Großreinemachen nach der Buttersäure-Attacke vor einem Jahr: "Fröhlichs Kneipenclub" und der Club "Mensch Meier" (hier mit Geschäftsführer Yannic Meier an der Theke) empfingen am nächsten Tag wieder Gäste. Foto: Baublies (Archivbild)

Sprühregen aus Säure in zwei Diskotheken. Täter wohl auch im Mediamarkt aktiv.

Nach einem Anschlag mit Buttersäure in zwei Lahrer Diskotheken vor einem Jahr verurteilte das Amtsgericht einen Mann zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und einen zweiten zu einer Geldstrafe. 16 Menschen waren damals verletzt worden.

Lahr - Der Aktenberg im Fall des Buttersäure-Angriffs in der Doppeldisco ist so hoch, dass ihn Richter Tim Richter am Mittwochmorgen kaum unter den Arm geklemmt bekommt, als er den Gerichtssaal des Amtsgerichts betritt. Stapelweise Polizeiprotokolle von Zeugenvernehmungen, so wird sich später zeigen, türmen sich in den Unterlagen. Beweismaterial im Fall eines heftigen Angriffs auf die Gesundheit von vielen Hundert Menschen, die ausgelassen und nichtsahnend feierten.

Was passierte in den beiden Diskotheken?

Rund 500 Menschen waren an jenem 27. Dezember 2019 in den beiden Discos "Mensch Maier" und im "Fräulein Fröhlich" nahe des Flughafens zu Gast. Sie wollten zwischen den Jahren einen unbeschwerten Abend genießen. Die Stimmung auf dem Tanzparkett kochte, als die Feierlaune schlagartig endete. Gegen 0.45 Uhr begann es in der ersten Disco gewaltig zu stinken. Kurz darauf auch in der zweiten. Ein "Sprühregen an Flüssigkeit" ergoss sich von oben über die Gäste, schildert es ein Besucher vor Gericht. Schnell ist klar, das ist Buttersäure.

Wer war das?

Hauptangeklagter ist H., ein heute 27-Jähriger aus Friesenheim. Er ist polizeibekannt. Wie Richter Tim Richter vorliest, hatte H. sich bereits in mehreren Fällen von Betrug vor Gerichten zu verantworten. In Elektronikmärkten hatte er Preisetiketten vertauscht. Außerdem war ihm der Führerschein abgenommen worden, er hatte zwei Promille Alkohol intus gehabt. Ja, er trinke regelmäßig Alkohol, räumt der Angeklagte ein, als Richter Richter ihn darauf anspricht. Auch in der Tatnacht war er alkoholisiert, mit 1,6 Promille, wie es bei den Vernehmungen von Polizisten herauskommt.

Warum hat er die Buttersäure verspritzt?

In der Verhandlung sagen Türsteher der Discos aus. Sie bestätigen, dass H. wenige Wochen vor der Tat aus der Disco geworfen worden sei. Er sei damals stark betrunken gewesen und negativ aufgefallen. Möglicherweise habe der Mann Rachegedanken gehabt. Er selbst bestätigt das nicht, das Gericht wird es aber später so einschätzen.

Was passierte mit den Gästen der Disco?

Die Buttersäure wurde mit Einwegspritzen auf die Gäste verspritzt. Staatsanwalt Jochen Wiedemann verliest im Prozess eine lange Reihe von Verletzungen, die bei den Besuchern nach den beiden Taten festgestellt wurden. Manche Gäste wurden von der Säure im Gesicht getroffen, an der Stirn und der Wange, andere am Hals, auf Schultern und Händen. Die Buttersäure löste bei mehreren Menschen brennende Rötungen und Reizungen aus, andere klagten über brennende Augen. Einige Besucher wurden im Krankenhaus behandelt. Ein Mann klagte über Hautverätzungen, die monatelang anhielten und für die er sich in der Öffentlichkeit schämte. Ein Betroffener litt über Tage an Beschwerden, er habe schwer Luft bekommen, sei sportlich beeinträchtigt gewesen. Und er habe auch heute noch, ein Jahr später, psychische Folgen: "Mir fällt schwer, in größere Ansammlungen von Menschen zu gehen", sagt der beim Anschlag verletzte Mann am Mittwoch. Insgesamt 16 Personen wurden ernsthafter verletzt, vermutlich noch viel mehr, die sich aber nicht meldeten. Hunderte andere hatten lediglich den bestialischen Gestank der Stinkbomben zu ertragen. Bleibende körperliche Schäden gab es offenbar nicht.

Wie wurden die beiden Tatverdächtigen gefasst?

In der Nacht des Anschlags erkannten die Türsteher H. zwar, er durfte aber trotzdem in die Disco. Nach dem Anschlag und der Evakuierung der beiden Betriebe fielen er und sein Komplize S. Polizisten erneut auf. Bei näherer Überprüfung entdeckte ein Polizist im Wagen von H. verdächtige Utensilien: Spritzen, Handschuhe und Buttersäure.

Was sagt Angeklagter H.?

Er gesteht die Tat, allerdings nur über eine Erklärung seines Anwalts. Erst bei den Plädoyers sagt er selbst aus. Ihm tue es leid und er habe den Wunsch, den Schaden wieder gutzumachen. Zu den Gründen für den Anschlag: kein Wort.

Was sagt S., der Zweite?

Nichts. Er will nicht mal Angaben zu seiner Person machen. Kein Wort der Erklärung.

Wie wurden die beiden überführt?

Über eine DNA-Auswertung des Landeskriminalamts. An Spritzen, Handschuhen und anderem wurde DNA der Männer nachgewiesen. Nach dem Fund von Buttersäure im Wagen von H. wurde zunächst dessen Wohnung in einem Friesenheimer Ortsteil durchsucht. Dort wurde hoch dosierte Buttersäure gefunden, zudem Schwarzpulver, außerdem reihenweise andere Chemikalien, teils gefährliche. Die Lahrer Feuerwehr musste anrücken und die Stoffe sichern. Entdeckt wurden in der Wohnung auch Steine, die sich als radioaktives Uranerz herausstellten.

Was wurde gefordert?

Staatsanwalt Wiedemann fordert wegen gefährlicher Körperverletzung in 16 Fällen Haftstrafen von einem Jahr und vier Monaten für H., sowie ein Jahr für S., beides auf Bewährung. Die Tat sei kein minderschwerer Fall, die Beweislage einwandfrei. Der Vertreter der Nebenklage nannte die Tat "massiv kriminell". Der Verteidiger von H. plädierte auf drei Monate Freiheitsstrafe. Der Anwalt von S. wollte Freispruch für den 35-Jährigen.

Wie lautet das Urteil?

H. wurde wegen gefährlicher Körperverletzung in 16 Fällen zu einem Jahr Haft verurteilt, zwei Jahre lang auf Bewährung, plus 3000 Euro Geldstrafe. S. wurde zu 7200 Euro Geldstrafe verurteilt. Der Nebenkläger will zivilrechtlich noch gegen H. vorgehen und fordert Schmerzensgeld.

Im Prozess kam heraus, dass der Hauptangeklagte H. zuvor auch in einer Media-Markt-Filiale stinkende Buttersäure verteilt hatte, möglicherweise, um sich wegen einer Bestrafung nach einem Betrugsfall zu rächen. Über Verletzte bei diesem Fall gab es keine Hinweise am Mittwoch.