die fahrbare Holzsäge.

Als Auflage muss ein Elektroherd im Haushalt in Betrieb gehen

Einen letzten Konzessionsvertrag schloss Gruber 1938 auf 25 Jahre mit der Gemeinde ab. Diesen Vertrag wollte und konnte er nicht mehr voll erfüllen. Im Alter von 68 Jahren verkaufte er die Stromversorgung für die Gemeinde an die Badenwerk AG, nachdem das Dorf und teilweise auch die Außenbereiche zwischenzeitlich mit Strom versorgt waren. Das Badenwerk trat in den Vertrag ein und übernahm den Restausbau. Unter dem Slogan "Strom kommt sowieso ins Haus, nutz das aus!" wurden die Stromabnehmer, vor allem aber die Hausfrauen, animiert, "bisher unerfüllbare Wünsche sich verwirklichen zu lassen".

Die letzten Versorgungsleitungen wurden 1963 im Egenbach, im Kaibach und auf der Staig verlegt – mit der Auflage "einen Elektroherd in Betrieb zu nehmen". Noch hatte "Jean" Gruber die Stockmühle, die Wasserkraftanlagen und das große Wiesengrundstück in der Talaue. Die Familie war kinderlos. Im Jahre 1956 verkaufte er sein gesamtes Areal Zug um Zug an die damals noch in Alpirsbach ansässige Tuchfabrik Marggraff zur Industrieansiedlung.